Besondere Kräfte

Es war eine dunkle, kalte Nacht in Russland, vor etwa 150 Jahren. Stürmischer Regen durchfegte die Straßen.

3 Min.

Rabbiner Benjamin Sufiev

gepostet auf 05.04.21

Es war eine dunkle, kalte Nacht in Russland, vor etwa 150 Jahren. Stürmischer Regen durchfegte die Straßen.

Der große chassidische Meister Rabbi Jehoschua Heschel von Apta saß in seinem Zimmer und lernte aus der Thora, als jemand an die Tür klopfte. Es war drei Uhr morgens.

Der Rebbe schlief fast nie; aber es war sehr ungewöhnlich, dass ihn jemand um diese Zeit besuchte – es sei denn, es war ein echter Notfall.

Der Rebbe öffnete ihm die Tür. Ein offensichtlich verstörter Mann trat ein. Seine Kleider waren zerknittert, er sah aus, als habe er nicht geschlafen und schrie verrückt vor Angst: „Rebbe!“ Seine Augen waren rot vom Weinen und vor Müdigkeit.
 
„Meine Frau liegt seit zehn Tagen in den Wehen, doch das Kind will einfach nicht kommen. Der Arzt sagt, er müsse operieren, aber er hat wenig Hoffnung. Bitte, Rebbe, helft uns; sagt mir, was ich tun soll!“
 
Kann der Rebbe helfen?
 
Der Rebbe faltete die Hände auf dem Tisch und senkte den Kopf, als wolle er meditieren oder beten. Dabei wirkte er sehr ernst. Seine Stirn war gerunzelt und feucht von Schweiß. Mehrere Minuten lang verbrachte er in Meditation, während der arme Mann unruhig wartete. Sollte er gehen? Sollte er etwas sagen?
 
Endlich hob der Rebbe den Kopf und sagte feierlich: „Du kannst nach Hause gehen. Du hast einen Sohn. Deine Frau hat einen Knaben geboren. Masal Tow!“
 
Der Besucher traute seinen Ohren nicht, als er diese freudige Nachricht vernahm. Endlich kam das Kind auf die Welt und die Frau war von ihren Qualen befreit!  Doch warum war der Rebbe weiterhin so ernst? Er ergriff die Hand des Rebben und stammelte ungefähr zehnmal: „Ich danke Euch, ich danke Euch!“
Dann ging er rückwärts aus dem Zimmer, wobei er fast hinfiel, und rannte nach Hause.
 
Kaum hatte er die Tür geöffnet, hörte er die Schreie seines Kindes. Seine Frau war erschöpft, aber lebendig, und sie lächelte sogar ein wenig. Er brach in Freudentränen aus. Es war ein Wunder, welches er nicht verstand.
 
Am nächsten Tag kehrte der Mann zum Rebben zurück, um für seine Aufdringlichkeit am vorigen Abend um Verzeihung zu bitten und um sich erneut zu bedanken.

Aber die Chassidim hielten ihn auf, ehe er eintreten konnte, und drängten ihn, den Rebbe zu fragen, was er gestern getan habe – was hatte der Rebbe getan, als er den Kopf minutenlang auf die Arme gelegt hatte?
Zuerst weigerte sich der Mann. Doch die Chassidim drängten ihn sehr, bis er sich schließlich bereit erklärte, die Frage zu stellen.
 
Eine hohe Seele

Das tat er demütig, bevor er das Zimmer des Rebben verließ.

Ernst antwortete der Rebbe: „Dein Sohn hat eine sehr spirituelle Seele. Sie wollte sich nicht von der spirituellen Wahrheit des Himmels trennen und in eine Welt der Falschheit und der Sorgen hinabsteigen. Darum habe ich mit ihr gesprochen. Ich versprach ihr, sie werde auf dieser Welt besondere Kräfte haben, die selbst auf den höchsten spirituellen Ebenen nicht verfügbar seien. Dank dieser Kräfte werde sie G`tt jenseits aller Grenzen dienen können. Erst dann war die Seele deines Kindes bereit, auf die Erde zu kommen.“
 
Als die Chassidim diese Antwort aus dem Munde des Vaters hörten, interessierten sie sich sehr für dieses Kind, was für ein großer Mensch es werden würde! Sie beschlossen, es im Auge zu behalten.
 
Doch sehr bald stellte sich heraus. dass der Knabe kein einfaches Leben haben sollte.

Ein Jahr nach der Geburt des Knaben starb seine Mutter, sieben Jahre später auch sein Vater. Nun war er ein Vollwaise. Man schickte ihn von einem Verwandten zum anderen.

Die Chassidim taten, was sie konnten, um ihm zu helfen; dennoch litt er unter seiner Armut und unter den schrecklichen Verfolgungen, die der Zar Nikolaus angezettelt hatte.
 
Als der Knabe zehn Jahre alt war, wurde er zusammen mit einem Gefährten zur Armee eingezogen. Damals wurden jüdische Knaben auf Befehl des Zaren in die Armee gezwungen, denn man wollte sie dadurch von ihren jüdischen Wurzeln trennen, sodass sie zum Christentum übertreten.
 
Von da an konnten die Chassidim ihm nur noch schreiben. Sie schrieben ihm einmal die Woche, und er antwortete, so schnell er konnte.
 
Der Wille eines Zehnjährigen

In seinen seltenen Briefen berichtete er, dass man ihn und seine Freunde quälte, weil sie versuchten, den Schabbat einzuhalten. Aber er sei entschlossen, dem G`tt seiner Väter treu zu bleiben. Dann kamen keine Briefe mehr.
 
Ein halbes Jahr später bekamen sie einen Brief vom Freund des Jungen. Er berichtete, der Junge sei an den Schlägen gestorben, die man ihm verabreicht habe, weil er kein Christ werden wollte.

Auf traurige Weise begriffen nun die Chassidim, von welchen besonderen Kräften der Rebbe sprach.

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