Ratgeber und Ratnehmer- Bereschit

Im Bericht über die Schöpfung des ersten Menschen heißt es: „Und Gott sprach: ...

3 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 17.03.21

Zum Wochenabschnitt Bereschit (Bereschit 1,1 – 6,8)

Ratgeber und Ratnehmer

Im Bericht über die Schöpfung des ersten Menschen heißt es: „Und Gott sprach: Lasst uns machen einen Menschen in unserem Bilde nach unserer Ähnlichkeit; und sie sollen bewältigen die Fische des Meeres und die Vögel des Himmels und das Vieh und die ganze Erde und all das Gewürm, das sich regt auf Erden. Und Gott schuf den Menschen in seinem Bilde, im Bilde Gottes schuf er ihn; Mann und Frau schuf er sie“ (Bereschit 1,26 und 27). Wir finden es nicht erstaunlich, dass der Schöpfer der Welt in der Mehrzahl spricht: „wir wollen einen Menschen machen.“ Wann wäre der Pluralis majestatis angezeigt, wenn nicht in diesem Fall? Aber Raschis Kommentar macht uns darauf aufmerksam, dass der Gebrauch der Mehrzahl an dieser Stelle nicht unproblematisch ist. Dualistische Häretiker könnten aus dem Plural einen falschen Schluss ziehen und den Monotheismus in Frage stellen. Zwar widerlegt schon der folgende Vers den möglichen Irrtum – es steht: „Gott schuf den Menschen“ –, aber die Frage drängt sich auf, warum die Tora Polytheisten einen scheinbaren Anhaltspunkt gegeben hat. Mit der Formulierung: „Ich will einen Menschen schaffen“ wäre eine Klarheit geschaffen worden, die jede Diskussion überflüssig macht.
 
Raschi gibt folgende Antwort auf die von ihm aufgeworfene Frage: Die Tora will uns Derech Eretz (kultivierte Verhaltensformen) und Demut beibringen – der Höhergestellte soll sich mit seinem Untergebenen beraten und ihn um Erlaubnis bitten. „Wir wollen einen Menschen machen“ – das besagt, Gott habe sich mit seinem himmlischen Gericht beraten. Eine solche Deutung der Mehrzahl in der Gottesrede finden wir übrigens auch an anderer Stelle. In der Geschichte vom Turmbau zu Babel heißt es: „Wohlan, lasset uns hinabsteigen und dort verwirren ihre Sprache“ (Bereschit 11,7). Raschi erklärt dort: „Aus großer Demut hat Er sich mit seinem Gericht beratschlagt.“ Nun versteht es sich, dass der Allwissende nicht auf den Ratschlag anderer Wesen angewiesen ist. Wenn es heißt, Gott habe sich beraten lassen, so kann der Sinn dieser Aussage nur darin bestehen, dass dem Menschen gesagt wird, wie er sich verhalten solle. Paradoxerweise erweist sich der himmlische Ratnehmer als ein Ratgeber!
 
Wir haben eine wichtige Lehre für den Alltag vor uns, die nicht nur Manager in einem großen Betrieb angeht. Sich beraten zu lassen, ist kein Zeichen von Schwäche und gewiss keine Schande. Gelegentlich kann jeder von uns eine guten Ratschlag brauchen. Nur hindert uns der Stolz manchmal, Fachleute um einen Ratschlag zu bitten. Dabei sollte man sich vor Augen halten, dass eine Beratung für beide Seiten eine gute Sache ist. Wer um Rat bittet, ermöglich der anderen Person eine Mitzwa der Tora zu erfüllen, und zwar Gemilut Chassadim (werktätige Liebe). 
 
Welche Bedeutung im Talmud der Beratung beigemessen wird, kann man aus der Tatsache ersehen, dass sie in der oft zitierten Tabelle der Lebensalter erwähnt wird: „Mit 50 Jahren soll man Ratgeber sein“ (Sprüche der Väter 5,24; Übersetzung von Raw Joseph Scheuer). 50 Jahre: um gute Ratschläge geben zu können, ist Reife und einige Lebenserfahrung erforderlich.
 
Dass ein Berater die Interessen des Ratsuchenden im Blick haben sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Es ist für das Judentum bezeichnend, dass auch dieser Sachverhalt im Gesetz besprochen wird. Unsere Weisen haben den Vers „vor einem Blinden lege nicht einen Anstoß“ (Wajikra 19,14) nicht nur wörtlich genommen; sie haben das Bild vom Blinden, dem kein Hindernis in den Weg gestellt werden darf, auf einen Ratsuchenden bezogen. Wie Raschi erklärt, spricht die Tora an dieser Stelle das Verbot aus, einen unangemessen Ratschlag zu geben. Den Vers „Verflucht sei, der irreführt einen Blinden auf dem Wege“ (Dewarim 27,18) interpretiert Raschi im gleichen Sinne: verflucht wird, wer einem, der blind in einer Sache ist, einen schlechten Rat gibt.
 

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.