Vom Umgang mit der Schwiegermutter

HaShem hat uns einen freien Willen gegeben. Um den zu bewahren, müssen wir lernen, Grenzen zu setzen - nicht nur gegenüber der Schwiegermutter.

3 Min.

Judith Chanan

gepostet auf 15.03.21

Das Bedürfnis nach Bestätigung und Anerkennung von allen, die uns umgeben, kann uns dazu bringen, unsere eigentlichen Wünsche und Bedürfnisse aufzugeben.

Eine meiner Patientinnen, nennen wir sie Shira, hatte einen Ausflug mit Freundinnen geplant. Am gleichen Abend war aber auch eine Feier, die ihre Schwiegermutter, nennen wir sie Nina, organisierte. Shira, so habe ich sie verstanden, fühlte sich immer von Nina eingeschüchtert, schon seitdem sie sich das erst Mal getroffen haben – und das war vor ungefähr dreißig Jahren.

Shira ist eine sanfte Frau, sehr rücksichtsvoll, sie mag es zu lernen, zu kochen und zu backen, und ihr Familienleben zu genießen. Nina ist eine sehr dynamische Frau, sie ist eine der Gründerinnen einer bekannten Stiftung in Israel, die ein Krankenhaus betreibt. Sie organisiert außerdem Abendveranstaltungen mit vielen bekannten Organisationen. Ist es da überraschend, dass Shira sich Nina gegenüber unbedeutend und langweilig fühlt?

Shira glaubt, dass Nina enttäuscht war, als ihr Sohn sie geheiratet hat, und seitdem versucht sie, Ninas Anerkennung und Wertschätzung zu bekommen. Eines der Mittel dazu ist, dass sie versucht, Nina ständig zufrieden zu stellen. Also gibt sie ihr nach, auch wenn Ninas Bitten oder Vorschläge ihr nicht passen oder sie nicht interessieren.

Jetzt steht Shira an einem Scheideweg. Durch unsere Treffen hat sie verstanden, dass ihr Bedürfnis, andere zufrieden zu stellen und Bestätigung von ihrer Umgebung zu bekommen, übertrieben ist.

 

Wenn unsere Entscheidungen darauf basieren, was und wie andere über uns denken, dann geben wir letztendlich unsere Entscheidungsfreiheit, unseren freien Willen, auf – das kostbare Geschenk, dass wir von G-tt erhalten haben. Wir sollen unsere Entscheidungen nach dem Kriterium treffen, wie wir persönlich uns am besten entwickeln und dem Schöpfer der Welt näher kommen können. Es gibt ein Sprichwort dazu, das besagt: Wenn du keine eigenen Träume hast, wirst du anderen helfen, ihre Träume zu verwirklichen…

So eine Situation wie zwischen Shira und Nina ist die bekannte Version von Verleugnung der eigenen Identität, und ein Verrat an uns selbst. Ich sage nicht, dass wir den Wünschen der Menschen um uns herum, besonders der Menschen, die uns lieb und teuer sind, nicht einen hohen Stellenwert auf der Liste unserer Prioritäten einräumen, oder sie sogar manchmal vor unsere eigenen Bedürfnisse stellen sollten. Aber auch wenn wir den Bitten anderer nachkommen, sollte das aus einem Standpunkt von Stärke heraus geschehen, nicht aus Schwäche. Wenn Shira den Ausflug mit ihren Freundinnen verpasst, um abends auf der Feier von Nina zu sein, dann muss das aus einer bewussten und freien Entscheidung von Shira heraus geschehen. Nicht wegen einem zwanghaften Bedürfnis, Nina zu gefallen und sie zufrieden zu stellen.

 

Tatsächlich verliert Shira in den Augen von Nina an Wert anstatt zu gewinnen, wenn sie nicht Nein sagt, keine Grenzen setzt. Das ist eine bekannte Regel: wenn ein Mensch sich nicht selbst ehrt und wertschätzt, dann werden ihn auch andere nicht ehren! Selbst ein kleines Kind kann den Respekt vor seinen Eltern verlieren, wenn es merkt, dass es die Eltern auf alle möglichen Weisen manipulieren kann. Kinder brauchen Eltern mit Rückrat und klaren Prinzipien. Das gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit und lehrt sie auch, wie man Grenzen setzt und respektiert.

Für Shira war es eine revolutionäre Sache, ihrer Schwiegermutter zu sagen, dass sie nicht zur Feier kommen kann. Dass wäre das Gegenteil ihres Charakters – Nina vorzuschlagen, sie zu verstehen.

 

Damit Shira die Botschaft möglichst gut kommunizieren kann, haben wir die Situation dann noch in einem Rollenspiel ausprobiert.

VERSION 1

Shira: Hallo Nina! Es tut mir furchtbar leid, ich habe mcht nur gefragt, ob du die Feier vielleicht verschieben kannst? Ich würde nämlich wirklich gern mit meinen Freundinnen auf diesen Ausflug fahren, und dann wäre ich nachmittags nicht rechtzeitig zurück. Ist das zu viel verlangt? Aber kannst du das Datum vielleicht doch noch ändern? Ich weiß, das ist jetzt schon ein bisschen knapp…

Nina: Völlig unmöglich! Alles ist ist schon organisiert und bereit, ich kann da nichts mehr verschieben. Und ich möchte, dass du dabei bist. Ich befürchte, du wirst deinen Freundinnen absagen müssen.

Shira: Hmm, okay…

Man beachte die Schüchternheit und Nachgiebigkeit von Shira. Sie versucht, Nina dazu zu bringen, sie von der Feier frei zu stellen, und sie schafft es nicht, zu dem, was sie will, zu stehen, und mit einem Konflikt zu leben. Defacto gibt sie damit Nina die Macht, für sie zu entscheiden.

 

VERSION 2

Shira: Hallo Nina. Ich wollte nur Bescheid geben, dass ich leider zu der Feier nicht kommen kann. Ich fahre mit ein paar Freundinnen weg und werde es nicht schaffen, abends rechtzeitig zurück zu sein. Tut mir leid, dass ich erst jetzt Bescheid sage, das hat sich jetzt so ergeben. Danke für die Einladung, ich bin sicher, es wird auch ohne mich eine wunderschöne Feier! Du organisierst immer sehr schöne und interessante Abende!

Nina: (verstummt)

In diese Version beherrscht Shira die Situation. Sie hat ihre Entscheidung getroffen und Nina nur angerufen, um ihr ihre Entscheidung mitzuteilen, und sich höflich für ihr Fehlen zu entschuldigen. Am Ende hat sie sogar mit einem freundlichen Kompliment abgeschlossen. Dadurch, dass sie auf die Bestätigung druch Nina verzichtet, ist Shira frei, sich um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern, selbst auf die Gefahr hin, Nina damit zu enttäuschen. Und dann ist die einzige Gefahr, dass Shira sich selbst enttäuscht.

 

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