Gedanken zu Pessach

Pessachseder = Gegensätze. Bitter Kraut und die Charoset, symbolisieren Elend und Bitterkeit. Die 4 Gläser Wein symbolisieren, die schöne Mahlzeit und Freiheit.

2 Min.

Rabbiner Abraham Itzchak Radbil

gepostet auf 05.04.21

Wenn man den Ablauf des Pessachseders betrachtet, entdeckt man, dass dort einige Gegensätze zum Ausdruck kommen. Zum einen gibt es das bittere Kraut und die Charoset, welche Elend und Bitterkeit der Versklavung in Ägypten symbolisieren sollen. Andererseits symbolisieren die vier Gläser Wein, die schöne Mahlzeit und die Tatsache, dass wir uns bei ihrem Verzehr anlehnen sollen, die Freiheit und die Gemütlichkeit, die wir nach unserer Befreiung genießen dürfen. Man kann sagen, dass der Grund für diesen Widerspruch darin liegt, dass wir uns sowohl an die schweren Zeiten vor der Befreiung, als auch an die nachfolgenden guten Zeiten erinnern müssen. Und nur wenn wir in der Lage sind, beide Perspektiven, vor und nach der Befreiung zu fühlen, können wir wirklich verstehen, welche Güte uns von G-tt zu teil geworden ist.

Doch die Matza selbst, das wichtigste Element des Seders, bleibt ein Paradox. Einerseits symbolisiert Matza unsere Freiheit. Die Tora selbst schreibt: “Sieben Tage sollst du sie essen,. denn in Eile bist du aus Ägypten gezogen” (Dwarim 16:3). Genauso wie auch bei den vier Gläsern Wein muss Matza in einem angelehnten Zustand verzehrt werden, was unsere Freiheit symbolisiert. Dieses unterscheidet die Matza zum Beispiel vom bitteren Kraut, bei dessen Verzehr man sich nicht anlehnt und das die Sklaverei symbolisieren soll.

Und doch wird Matza “lechem oni” (gewöhnlich übersetzt als “Brot des Kummers”) genannt. Sie ist so einfach, wie Mehl und Wasser nur sein kann. Jede Hinzufügung des Geschmackes und/oder Süßstoffes würde die Matza für den Sederabend ungeeignet machen. Es darf nur Teig aus Wasser und Mehl sein, der in einem Ofen gebacken wurde. Wie kann das die Erinnerung an Freiheit und Reichtums zum Ausdruck bringen? Wie kann es mit dem herrlich gedeckten Tisch, dem gönnerhaften Anlehnen und den funkelnden Gläsern von Wein harmonieren?

Der Maharal aus Prag (16. Jhd.) beantwortet diese Frage folgendermaßen. Der Ausdruck “lechem oni” wird seiner Meinung nach als “Brot der Armut” und nicht als “Brot des Kummers” übersetzt. Damit wird aber nicht die Armut im Sinne des Leidens gemeint, sondern eher eine Art Armut, die ein Mensch verspürt, wenn ihm etwas fehlt. Wie kann aber das Fehlen von etwas ein Symbol für die Freiheit sein? Das Gegenteil der Freiheit ist Abhängigkeit. Wenn jemand über uns herrscht und wir ihn immer um Erlaubnis bitten müssen, wenn wir etwas machen wollen, sind wir nicht frei. Und eine innere Abhängigkeit ist noch schlechter als eine Abhängigkeit von einem Außenelement. Eine Person, die einen Tag ohne einer Schachtel Zigaretten nicht überleben kann, ist nicht mehr ein völlig freier Mann. Er wird durch das Bedürfnis nach Zigaretten eingeschränkt. Zigaretten sind ein außenstehendes Element. Wie steht es mit unseren “Bedürfnissen”? Je größer unsere “Bedürfnisse” sind, desto untertäniger sind wir. Wenn zum Beispiel das Feiern zu unseren Bedürfnissen gehört, dann müssen wir dementsprechend verdienen, um uns das leisten zu können, uns Zeit für die Lokalauswahl nehmen, vielleicht sogar unseren Wohnort so wählen, dass wir es leichter zum Ausgehen haben und so weiter.

Deswegen ist das Brot (dass die Säule des Lebens ist) von Passach das einfachste. Es ist Mehl und Wasser, nichts mehr. Und ist die Basis der Existenz von jemandem so einfach wie möglich, ist seine Freiheit viel größer. Ein Rücksacktourist hat bei weitem eine größere Auswahl seiner Reiseziele als ein Jetsetter.

Die Freiheit ist für jeden Menschen das meistgeschätzte Attribut. Ein Mensch zu sein bedeutet, einen freien Willen zu haben. Um das volle Maß der Freiheit zu erreichen, müssen wir vermeiden, uns durch “künstliche” Bedürfnisse fesseln zu lassen. Je kleiner unsere Bedürfnisse werden, desto größer wird unsere Freiheit.

Der Autor ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Freiburg und Mitglied der ORD.

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