Der Lahme

Ein alter und weiser Mann rief vor seinem nahen Tod alle seine Kinder und Verwandten zu sich. Er trug ihnen als Verpflichtung auf, die Bäume zu wässern ...

14 Min.

Rabbiner Nachman aus Breslev

gepostet auf 05.04.21

Die Erzählungen des Rabbi Nachman aus Breslev
 
Die dritte Erzählung handelt:
 
 vom
Lahmen

 

Ein alter und weiser Mann rief vor seinem nahen Tod alle seine Kinder und Verwandten zu sich. Er trug ihnen als Verpflichtung auf, die Bäume zu wässern: »Für euren Lebensunterhalt könnt ihr auch auf andere Weise sorgen, aber ihr sollt euch immer bemühen, das eine zu tun: Bäume zu bewässern.«

Darauf starb der alte Weise. Unter den Kindern, die er hinterließ, war auch ein Sohn, der nicht gehen konnte. Er  konnte wohl stehen, aber nicht gehen. Seine Brüder versorgten ihn deshalb mit dem, was er zum Leben brauchte. Sie gaben ihm immer so reichlich, dass davon stets etwas übrig blieb. Und nach und nach hatte er von dem Übriggebliebenen eine ordentliche Summe zusammengespart. Da kam ihm ein Gedanke in den Sinn: »Was soll ich mich immer von den anderen versorgen lassen! Besser wäre es, ich würde selbst Handel treiben.«
 
Obwohl er nicht gehen konnte, entschloss er sich, einen Wagen zu mieten, dazu einen verlässlichen Diener und einen Kutscher, um mit ihnen nach Leipzig zu reisen und dort Geschäftsverbindungen anzuknüpfen. Als seine Familie davon hörte, war sie sehr erfreut, und es hieß: »Wozu sollten wir ihn weiter ernähren. Besser ist es, wenn er selbst für seinen Lebensunterhalt sorgt.«
 
Sie liehen ihm noch einiges Geld dazu, damit er gut ins Geschäft kommen könnte. Er ging daran, seinen Plan auszuführen, mietete einen Wagen, stellte einen Diener und einen Kutscher ein und begab sich auf die Reise. Als sie zu einem Rasthaus gelangten, schlug der Diener vor, die Nacht dort zu verbringen. Doch der Lahme lehnte strikt ab. So sehr man ihn auch drängte, er weigerte sich entschieden. So fuhren sie weiter durch die Nacht und verirrten sich dabei in einem Wald. Hier fielen unverhofft Räuber über sie her. Mit diesen Räubern hatte es eine besondere Geschichte: Als einmal eine große Hungersnot herrschte, kam ein Mann in die Stadt und verkündete: Wer zu essen haben will, der soll zu ihm kommen. Viele kamen. Er sah sich die Leute sehr genau an, und alle, die er nicht für tauglich hielt, wies er wieder ab. Zu  einem sagte er: »Du kannst ein Handwerk erlernen.« Zu einem anderen: »Du kannst in einer Mühle arbeiten.«
 
Er suchte sich nur die klügsten und stärksten Burschen aus und zog mit ihnen in den Wald. Dort machte er ihnen den Vorschlag, Räuber zu werden: »Hier führen die Wege nach Leipzig, nach Breslau und nach anderen großen Städten vorbei. Auf denen reisen die Kaufleute, die wir ausrauben können und kommen so zu einer Menge Geld.«
 
Diese Räuberbande also fiel über sie her. Der Kutscher und der Diener, die ja laufen konnten, rannten augenblicklich davon. Der Lahme aber blieb auf dem Wagen sitzen. Die Räuber kamen, nahmen ihm die Kassette mit dem Geld weg und fragten ihn: »Was sitzt du da noch herum?«

Er erwiderte, er könne nicht gehen. Da raubten sie ihm auch noch die Pferde und ließen ihn auf dem Wagen zurück. Der Diener aber und der Kutscher sagten sich: »Wozu sollten wir nach Hause zurückkehren?«

Sie hatten im Voraus bezahlte Aufträge adliger Herren bei sich – da würden sie womöglich in Ketten gelegt werden.

Besser, sie blieben in der Fremde, und würden Diener und Kutscher bei anderen Herren. Der Lahme aber, der ja nicht gehen konnte und auf dem Wagen saß, lebte von dem Reiseproviant, den er von zu Hause mitgenommen hatte, bis alles aufgebraucht war. Er hatte nichts mehr zu essen und fragte sich besorgt, wie es nun mit ihm weitergehen sollte. So ließ er sich vom Wagen hinabgleiten und lebte von dem, was auf dem Boden wuchs. Ganz allein nächtigte er auf dem Feld. Vor lauter Angst verließen ihn die Kräfte, sodass er nicht einmal mehr stehen, sonder nur noch mühsam kriechen konnte. Er aß das Gras in seinem Umkreis, so weit er um sich greifen und es erreichen konnte. Dann, als das Gras um ihn herum aufgezehrt war, kroch er weiter, bis er wieder etwas zu essen fand.

So lebte er für einige Zeit nur vom Gras. Einmal fand er ein Kraut, wie er es noch nie gesehen hatte. Es schmeckte ihm sehr und da er jetzt eine geraume Zeit von Kräutern gelebt hatte, waren ihm die meisten sehr vertraut, aber dieses Kraut hatte er noch nie bisher gefunden. Er beschloss, es mitsamt der Wurzel auszureißen. Da entdeckte er unter der Wurzel einen Diamanten. Dieser Diamant hatte vier Seiten, jede davon mit einer ganz besonderen Eigenschaft. Auf der einen Seite stand: Wer an dieser Seite anfasst, den wird er dahin tragen, wo Tag und Nacht zusammenkommen – dort, wo Sonne und Mond sich einander treffen. Wie er das Kraut mit seiner Wurzel herauszogen hatte, bekam er den Stein gerade an dieser Seite zu fassen.

Der Stein trug ihn fort – dorthin, wo Tag und Nacht sich treffen. Er schaute sich gerade um, da hört er, wie Sonne und Mond miteinander sprachen. Die Sonne klagte dem Mond: »Es gibt einen Baum voller Zweige, Früchte und Blätter. Jeder Zweig, jede Frucht und jegliches Blatt besitzt eine ganz besondere Eigenschaft. Eines ist gut gegen Kinderlosigkeit, ein anderes gut für den Lebensunterhalt. Jenes bewirkt Heilung bei dieser und wieder ein anderes bei jener Krankheit. Alles an diesem Baum ist für etwas Besonderes gut. Doch man hätte diesen Baum bewässern müssen. Würde man ihn regelmäßig bewässern, so wäre er sehr wirksam. Doch nicht genug, dass er nicht bewässert wird. Ich scheine auf ihn und lasse ihn dadurch vertrocknen.«
 
Da antwortete der Mond: »Was kümmerst du dich um anderer Leute Sorgen?! Ich will dir meine Sorgen erzählen. Ich habe tausend Berge und um diese herum noch einmal tausend Berge. Dort ist der Ort, an dem die Dämonen hausen. Dämonen mit dünnen Hühnerbeinen und darum ohne Kraft in den eigenen Beinen. Sie saugen mir alle Kraft aus den Beinen, sodass ich völlig kraftlos bin. Ich habe einen besonderen Staub, der meinen Beinen gut täte – doch es weht ein Wind, der trägt ihn immer wieder fort.«
 
Die Sonne erwiderte: »Ach, das macht dir Sorge! Dann will ich dir von einem Heilmittel berichten. Es gibt da einen Weg, von dem viele Wege ausgehen. Einer ist der Weg der Zaddikim. Auf diesen schüttet man dem Zaddik bei jedem Schritt des Weges, von dem alle ausgehen, Staub unter die Füße. Jeder Schritt, den er tut, tut er auf diesem Staub. Ein anderer Weg ist der Weg der Ungläubigen. Auf ihm schüttet man dem Ungläubigen ebenso diesen Staub unter die Füße. Es gibt auch einen Weg der Verrückten. Auf ihm wird der Staub den Verrückten unter die Füße geschüttet. Viele verschiedene Wege gibt es und so auch einen Weg für die Zaddikim, die Leiden auf sich nehmen und von harten Herren in Bande geschlagen werden. Diese Zaddikim sind ohne Kraft in ihren Beinen. Darum wird ihnen Staub von diesem Weg unter die Füße gestreut, und sie bekommen wieder Kraft in den Beinen. Geh du also dahin, wo es viel von dem Staub gibt, und du wirst Heilung für deine Beine finden!« (All das sind die Worte der Sonne an den Mond.)
 
Der Lahme hörte das alles und hatte dabei einen Blick auf die andere Seite des Diamanten geworfen. Dort stand geschrieben: Wer ihn auf dieser Seite anfasst, den wird er zu dem Weg hintragen, von dem viele Wege ausgehen. Er fasste den Stein an dieser Seite an – und schon war er fort. Da brachte er seine Beine auf den Weg, dessen Staub den Beinen Heilung verschafft, und sofort wurden sie geheilt. Nun machte er sich daran und nahm Staub von allen Wegen, füllte sie jeweils gesondert in Säckchen – den vom Weg der Zaddikim in eines und den von den anderen Wegen in andere – und nahm sie mit. Er dachte lange nach und ging zurück zu dem Wald, wo man ihn ausgeraubt hatte.

Dort angekommen, wählte er einen hohen Baum unweit des Weges, von dem aus die Räuber immer auf Beute ausgehen. Er nahm etwas vom Staub der Zaddikim und vom Staub der Verrückten, mischte sie miteinander und bestreute damit den Weg. Dann stieg er hinauf in den Baum und wartete, um zu sehen, wie es den Räubern ergehen würde. Er sah, wie sie auszogen. Ihr Hauptmann hatte sie ausgeschickt, große Beute zu machen. Sowie nun die Räuber den Weg betraten und einen Schritt auf dem Staub getan hatten, wurden sie zu Zaddikim und fingen an, sich die Seele aus dem Hals zu schreien, beklagten, wie sie bis heute geraubt und wie viele Menschen sie umgebracht hatten! Weil aber der Staub der Verrückten darunter gemischt war, wurden sie augenblicklich zu verrückten Zaddikim. Sie fingen an, sich zu streiten.
 
Dieser rief: »Deinetwegen haben wir gemordet!« Und jener: »Nein, deinetwegen!« So sehr zerstritten sie sich, dass einer den anderen umbrachte.
 
Der Räuberhauptmann schickte wieder Räuber los, denen es nun genauso erging wie den ersten – sie brachten sich gegenseitig um. So geschah es einige Male, bis außer dem Anführer und noch einem Räuber keiner mehr übrig geblieben war. Da stieg der Mann vom Baum und fegte den Staub vom Wege. Stattdessen verstreute er nun nur vom Staub der Zaddikim und setzte sich wieder in seinen Baum. Der Anführer der Räuber wunderte sich sehr: Er schickt seine Leute los und keiner kam zurück! Er überlegte und machte sich mit dem, der noch bei ihm geblieben war, auf den Weg. Und sowie er den Weg betrat, wurde auch er zum Zaddik und schrie sich vor dem anderen die Seele aus dem Leib, dass er so viele Menschen beraubt und getötet hatte.

Er warf sich flehend auf den Boden, machte alle Zeichen der Reue und wollte Buße tun. Als der Mann auf dem Baum nun sah, dass der Räuberhauptmann sein Tun bereute, stieg er hinunter. Der Räuber erblickte den Mann und begann laut zu wehklagen: »Weh mir, das und das hab ich getan! Hilf mir und lege mir eine Buße auf!«
 
Der Mann antwortete ihm darauf: »Gib mir die Geldkassette zurück, die ihr mir geraubt habt.« (Sie hatten bei jedem Raub genau Buch geführt, wann und von wem sie was geraubt hatten.) Der Räuber erwiderte: »Ich gebe sie dir sofort zurück und will dir auch all das geraubte Gut schenken, das ich noch habe – nur, lege mir eine Buße auf!« Da sagte er zu ihm: »Deine Buße sei es, in die Stadt zu gehen und laut zu bekennen: ›Ich bin der, der damals das und das kundgetan und viele zu Räubern gemacht hat. Ich habe geraubt und viele Menschen erschlagen.‹ Das sei deine Buße!«
 
Der Räuber gab ihm alle seine Schätze, ging mit ihm in die Stadt und tat, was er ihm gesagt hatte. In der Stadt aber fällte man über ihn das Urteil: Dafür, dass er so viele Menschen ermordet habe, solle er gehängt werden, auch damit es den anderen eine Lehre sei. Dann dachte der Mann nach und beschloss, zu den zweitausend Bergen zu gehen, um zu sehen, was sich dort zugetragen hatte. Er stellte sich in sicherer Entfernung den zweitausend Bergen gegenüber auf und sah, dass es dort Tausende und Abertausende von Dämonenfamilien gab.
 
Sie wachsen und vermehren sich, sie haben Kinder wie die Menschen und sind darum sehr zahlreich. Er sah ihren König auf einem Thron – auf solch einem Thron sitzt niemand, der von einer Frau geboren wurde. Und er sah, welch böse Scherze sie trieben. Der eine erzählte unter allerlei Schadenfreude und Spott, wie er einem Säugling geschadet hatte, ein anderer, wie er eine Hand verletzte, ein dritter, wie er einen Fuß verkrüppelt hatte, usw. Da sah er unter ihnen einen Vater und eine Mutter weinen. Sie wurden gefragt, warum sie weinten, und antworteten: »Wir haben einen Sohn. Er geht wohl seine eigenen Wege, kehrt aber stets nach einiger Zeit zurück. Doch diesmal ist er schon lange Zeit nicht zurückgekommen.«
 
Man führte sie vor den König, und der  sandte Boten in die ganze Welt hinaus, um ihren Sohn ausfindig zu machen. Als die Eltern vom König zurückkehrten, trafen sie auf einen, der mit ihrem Sohn unterwegs gewesen war.

Der fragte sie: »Was weint ihr?« Und sie erzählten ihm alles. Er gab zur Antwort: »Ich werde euch von ihm berichten. Wir hatten als Wohnort eine Insel im Meer. Der König dieser Insel plante große Bauten und legte dazu die Fundamente an. Da sagte euer Sohn zu mir, wir sollten ihm ein Leid antun. Also gingen wir hin und nahmen dem König alle Kraft. Der beriet sich dann mit seinen Ärzten, aber sie konnten ihm nicht helfen. Dann begann er, Zauberer zu befragen. Einer von ihnen kannte die Familie eures Sohnes. Die meine hingegen kannte er nicht und konnte mir deswegen nichts anhaben. Die Familie eures Sohnes aber war ihm bekannt, und so konnte er ihn einfangen. Der Zauberer peinigte ihn dann sehr.«

Daraufhin brachten die Eltern den Gefährten ihres Sohnes vor den König, dem er dies ebenfalls alles berichtete. Der König verlangte, dass jenem Inselkönig unverzüglich die Kraft zurückgegeben werde. Darauf erwiderte der Dämon: »Bei uns gab es einen, der keine Kraft hatte. An den haben wir die Kraft weitergegeben.« Sofort befahl der König: »Man nehme die Kraft von ihm und gebe sie dem König zurück.« Der Dämon antwortete wieder, jener sei zu einer Wolke geworden. Nun befahl der König die Wolke zu rufen und herbeizubringen. Ein Bote wurde nach ihr ausgesandt.
 
Der Mann, der das alles hörte, dachte bei sich: »Da will ich hinterhergehen und sehen, wie aus diesen Leuten eine Wolke wird.« Er ging dem Boten nach und gelangte in die Stadt, über der die Wolke hing. Dort fragte er die Leute: »Wie kommt es, dass diese Wolke auf der Stadt liegt?« Und die Leute antworteten ihm: »Ach je, wir haben sonst nie Wolken hier. Erst seit kurzem bedeckt diese Wolke unsere Stadt.«

Der Bote kam dazu, rief die Wolke, und sie zog mit ihm davon. Der Mann entschloss sich, wieder dem Boten und der Wolke nachzugehen, um zu hören, was sie miteinander redeten. Er hörte, wie der Bote fragte: »Wie kommt es, dass du hier zu einer Wolke geworden bist?« Die Wolke erwiderte: »Ich will dir die Geschichte erzählen: Es war einmal ein weiser Mann. Der Kaiser seines Landes war ein ganz ungläubiger Mensch, der sein ganzes Land in den Unglauben führte. Darauf rief der Weise seine ganze Familie zusammen und sprach: ›Ihr seht, dass der Kaiser ein ganz ungläubiger Mensch ist, der das ganze Land dazu bringt, vom Glauben abzufallen. Ja, selbst einige aus unserer Familie hat er zu Ungläubigen werden lassen. Lasst uns darum in die Wüste ziehen, auf dass wir im  Vertrauen auf Gott, Er sei gepriesen, stark bleiben.‹ Sie waren alle einverstanden. Der Weise sprach einen der Gottesnamen aus, und sie wurden hinweggetragen in eine Wüste. Diese Wüste gefiel ihm nicht und wiederum sprach er einen der Namen Gottes aus, und sie wurden in eine andere Wüste getragen. Auch diese Wüste missfiel ihm. So sprach er noch einen Namen aus, und der brachte ihn in eine dritte Wüste, die dann sein Gefallen fand. Sie lag nahe der zweitausend Berge. Darum zog der Weise einen Kreis um sie alle, auf dass niemand ihnen zu nahe treten könnte. Auch steht da ein besonderer Baum. Würde dieser Baum bewässert, so bliebe auch nicht einer von uns Dämonen am Leben. Darum stehen die Unsrigen bereit, graben Tag und Nacht, um kein Wasser an den Baum kommen zu lassen.« Da fragte der Bote die Wolke: »Wozu müssen sie Tag und Nacht bereit sein? Ist es denn nicht genug, ein für allemal dem Baum das Wasser abzugraben?«
 
Er antwortete: »Unter uns gibt es die Aufschneider, die gehen hin und zetteln dauernd Streit zwischen diesem und jenem König an, sodass es zu Kriegen kommt. Die Kriege wiederum lösen Erdbeben aus. Dann stürzt die Erde in die Gräben hinein und Wasser kann an den Baum gelangen. Deswegen sind die Unsrigen stets bereit zu graben. Wird bei uns einer zum König gemacht, reißen wir Possen vor ihm und sind sehr lustig. Einer macht vor, wie er einem Säugling Schaden zugefügt hat und wie seine Mutter um ihn betrauerte. Ein zweiter reißt üble Witze, kurzum wir treiben Spott über alles Mögliche. Der König gerät allmählich in fröhliche Stimmung, macht mit seinen Ministern einen Spaziergang und versucht, diese Bäume auszureißen.

Wenn es  diesen Baum gar nicht gäbe, dann ginge es uns sehr gut. Der König nimmt seinen ganzen Mut zusammen und macht sein Herz stark, um den Baum entwurzeln zu können. Wie er aber zum Baum kommt, gibt der Baum einen gewaltigen Schrei von sich. Furcht überfällt den König, und er muss umkehren. So veranstalteten wir einmal, als ein neuer König eingesetzt worden war, ein großes Fest voll Hohn und Spott. Der König geriet in ausgelassene Stimmung und machte sein Herz sehr stark. Er rannte auf den Baum zu, um ihn mit Stumpf und Stiel auszureißen.

Als er aber dem Baum zu nahe kam, schrie ihn der gewaltig an. Furcht überfiel den König, und er zog sich voller Wut zurück. Dabei erblickte er die Menschen, die dort wohnten. Der König schickte einen von seinen Leuten aus, um ihnen etwas anzutun. Als die Familie des Weisen diesen erblickte, fürchtete sie sich sehr. Der alte Weise aber sagte: ›Fürchtet euch nicht!‹ Als die Dämonen bei ihnen angelangt waren, konnten sie ihnen nichts tun, weil der Kreis um sie gezogen war. Andere Boten wurden ausgeschickt, und auch diese konnten sich ihnen nicht nähern. Da geriet der König in großen Zorn und ging selbst, konnte ihnen aber auch nicht nahe kommen. Er bat den Alten, er möge ihn doch hineinlassen. Der Alte sagte: ›Weil du mich bittest, will ich dich hereinlassen.

Es ist aber nicht Sitte, dass der König allein geht, also will ich dich mit einem Begleiter einlassen.‹ Er machte ihnen eine Öffnung, sie traten ein, und er schloss den Kreis wieder. Da sagte der König zu dem Alten: ›Wie kommst du dazu, dich an meinem Ort niederzulassen?‹ ›Wieso ist dieser Ort dein Ort? Es ist mein Ort!‹ ›Du hast keine Angst vor mir?‹ ›Nein.‹ Und wieder: ›Du hast keine Angst vor mir?‹ Und dabei machte sich der König riesengroß, dehnte sich aus bis an den Himmel und wollte den Alten verschlingen. Der sagte nur: ›Und wenn schon, ich habe keine Angst vor dir. Aber wenn ich will, so wirst du Angst vor mir bekommen!‹ Und er begann ein wenig zu beten. Schwere und finstere Wolken zogen auf, und es fing an gewaltig zu donnern. Der Donner erschlug sie. Alle Minister des Königs, die bei ihm waren, wurden getötet. Einzig der König und sein Begleiter, der mit ihm dort im Kreis war, blieben übrig. Der König bat den Alten, den Donner aufhören zu lassen, und der ließ den Donner verstummen. Da wandte sich der König an den Alten und sprach: ›Da du solch ein außergewöhnlicher Mensch bist, will ich dir ein Buch schenken, das Buch der Familien aller Dämonen. Es gibt ja Baalej Schem, die nur eine Familie kennen und von dieser nicht einmal alle Mitglieder. Ich gebe dir das Buch, in welchem alle Dämonenfamilien verzeichnet sind!‹ Sie alle sind ja beim König aufgezeichnet. Er sandte den, der mit ihm war, das Buch zu holen und dieser brachte es ihm. Der Alte schlug es auf und sah darin die Familien der Dämonen zu Tausenden und Abertausenden verzeichnet. Der König versprach dem Alten, dass die Dämonen seiner Familie niemals ein Leid zufügen würden.

Er bat den Alten, Bildnisse all seiner Familienangehörigen herbeizubringen. Auch wenn ein Kind geboren würde, sollten sie unverzüglich ein Bild bringen, damit nur keiner aus der Familie je zu Schaden käme. Als dann die Zeit nahte, da der Alte aus der Welt scheiden sollte, rief er seine Kinder und gab ihnen ein Vermächtnis, indem er ihnen sagte: ›Ich hinterlasse euch das Buch. Ihr habt ja gesehen, dass ich die Kraft habe, mich seiner in Heiligkeit zu bedienen. Dennoch habe ich es nicht benutzt. Ich glaube und vertraue allein auf seinen Namen, Er sei gepriesen. Also sollt auch ihr euch des Buches nicht bedienen. Selbst wenn sich unter euch einer fände, der sich des Buches in Heiligkeit bedienen könnte, so tue er es dennoch nicht. Er vertraue allein auf seinen Namen, Er sei gepriesen.‹ Darauf verstarb der Weise. Das Buch vererbte sich von Generation zu Generation weiter und kam zu seinem Enkel.

Der hatte die Kraft, sich des Buches in Heiligkeit zu bedienen. Doch er vertraute allein auf seinen Namen, Er sei gepriesen, und nutzte das Buch nicht, wie es der Alte geboten hatte. Die Aufschneider aber unter den Dämonen sprachen zu dem Enkel des Alten: ›Hast du nicht schon große Töchter? Doch du kannst sie nicht versorgen und kannst sie nicht verheiraten. So bedien dich doch des Buches!‹ Er merkte aber nicht, wer ihm da so zuredete. Er glaubte, sein Herz spräche zu ihm. Er fuhr zum Grab seines Großvaters und fragte ihn: ›Du hast das Vermächtnis hinterlassen, uns des Buches nicht zu bedienen. Allein auf seinen Namen, Er sei gepriesen, sollen wir setzen. Nun rät mein Herz mir aber, ich solle mich seiner bedienen.‹ Sein Großvater gab ihm zur Antwort: ›Obwohl du dich des Buches in Heiligkeit bedienen kannst, ist es doch besser, dass du auf seinen Namen, Er sei gepriesen, vertraust und es nicht benutzt. Gott wird dir helfen.‹ Der Enkel tat, wie er ihm geheißen. Eines Tages erkrankte der König des Landes, in welchem der Enkel lebte. Er beriet sich mit den Ärzten, doch sie konnten ihn nicht heilen. Wegen der großen Hitze, die in diesem Land herrschte, wirkten die Arzneien nicht.

Da befahl der König des Landes den Juden, sie sollten für ihn beten. Da sagte unser König: ›Dieser Enkel hätte die Kraft, das Buch in Heiligkeit zu gebrauchen, und tut es dennoch nicht. Dafür sollten wir ihm einen Gefallen erweisen.‹ Da war es, dass er mir befahl, zur Wolke zu werden, auf dass der König Heilung durch die Arzneien fände, die er genommen hat und die er noch nehmen würde. Der Enkel aber wusste nichts davon. Das ist's, weshalb ich dort als Wolke war.«

Der, der früher keine Kraft in den Beinen gehabt hatte, war ihnen nachgegangen und hatte dies alles gehört. Man brachte die Wolke vor den König. Er befahl, ihr die Kraft zu nehmen und sie jenem König zurückzugeben. Also erhielt der König seine Kraft zurück. Daraufhin kehrte der Sohn der Dämoneneltern heim, zerschlagen und entkräftet von den vielen Peinigungen. Er war aufs äußerste erzürnt über den Zauberer, der ihm die Qualen zugefügt hatte, und befahl seinen Kindern und Verwandten, diesem Zauberer unablässig aufzulauern. Doch es gibt ja die Schwätzer unter ihnen! Die gingen und hinterbrachten dem Zauberer, er solle sich in Acht nehmen, man stelle ihm nach. Der Zauberer tat, was in seiner Macht stand, und rief andere Zauberer, die weitere Familien kannten, um sich vor den Dämonen schützen zu können.

Der Sohn und seine Familie zürnten den Aufschneider, dass sie den Zauberern das Geheimnis verraten hatten. Eines Tages traf es sich, dass einige aus der Familie des Sohnes zusammen mit einigen von den Schwätzern Wache beim König zu halten hatten. Die aus der Familie des Sohnes verleumdeten die Schwätzer, und der König ließ sie töten. Das erzürnte die übrigen Aufschneider. Sie gingen hin und zettelten schwere Konflikte zwischen allen Königen an. Die Dämonen litten Hunger und Krankheit, litten durch das Schwert und die Pest. Alle Könige führten Krieg gegeneinander. Der Krieg löste Erdbeben aus, die Erde stürzte ein, und der Baum wurde dadurch wieder bewässert. Nichts blieb von ihnen übrig. Sie wurden zunichte, als hätte es sie nie gegeben.

Amen.

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