Spirituelle Lösungen

Ein paar Jahre, nachdem ich zum Glauben gekommen war, nahm ich eine Stelle als Psychotherapeut in einem Altenheim an ...

4 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Ein paar Jahre, nachdem ich zum Glauben gekommen war, nahm ich eine Stelle als Psychotherapeut in einem Altenheim an. Über 80% der Heimbewohner waren säkulare Juden und die restlichen 20% orientierten sich an der Tora.

Es war faszinierend, die Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen zu beobachten. Die meisten Senioren waren sehr angetan von der riesigen Kinoleinwand in der Eingangshalle des Altenheimes, trotz der Bemühungen des Personals, Anreize für eine sinnvollere Betätigung zu schaffen. 
 
Meine Aufgabe in dieser Senioreneinrichtung bestand darin, die Bewohner über die Gefahren einer Depression aufzuklären. Im Altenheim lebte auch eine besondere Frau, die einer meiner Reden einfach unterbrach. Nachdem sie sich selbst vorgestellt hatte, lächelte sie und sagte freundlich: „Denken Sie nicht, dass diese Leute schon depressiv genug sind? Warum ändern sie das Thema ihres Vortrags nicht und reden über Glaube, Hoffnung und die Freude im Leben?“  In ihren Augen spiegelten sich ihr tiefer Glaube und eine starke Lebensvitalität wider. 
 
Als Therapeut wurde mir beigebracht, zuerst das „Problem“ zu sehen. Als Jude suchte ich aber nach dem, was sie ganz offensichtlich besaß, „eine spirituelle Lösung“. Mit ihrem Alter von 105 Jahren war sie ein lebendiges Beispiel für ein erstaunliches spirituelles Wachstum.

Rabbi B. war einer meiner bevorzugten Patienten. Er war einst der Direktor einer Torahochschule für Frauen. 40 Jahre lang lehrte er an dieser Schule. Während viele der anderen Bewohner sich darüber beschwerten, zu wenig Besuch zu bekommen, erhielt der Rabbiner regelmäßige Besuche von seiner Familie und vielen, vielen Studenten, die ihn in liebevoller Erinnerung hatten. 

Seine Studenten, damals noch Teenager, nun selbst Mütter und Großmütter, so kamen sie sogar mit ihren Enkeln, damit sie den geliebten Lehrer sahen, der sie einst auf den bescheidenen und  wahren Weg einer Frau im Judentum brachte.

Schließlich erkrankte Rabbi B. an Alzheimer. Sein Gedächtnis war stark beeinträchtigt und trotzdem trug er immer noch sein schönes Lächeln im Gesicht. Während andere Bewohner ihre Sinne durch die Kinoleinwand betäuben wollten, verbrachte der Rabbiner die letzten Jahre in der Synagoge seiner Heimat. Dort sitzend blätterte er in den Heiligen Büchern. Eines Tages sah ich ihn den Chumash (5. Bücher Moses) lesen und fragte ihn: „Rabbi, was lernst du hier?“ Er erwiderte lachend: „Ich weiß es nicht.“„Du weißt es nicht?“ wiederholte ich. „Nein.“ sagte er abermals, „Aber es macht mir nichts aus, dass ich mich nicht daran erinnern kann, was ich lese. Ich sehe mir die Heiligen Worte an und fahre mit meinem Finger darüber hinweg und das tut mir gut. Ich kann nicht sagen, wieso, aber diese Worte wirken immer sehr beruhigend auf mich.“ 

Haben Sie jemals so etwas schon gehört? Ich suchte in der psychologischen Literatur nach Antworten und fand Studien, die zeigten, dass  Ältere, die über eine „intrinsische Spiritualität“ verfügen, besser mit dem Alterungsprozess umgehen können, als diejenigen mit einer  „extrinsischen Spiritualität“ oder einer säkularen Orientierung.

Die Gruppe, die glaubte und auf Gott vertraute, tat mehr als nur damit „fertig zu werden“ – sie waren lebendigere, freudigere und glücklichere Menschen als vergleichbare andere Altersgenossen. Sie zeigten dies beispielhaft mit den Worten „Wie glücklich sind wir, wie gut ist unser Anteil!“ 

Der Kontrast zwischen den Bewohnern, die nach der Tora lebten und denjenigen, die es nicht taten, war wie bei Zwillingen, die nach der Geburt getrennt und in unterschiedlichen Welten aufgewachsen waren:

Eine Gruppe war bereichert und in seiner Umwelt mental stimuliert worden und die andere Gruppe hatte Armut und Hunger erlitten. Nach den 20 Jahren konnte man sie nicht mehr als Zwillinge erkennen. Ich sah, dass die älteren Leute, die kein Tora bezogenes Leben führten, schneller mental dekompensierten. Die anderen wiederum waren durchweg zufriedener, beschwerten sich weniger und brauchten weniger Psychopharmaka oder Aufenthalte im Krankenhaus. Ein klarer Glaube an Gott führt zu neuer Energien und neuem Leben – egal, wie alt ein Mensch ist.

Eine weitere Patientin war Frau D. Sie war eine Feministen-Psychotherapeutin. Sie wuchs mit Sigmund Freud, Margaret Mahler und anderen Protagonisten der Frauenbewegungen auf.

Als ihr Sohn damit anfing, den Schabbat zu halten, eine Kippa trug und koscheres Essen aß, glaubte sie, dass er zu einer sexistischen und altertümlichen Lebensweise unserer mittelalterlichen Vorfahren zurückgekehrt ist. Später mussten wir oft darüber herzhaft lachen.

Der Pankreas-Krebs brach aus, bevor sie 71 Jahre alt wurde und wir sahen, wie sie sich an Gott wendete. Mit ihrer ganzen Kraft, aus der sie all die Jahre heraus lebte, um Ihn zugunsten der deplatzierten „Leidenschaft“ der „Religion der Psychoanalyse“ zu verdrängen. Von dem Moment an, da sie mit dem Ende ihres Lebens konfrontiert wurde, mobilisierte sie den ganzen unterdrückten Glauben und umarmte Gott willentlich. Am Ende nahm sie dann sogar nicht mal mehr ein Psychologiebuch in die Hand, was ihr irgendwie Erleichterung verschaffte. Sie zog jetzt ihre ganze Kraft aus dem Glauben. Sie tauchte ein in den reichen Schatz der spirituellen Lehren, die ja ihr Erbe waren. Sie nahm mit allem, was sie konnte, mit letzter Kraft, alles an, was jüdisch war. Zum Entsetzen der anderen, die sie bisher kannten, verlangte sie eine Beerdigung nach jüdischem Gesetz. 

Ihre Verpflichtung gegenüber dem Suchen nach der Wahrheit ermöglichte es ihr schließlich, Gott zu finden und ihren eigentlichen Lebenszweck zu erfüllen: Den Glauben an IHN. Sobald  sich ihr Glaube an Gott festigte, gewann sie Vitalität, Frieden und ein tiefes Wissen, dass Gott alles nur zum Besten werden lässt.

Trotz ihrer Krankheit verkörperte sie die Worte: „Heute habe ich gelebt, wie ich es bisher überhaupt noch nie gelebt hatte!“
 
Als ihre Seele diese Welt verließ, wurde ich durch die Worte von Rabbi Nathan aus Breslev getröstet: „…In allem Leiden gibt es versteckte Bevorzugungen von Gott, und in jeder Ungerechtigkeit gibt es etwas Gerechtigkeit. In allen strengen Urteilen gibt es Güte, und in allen Fällen von geistiger Abnahme ist Gott doch anwesend. 

Alle Konflikte der Welt – ob auf globaler Ebene, vor Ort, innerhalb einer Stadt, zwischen Nachbarn oder innerhalb eines Haushalts – haben in sich Frieden versteckt. Innerhalb der schlechtesten Perioden gibt es doch gute Zeiten. Das gesamte Prinzip ist, dass die Welt voll Seiner Herrlichkeit gefüllt ist, mit Gottes Freundlichkeit und Güte. Alles dient letztlich zum Guten. Es gibt kein Ort, an dem Er nicht gegenwärtig wäre. Aber dies alles zu wissen und diese Vitalität und Lebenskraft zu erhalten, das kommt nur durch einen wahren Tzaddik (Gerechten), der das Fundament der Welt ist und diese aufrecht erhält. Was kann ich Gott zurückgeben für all die guten Dinge, die Er mir geschenkt hat und mir erlaubte, dies in voller Klarheit zu wissen!“ (Rabbi Nathans Briefe, 339)

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