Von den zwischenmenschlichen Beziehungen

Diese Woche lernen wir eine ganze Reihe von Ge- und Verboten über zwischenmenschliche Beziehungen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Mahnung, den Nächsten nicht zu schädigen.

3 Min.

Rabbiner Schlomo Aviner

gepostet auf 05.04.21

Parschat "Mischpatim" (2. Buch Moscheh 21,1 – 24,18)

 

Freiheit und die Ehrung der Eltern

 

In diesem Wochenabschnitt beginnt die Tora in detaillierter Weise die tägliche Lebensführung des Juden in allen ihren Bereichen zu behandeln, zuallererst das Thema der Knechtschaft. Die Feststellung der Freiheit steht am Anfang: "..der mich nicht zum Sklaven geschaffen" [aus dem tägl. Morgengebet] – Knechtschaft verletzt die Persönlichkeit, das Ebenbild G~ttes des Menschen. Es gibt verschiedene Arten der Knechtschaft; Knechtung durch Nichtjuden, Ausbeutung durch Verbrecher und die Kapitulation vor den eigenen Trieben, eine Art geistige Knechtschaft. Alle diese unterliegen demselben Prinzip: dem Fehlen der menschlichen Selbstbestimmung im spirituell-ideellen Sinne, im Sinne der Freiheitlichkeit und der Tora, und so versteht sich von selbst, dass so ein Mensch nicht zur vollen Entfaltung kommt. Darum steht dieses Thema an erster Stelle, denn die Tora ist nicht für Engel gedacht, sondern für normale und unabhängige Menschen. Da sich die Tora an jene wendet, muss zuallererst geprüft werden, ob ein passender Empfänger vorhanden ist, und wenn der Mensch von Anderen beherrscht wird, so gibt es eben keinen Empfänger.

 

Zuerst muss man Mensch sein und nicht Knecht, denn dieser Status zählt geringer. Dadurch wird das Niveau des Dienstes an G~tt bewahrt, der wahre Freiheit und Unabhängigkeit bedeutet. Dem Schöpfer der Welt dienstbar zu sein – dem König, der Leben liebt, dem König des Lebens – ist keine Knechtschaft.

 

Manchmal ist man dem Willen seiner Eltern unterworfen, die glauben, auch über die schon erwachsenen Kinder herrschen zu dürfen und sie dadurch in ihrer spirituellen und religiösen Entwicklung behindern. Daher müssen diese eisernen Bande ein für alle Mal gesprengt und die psychologischen Hindernisse der Selbstbestimmung aus dem Weg geräumt werden, um sich von dieser psychologischen Knechtschaft zu befreien. Die Pflicht der Ehrung von Vater und Mutter verlangt nicht nach einer Übertretung des jüdischen Religionsgesetzes, und im "Schulchan Aruch" steht ausdrücklich, dass die Eltern bei der Wahl des Ehepartners nicht das letzte Wort haben (J.D. 240,25). Manchmal führt die Einmischung der Eltern in die Partnerwahl zu wahren Familientragödien bis hin zur Auflösung einer Verlobung. Der gleiche Grundsatz gilt auch bezüglich der spirituellen Entwicklung des Menschen und sein intensives Torastudium; hier muss er unabhängig sein und seine Entscheidungen gestützt auf seine eigenen Überlegungen selber treffen.

 

Von den zwischenmenschlichen Beziehungen

 

Diese Woche lernen wir eine ganze Reihe von Ge- und Verboten über zwischenmenschliche Beziehungen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Mahnung, den Nächsten nicht zu schädigen. Der Talmud gibt drei Definitionen von Frömmigkeit: "Wer ein Frommer sein will, halte die Gesetze von den Schädigungen. Rawa sagte: Die Vorschriften [des Traktates Sprüche] der Väter. Manche sagen, die Vorschriften [des Traktates] von den Segenssprüchen (=Brachot)" (Baba Kama 30a).

 

Der MaHaRaL ("hohe Rabbi Löw" aus Prag) spricht in seinen Werken von drei Dimensionen der Frömmigkeit:

 

1. Die Vollkommenheit der Beziehung zum Nächsten – durch die Verhinderung von Schädigungen,

2. die Vollkommenheit der Beziehung zum Herrn der Welt, wie im Traktat Brachot geschildert, und

3. die Vollkommenheit der charakterlichen Eigenschaften des Menschen, wie sie durch die moralische Anleitung der Mischna "Sprüche der Väter" entwickelt wird.

 

Wie dem auch sei, werden hier auf jeden Fall negative Aspekte, nämlich die Notwendigkeit der Verhinderung von Schädigungen erwähnt. Entsprechend erwiderte Hillel der Ältere dem Fragesteller, der die ganze Tora auf einem Bein stehend erklärt haben wollte: Was du nicht willst, das man dir tu – das füg' auch keinem andern zu! (Schabbat 31a; dort reimt es sich allerdings nicht). Schon häufig wurde dazu die Frage aufgeworfen, warum diese Weisheit nicht auf positive Art gelehrt werde ['Tue deinem Nächsten so, wie du von ihm behandelt werden willst']. Wäre das nicht von wesentlich höherem spirituellen Rang?

 

Dazu erklärte Rabbiner Avigdor Ami'el, es sei leichter, "Gutes zu tun", als das "Böse zu meiden", wie die Realität zeigt. Es gibt Leute, die zwar Mildtätigkeit üben, gleichzeitig aber den Anderen verletzen sowie Zank und Streit säen. Das hat mehrere Gründe:

 

1. Die Mildtätigkeit erscheint bei ihnen spontan und impulsiv, wohingegen die Stufe des "meide Böses" konstante Vorsicht und Aufmerksamkeit erfordert.

2. Der Mensch empfindet Vergnügen, aktiv zu sein, und beim Gefühl, etwas Gutes zu tun, was durch Vermeiden der Schädigung seines Nächsten viel schwerer zu erlangen ist.

3. Für jede gute Tat macht man dem Menschen ein Mischeberach in den höchsten Tönen und in aller Öffentlichkeit, wohingegen das Meiden des Bösen seinen Anhängern keinen besonderen "Segen" bringt, und wir haben noch nie ein Mischeberach über jemanden gehört, nur weil er nicht stiehlt und andere übers Ohr haut…

 

Wer also ein wirklich Frommer sein will, erfülle die Gesetze von der Vermeidung von Schädigungen.

 

Oberrabbiner von Bet El und Leiter der Jeschiwa "Ateret Kohanim/Jeruschalajim" in der Altstadt von Jerusalem übersetzt von R. Plaut Chefredakteur von KimiZion.

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.