Immer schön sauber bleiben

Warum die Gesetze der rituellen Reinheit dem Eheleben förderlich sind ...

4 Min.

Rabbiner Benjamin Kochan

gepostet auf 17.03.21

SEXUALITÄT

 

Warum die Gesetze der rituellen Reinheit dem Eheleben förderlich sind.

 

Unser Wochenabschnitt Tasria handelt von der Reinheit und von Unreinheiten des menschlichen Körpers. Eines der Gebote bezieht sich auf die »rituelle Unreinheit« der Frauen nach der Geburt. Es steht geschrieben: »Wenn eine Frau empfängt und einen Knaben gebärt, ist sie sieben Tage unrein … Wenn sie ein Mädchen gebärt, ist sie zwei Wochen unrein« (3. Buch Mose 12,2-5).

 

Die hier angegebene Dauer der Unreinheit bezieht sich auf die Absonderung von ihrem Ehemann und gleicht den Vorschriften für eine menstruierende Frau. Nachdem die Frist von sieben oder 14 Tagen abgelaufen ist, wird sie zwar Menschen gegenüber als rein erklärt, muss aber noch weitere 33 – nach der Geburt eines Mädchens 66 Tage – warten, bevor sie das Tempelheiligtum betreten kann. In dieser Zeit darf sie keinen ehelichen Verkehr mit ihrem Mann haben.

 

Es gibt Vorschriften, wie sich Mann und Frau während dieser Zeit verhalten sollen. Die Reinheitsgesetze auf rationale Weise zu erörtern, erweist sich als schwierige Aufgabe. Diese Schwierigkeit besteht darin, dass der Sinn vieler Gebote dem menschlichen Verstand nicht zugänglich ist. Alle 613 Gebote der Tora werden in sechs Gruppen kategorisiert. Die verschiedenen Gruppen drücken die Eigenarten der Gesetze aus.

 

 

CHUKIM

 

Die Gruppe »Mizwot« enthält Gesetze, die dem menschlichen Verstand einleuchtend sind, wie zum Beispiel das Gebot der Elternehre oder das Verbot, einen Menschen zu töten. Eine andere Gruppe bezeichnet man als »Mischpatim«. Sie enthält solche Gesetze, die das Verhältnis zwischen Menschen in Bezug auf das Eigentum regeln. Die Reinheitsgesetze werden der Gruppe »Chukim« zugeordnet. Sie enthalten Regelungen, die uns völlig unverständlich sind, zum Beispiel das Verbot, Kleider zu tragen, die aus Wolle und Leinen bestehen, die Speisegesetze und auch die Reinheitsgesetze.

 

In der langen jüdischen Geschichte hat es an großen Denkern nicht gefehlt, die den Versuch unternahmen, die Chukim zu erklären. Rambam erklärt als Mediziner, dass es gesundheitsschädigend sei, verbotene Speisen zu essen. Eine Erklärung für die Reinheitsgesetze war, dass diese beabsichtigen, den Menschen vor Gott ehrfürchtig zu machen, weil der Verunreinigte erst nach umständlichen und lang andauernden Reinigungsritualen den Tempel betreten darf.

 

 

NATUR

 

Auch das »Sefer Hachinuch« aus dem 13. Jahrhundert versucht, diese Reinheitsrituale auf rationale Weise zu erklären. In Bezug auf die Reinheitsgesetze geht das Sefer Hachinuch einleitend auf die allgemeinen Ursachen für menschliche Krankheiten ein. Diese liegen entweder in einem Übermaß oder einem Mangel im Körper oder einem Schaden desselben. Der Autor sagt: »Solange seine Natur in höchstem Maße ausgewogen ist und keinen Schaden erleidet, erkrankt der Körper nicht.« Der absichtliche Verstoß gegen die Gebote verursache im Körper des Menschen ein Übermaß oder einen Mangel, sodass der Körper ins Ungleichgewicht gerate und erkranke.

 

Bei dem Verbot von Trefah, unreinen Speisen, wird erklärt, Gott untersage, alle Dinge zu verzehren, die dem Körper Schaden zufügen. Wenn diese Gebote nicht eingehalten werden, wird dem Körper Schaden zugefügt, der ihn aus dem Gleichgewicht bringt. So entfernt Gott uns aus demselben Grund von der gebärenden wie auch von der menstruierenden Frau, bis sie sich von ihrer Unreinheit befreit hat.

 

 

MEDIZIN

 

Es ist verständlich, dass keiner der angeführten Erklärungsversuche hinlänglich ist. Zumindest würde keine dieser Erklärungen dem Stand heutiger Medizin entsprechen. Ein anderer Versuch, diese Gesetze verständlich zu machen, beruht auf dem Vers im 3. Buch Mose 20,24: »Ich bin der Ewige, Euer Gott, der ich Euch ausgesondert habe aus den Völkern.« Hieraus sieht man, dass dem jüdischen Volk besondere Speise- und Reinheitsgesetze zugewiesen wurden, damit es sich als besonderes Volk kennzeichne und sich von anderen Völkern absondere.

 

Jedoch ist auch diese Auffassung unzulänglich, denn hier werden Ursache und Wirkung vertauscht. Im 5. Buch Mose 14,2 heißt es: »Denn ein heiliges Volk bist du dem Ewigen, deinem Gotte, und dich hat erkoren der Ewige, ihm zu sein ein Volk des Eigentums aus allen Völkern, die auf der Fläche des Erdbodens.« Eben weil Gott die Juden als ein heiliges Volk auserwählt hat, verpflichtet er uns, die Gebote zu halten, und nicht umgekehrt.

 

 

ERHOLUNG

 

Zuletzt möchte ich eine interessante psychologische Erklärung anführen. Unsere Weisen sagen über die Gebote, die die Periode der Frauen betreffen, dass diese, abgesehen von ihren vielen und wichtigen Grundsätzen, einen großen Nutzen haben. Dieser Nutzen liegt in der Trennung des Ehemannes und der Ehefrau für eine bestimmte Zeit, was dazu führt, dass Frau und Mann sich in der Zeit der Enthaltsamkeit lieber werden. So werden sie nicht durch ständige Nähe voneinander abgestoßen, und ihre Augen richten sie nur auf den anderen. Folglich sichern die Vorschriften der Distanz die Stärke, Harmonie und Lebendigkeit der ehelichen Beziehung.

 

Der gleiche Grundgedanke gilt für die Gebärende. Der Mann muss auf den Geschlechtsverkehr nach der Geburt erst einmal verzichten, denn die Frau kann in den Augen des Mannes in dieser Zeit nicht attraktiv erscheinen. Für die Frau ist damit auch eine Zeit der Erholung von den Geburtsstrapazen gesichert.

Wir sehen, dass die »Unreinheit« der Frau und die damit verbundene Distanz, die auf ersten Blick sehr sonderbar und manchmal sogar sehr unverständlich wirkt, eine überaus wichtige Maßnahme ist, um die Ehe gefühlvoller und damit auch stärker zu machen.

 

Die Gesetze der rituellen Reinheit der Frau sind damit eine der wichtigsten Grundlagen für eine jüdische Ehe, die zu einer starken und stabilen Bindung führen. Aus diesem Beispiel wird ersichtlich, welch unglaubliche Weisheit die Gebote und Mizwot der Tora enthalten. Auch wenn die Gebote manchmal auf den ersten Blick unverständlich erscheinen, führen sie uns zu einem seelischen Gleichgewicht und haben Gültigkeit für alle Zeit.

 

 

Der Autor ist Rabbiner und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien auch in der Jüdischen Allgemeinen.

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