Positives Denken – das große Missverständnis

Positiv denken heißt zu wissen, dass es weitergeht, dass das Positive Teil des Negativen ist und umgekehrt, sozusagen zwei Pole derselben Sache.

3 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 04.04.21

Positiv denken, heißt zu wissen, dass es weitergeht, dass das Positive Teil des Negativen ist und umgekehrt, sozusagen zwei Pole derselben Sache.

 

Positiv denken, heißt auch zu wissen, dass alle unsere Werkzeuge einen Sinn haben und zur richtigen Zeit eingesetzt werden können und müssen. Das Leben ist keine Serie von glücklichen Momenten. Das Leben besteht aus Höhen und Tiefen, Erfolgen und Niederlagen, Vor und Zurück, es ist voll von Problemen und Herausforderungen, besteht aus großen Siegen, gewaltigen Schiffbrüchen, Enttäuschungen UND glücklichen Momenten, die man umso mehr genießen kann, eben weil sie nicht alltäglich sind.

 

Welchen Wert hat ein Sieg für jemand, der noch nie verloren hat? Welchen Wert hat eine Familie für jemand, der nie von ihr getrennt war? Und wie wichtig ist Geld für jemand, der reich geboren wurde und ohne jedes finanzielle Problem aufgewachsen ist?

 

Negativen Ereignissen ehrlich zu begegnen, die eigenen Gefühle in dem Bewusstsein zuzulassen, dass eine Zeit kommen wird, in der man auch die positiven Aspekte der Ereignisse würdigen kann, wird uns eher weiter bringen als die rosarote Brille. Ebenso werden ein paar kritische Gedanken, bevor wir uns in ein geschäftliches Abenteuer stürzen, eher Wohlstand bescheren, als ein positives Ende einfach vorauszusetzen. Positiv zu denken ist kein Wunschdenken und keine Verdrängung, sondern der positive Umgang mit dem, was man hat, ist und werden kann.

 

Viele Menschen tappen in die Positiv-Denken-Falle und lassen sich dazu hinreißen, negative Gefühle wegzudrücken. In einer Welt in der alle immer gut drauf sind, passt Trauer und Wut und ein kritischer Verstand nicht hinein. Aber sind diese Gefühle dann tatsächlich weg? Natürlich nicht – sie sind nur ausgeblendet und sammeln ihre Kräfte, um irgendwann verstärkt aufzutreten.

 

Nehmen wir an, Ihre Gesundheit lässt zu wünschen übrig, die lästigen Kilos zuviel wollen einfach nicht mehr verschwinden, Ihr Partner oder Ihre Partnerin hat sich grade mit einer oder einem anderen auf und davon gemacht, Ihr Bankkonto wächst einfach immer weiter in die falsche Richtung und als krönenden Abschluss erhalten Sie nach 25-jähriger Betriebszugehörigkeit die Kündigung von Ihrem Unternehmen – aber hey – wir wollen ja positiv denken – Durch die Kündigung haben Sie nun mehr Zeit für sich und Ihre Gesundheit, Sie können nun als freier Mensch wieder ausgehen mit wem und mit so vielen anderen, wie Sie wollen, und was das Bankkonto betrifft – wo nichts ist, kann man nichts verlieren, oder?

 

Selbsttäuschung vermeiden – ich meine, wenn Ihnen in einer solchen (zugegeben etwas überspitzt dargestellten) Situation wirklich danach ist, vor Glück zu schreien, dann herzlichen Glückwunsch. Niemand muss trauern und vor Elend weinen, nur weil das in einer solchen Lage normalerweise von einem erwartet wird. Dann geht es für Sie definitiv schneller wieder bergauf als bei anderen.

 

Aber sehr oft stimmt das einfach nicht. In den allermeisten Fällen werden Sie sich in solchen Fällen schlecht fühlen, traurig, frustriert, wütend oder was auch immer. Und tatsächlich steht das schon in der Tora: Es gibt eine Zeit des Lachens und eine Zeit des Weinens, eine Zeit zu lieben und eine Zeit zu hassen usw.

 

Positiv denken heißt, sich dessen bewusst zu sein. Niemand ist immer gut drauf. Positive und negative Gefühlszustände sind zwei Seiten derselben Medaille. Das eine bedingt das andere. Ein Mensch mit einer positiven Grundeinstellung nimmt sich die Zeit, die er braucht, um das Geschehene zu verarbeiten, zu trauern, wütend zu sein – in dem Bewusstsein, dass es danach weitergeht, dass die Zeit kommt, wieder nach vorne zu schauen und den Rest des Lebens anzugehen.

 

Sich selbst zu belügen ist sowieso komplett sinnlos. Stellen Sie sich die oben geschilderte Szene noch einmal vor, wie sie sich über die positiven Aspekte der Kündigung und der neu gewonnenen Freiheit nach außen hin freuen, während Ihr Herz trauert. Raten Sie mal, was Ihr Unterbewusstsein wirklich registriert, Ihre wahren Gefühle oder Ihr Schauspiel?

 

Das Negative ist Teil unseres Lebens. Bei geschäftlichen Aktivitäten spricht die Statistik sogar klar gegen Sie. Die meisten Geschäftsgründungen scheitern innerhalb der ersten Jahre. Ein Großteil der Partnerschaften geht wieder auseinander oder endet unglücklich. Nur eine kleine Minderheit hat heute noch den gleichen Job wie vor 10 oder 20 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen solche Dinge passieren ist überdimensional groß. Solche zunächst negativen Ereignisse gehören zu unserem Leben einfach dazu und meines Wissens wurde noch keiner davon verschont, der sich nicht gleich nach der Pubertät einmauern ließ.

 

Positiv denken heißt zu wissen, dass es weitergeht!

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