Beschneidung

Eine Nacht, alles ist dunkel. Eine Frau mit einem Baby in ihren Armen steigt in einen Zug. Das Herz der Frau klopft.

4 Min.

Rabbiner Avichai Apel

gepostet auf 05.04.21

Eine Beschneidung in Dortmund?
 
Eine Nacht, alles ist dunkel. Eine Frau mit einem Baby in ihren Armen steigt in einen Zug. Das Herz der Frau klopft. Am Morgen, als sie die Großstadt erreicht, eilt sie – einerseits voll großer Furcht, andererseits erfüllt von großer Freude – zu einer Adresse. Wird es ihr gelingen? In dem Haus warten bereits zehn Personen – eine „Minjan“. Alle kennen sich und alle sind verlässlich.

An der Tür ist ein Klopfen zu vernehmen. Die Versammelten zeigen Furcht – wer weiß schon, hat sie vielleicht jemand  verraten? Die Frau geht hinein und Boris, oder „Rabbi Baruch, der Mohel“ – wie er in der Synagoge genannt wird – beschneidet so schnell wie möglich den kleinen, acht Tage alten Jaakov-Jascha, spricht das Gebet „Gelobt seiest Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der Du uns geheiligt durch Deine Gebote und uns befohlen, den Sohn in den Bund unseres Vaters Abraham aufzunehmen“. Er verbindet die Wunde, es wird „Le’Chaim“ angestoßen und gleich, nachdem sie „Mazel-Tov“ gewünscht haben, gehen alle nach Hause. Jaakov-Jascha und seine Mutter kehrten am gleichen Tag  mit großer Freude nach Hause zurück, weil Jaakov, wie sein Vater und Großvater vor ihm, am achten Tag nach der Geburt die Beschneidung erleben dürfte und sich als voller Juden fühlen kann.

Der Akt der Beschneidung weckt bei uns das Bedürfnis zu verstehen, wie dieser Eingriff unseren Status verändert und warum er so wichtig ist.

Im Alter von neunundneunzig Jahren wurde Abraham von Gott befohlen, sich selbst und seine Söhne zu beschneiden. Aus diesem Anlass wurde die Beschneidung von einem Akt eines einfachen Eingriffs zu einem Akt von einer tiefen Bedeutung aufgewertet: Dem Beschnittenen wird das Gefühl und die Annerkennung verliehen, dass sein Körper und seine Seele als Beschnittener eine völlig andere Bedeutung gewinnt. Natürlich reduziert dieser Eingriff die Gefahr von bestimmten Krankheiten, aber nicht das ist das Ziel des Eingriffs. Dieser soll dazu dienen, den ewigen Bund zwischen uns und Gott zu schließen. Die Erklärung: „Ich bin Jude und glaube auch von ganzem Herzen an Gott“, ist nicht ausreichend. Die Bedeutung unseres Jüdisch-Seins soll täglich ausgedrückt werden und uns vom achten Tag nach der Geburt, von dem Tag an, ab dem wir physisch zur Beschneidung bereit sind – bis an unseren letzten Tag begleiten. Dies bedeutet, dass es uns dadurch nicht möglich ist, unsere Identität und Zugehörigkeit zum Volk Israel zu vergessen, weil unser Körper dadurch geprägt wurde.

Das Gebot der Beschneidung wurde dem Volk Israel nicht, wie die anderen Gebote, am Berg Sinai gegeben. Es handelt sich dabei um das erste Gebot, welches Abraham als Begründer der jüdischen Religion empfangen hat, um ein Zeichen zu setzten, welches bereits mit der Entstehung des Volk Israels festgelegt wurde: Jeder, der ein Teil des Volkes Israel werden möchte, soll am eigenen Körper durch diesen Bund gezeichnet sein.

Die Thora stellt fest, dass nicht die Beschneidung allein der Bund ist, sondern dass es sich dabei um ein Zeichen für den Bund handelt. Dies Zeichen soll vor dem Individuum und der Öffentlichkeit zeigen und symbolisieren, dass der vor uns stehenden Menschen täglich ein Zeichen mit sich trägt, ein Zeichen, welches die Tiefsinnigkeit des Menschen zeigt. Wie jedes andere Zeichen und Symbol hat auch dieses Zeichen die Kraft, ein verbindender und zugleich ein trennender Faktor zu sein: Die Bedeutung der Beschneidung liegt darin, alle Juden zu vereinen und den Unterschied zwischen unserem und dem Glauben der anderen Völker zu definieren.

Dementsprechend wird deutlich, dass das in allen Jahren in Eretz-Israel und im Exil durch das Volk Israel  eingehaltene Gebot der Beschneidung für uns die Bewahrung der Kontakterhaltung zwischen uns und unserer individuellen Identität als Juden ausdrückt.

Die Beschneidung ist ein Gebot, das die Pflicht der Eltern des Babys acht Tage nach der Geburt ist, wenn der Gesundheitszustand es ermöglicht, um das Herz und den Körper des Kindes mit einem Zeichen zu versehen, so dass bereits mit seiner Ankunft in der Welt erkennbar sein wird, dass es jüdisch ist. Und dieses Zeichen wird uns an jedem Ort und in jeder Situation, in die wir kommen werden, begleiten. An der heimlichsten Stelle des Körpers wird uns die Tatsache unseres Jüdisch-Seins vor Augen geführt.

Heutzutage gibt es viele Erwachsene, die wegen diskriminierenden Gesetzen und einer Erziehung, mit der versucht wurde, Juden von ihrem Jüdisch-Sein zu entfernen,  eine Beschneidungszeremonie nicht erleben durften. Viele Eltern wollten sich und ihre Kinder nicht in Gefahr bringen. Dadurch aber wurde, anstatt es zu schwächen, das Bedürfnis von vielen Erwachsenen verstärkt, die Beschneidung – egal wie alt sie sind, selbst in Abrahams Alter – durchführen zu wollen. Es ist unter besten medizinischen Bedingungen und mit einem qualifizierten Mohel möglich, dies zu tun und Gott dafür zu danken, dass sie es geschafft haben, sich für den Rest ihres Lebens auf praktische Weise als Juden erkennbar zu machen.

In dieser Zeit und dem Anlass, wenn wir der Zerstörung des Tempel gedenken und dafür beten, dass Jerusalem wieder ein geistiges Zentrum für das ganze jüdische Volk werden wird, wollen wir darüber informieren, dass in Dortmund die Möglichkeit besteht, eine Beschneidungszeremonie abzuhalten. Diese kann in einer professionellen Klinik unter der Begleitung eines Urologen, aber durch einen autorisierten Mohel durchgeführt werden. Diese Möglichkeit steht für jeden offen, jung oder alt, Vater sowie Großvater und bei Bedarf für die ganze Familie.

* Wir möchten erklären, dass der Akt der Beschneidung das Beschneiden der  Vorhaut, die den Vorderteil des männlichen Geschlechtsteils bedeckt, bedeutet. Es handelt sich dabei nicht um das Kürzen des Geschlechtsteils, sondern lediglich um das Entfernen der vorderen, das Organ bedeckenden Haut.
 

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund und Mitglied in der ORD.

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