Verstehst du mich?

Eltern fühlen sich oft von ihren Kindern hintergangen, insbesondere dann, wenn diese auf einmal ausziehen ...

5 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Eltern fühlen sich oft von ihren Kindern hintergangen, insbesondere dann, wenn diese auf einmal ausziehen und dann sporadisch wieder mal für eine Nacht und vielleicht einigen Stunden bei den Eltern einfach nur so „vorbei schauen“.

Das Gefühl der Eltern, hintergangen worden zu sein, äußert sich in einer Traurigkeit bei ihnen, denn sie verstehen nicht, weshalb das Kind immer gleich wieder fort will. Irgend etwas scheint sie ständig weg und zu ihrer eignen Wohnung zurück zu ziehen. Und wenn dann auch noch ein vorwurfsvoller Spruch fällt, wie: „Du siehst immer nur das von dir erwünschte Karriere-Kind in mir – und nicht den Menschen“, dann brechen die Eltern völlig zusammen …!

Liebe Eltern, zunächst solltet ihr euch eine sehr wichtige Regel in Sachen Kindererziehung einprägen: Nimm das Verhalten deiner Kinder niemals persönlich!

Außerdem musst du keineswegs traurig sein! Vielmehr glücklich, denn wenn du sagst, dass dein Kind sich dir anvertraut, ja sogar seine Gefühle mit dir offen teilt, dann ist dies etwas sehr Großartiges! Es offenbart dir doch, dass „Mama“ und „Papa“ seine besten Freunde sind. 

Aus meiner Arbeit weiß ich, dass Kinder heute prozentual so gut wie gar nicht mit ihren Eltern über die Liebe sprechen. Auch diese Tatsache muss dich jetzt als „Vater oder Mutter“ glücklich stimmen, denn dein Kind spricht doch mit dir darüber! Es vertraut dir also, erwartet von dir Trost – und deine Meinung ist ihm sehr wichtig.

Und genau das ist es auch, was dir dein Kind eigentlich vorwarf: „Du siehst nur das von dir erwünschte Karriere-Kind in mir – und nicht den Menschen!“ Mit anderen Worten wollte es dir sagen, weshalb es in dir weit mehr als nur eine Mutter oder einen Vater sehen kann! Du bist für ihn die beste Freundin, der beste Kumpel, mit dem er über alles sprechen kann, sich anvertrauen, ja sogar alles austauschen wird! Und du, du redest am Ende immer nur über Karriere …!

Das ist so gut wie alles, was dir dein Kind zu sagen versucht. Sei deshalb glücklich und erfreue dich daran, wie du dein Leben für deine Kinder gelebt hast! Du hast kein Opfer damit auf dich genommen, sondern dein Leben dadurch bereichert! Den Lohn dafür hast du jetzt auch schon vor Augen, deine Kinder sehen in dir nämlich nicht nur eine „Mutter oder einen Vater“, die sowieso keine Ahnung haben, und von Liebe in der heutigen Zeit schon überhaupt nichts verstehen. Nein, dein Kind, sieht in dir eine Freundin, den besten Kumpel und will von dir auch manchmal wie von einem Freund verstanden werden, also nicht wie von einem Elternteil.

Für dein Kind ist ein „erfolgreiches Berufsleben“ genau so wichtig wie für dich, aber sein Leben besteht nicht nur daraus! Immer wenn es versucht, mit dir offen über seine Gefühle oder auch über alles andere außerhalb der „Karriere“ zu sprechen, gibst du ihm bestimmt das Gefühl, naiv zu sein.

Als ich „leider“ ungläubig war und gottlos lebte, absolvierte ich ein Studium der Hotelbetriebswirtschaftslehre. Da ich aus einer angesehenen Hoteliersfamilie komme, war für mich als „Junior“ vorherbestimmt, einmal Hotelmanager zu werden. Ich vertraute mich damals meinem Vater nicht wirklich an, aber dennoch suchte ich ab und an seine Nähe, weil ich wusste, dass ich über gewisse Themen nicht mit einem „Freund“ sprechen kann, weil dieser meine Worte gleich schön weitererzählen würde. So ging ich also zu meinem Vater, weil ich wusste, ich könne ihm vertrauen, er also meine Gefühle oder mein Vorhaben nicht an Dritte weiterleiten wird. Ich ging zwar zu meinem Vater, aber ich suchte kein typisches Vater-Sohn-Gespräch. Nein, ich wollte ein Gespräch unter Männern! Aber leider kam am Ende doch wieder nur dieser Spruch: „David, verlasse dich auf keinen Fall und niemals auf die Liebe! Was im Leben zählt ist Karriere! Zuerst kommt die Karriere, danach kommt Karriere, anschließend kommt lange nichts, ja und dann kommt wieder Karriere! Liebe geht am Ende immer ihren eigenen Weg, aber deine Karriere wird dir immer treu bleiben!“

Ich habe mich von meinem Vater nicht verstanden gefühlt. Statt auf meine Gefühle und mein Denken einzugehen, sprach er mit mir nur über meine Karriere! Über eine Karriere, auf die ich eh nichts hielt. Ok, vielleicht konnte man deshalb verstehen, weshalb er am Ende immer nur über Hilton und Sheraton Hotels mit mir sprach …!

Aber bei dir liegt es auf der Hand, dass dein Kind seinen Job genauso liebt wie du! Es setzt alles darauf, weil es ja seinen „Beruf“ unbeschreiblich liebt! Und wenn nicht dann macht das auch nichts, da es versteht, dass ein Beruf zum Leben dazugehört. Vielmehr musst du verstehen, ein Kind braucht das eine genauso wie das andere. Und das ist ganz normal!!!

Einer der wichtigsten Aufgaben für uns Eltern ist niemals zu vergessen, dass auch wir einmal Kinder waren! Und dann auch selbst Jugendlich und junge Erwachsene:

 

  • Was haben wir in diesen Zeiten gedacht?
  • Was haben wir getan?
  • Was beschäftigte uns?

 
Wenn du dich erinnern willst, schau dir das Leben deiner Kinder an!

Unter dem Strich: Sei nicht traurig, sondern glücklich!!! Dein Kind liebt dich! Es vertraut dir und was noch viel schöner ist, es vertraut sich dir an! Nimm dieses Geschenk an und spreche mit deinem Kind, als wärst du ein guter Freund oder eben eine beste Freundin. Wenn dein Kind ein Gespräch mit dir sucht, also ein Gespräch "unter Frauen" (oder ein ernstes Männergespräch), dann lass die Karriere einmal außer Acht und du wirst sehen, wie alles zu einem Traum wird, der süßer ist als alles andere in deinem Leben.

Merke dir, was ich eben sagte: dein Kind braucht beides! Es träumt von der wahren Liebe und wenn es die Person in ihm sich jetzt verliebt hatte, „vergeigt“ hat, dann ist jene Person somit Vergangenheit! Aber das heißt nicht mit dem Träumen aufzuhören! So wie dein Kind von einem erfolgreichen Berufsleben träumt, so träumt es auch von einer schönen Ehe!

Wenn es also über die eigenen Gefühle mit dir spricht, dann gebe deinem Kind ein paar Tipps, wie die bisher noch unerfüllten Träume Wirklichkeit werden können!

Erkläre deinem Kind, worin die Kunst des Liebens besteht:

 

  • Sich nahe zu sein, ohne sich nahe zu treten.
  • Sich jeden Tag zu sehen, ohne alltäglich zu werden.
  • Indem man zwar eins wird – und doch zwei bleibt. Zu einer wahren Liebe gehören immer zwei Menschen!

 

 

 
Deshalb sag zu deinem Kind, dass es sich keine Gedanken über die Menschen aus der nahen oder fernen Vergangenheit machen sollte, denn es gibt einen Grund, weshalb sie es nicht in ihre Zukunft geschafft haben!

Vielmehr sollte dein Kind ab sofort nach einen Menschen suchen, der ihm sein Leben verändert und nicht nur nach einer Person Ausschau halten, die für eine Veränderung des Beziehungsstatus sorgt!

Sei glücklich, denn du bist: bescheiden, intelligent, fähig, gepflegt, gebildet, zurückhaltend, liebevoll, sozial, leidenschaftlich, fein, mitfühlend – und einfach unersetzlich!!! Alle lieben dich!

Sei deshalb nicht traurig, und wenn du traurig bist und sterben möchtest, dann denke an die Menschen, die nur deshalb traurig sind, weil sie sterben müssen!

 

 

David Kraus (M.A in Psychologie und Integrativer Psychotherapie | Dipl. Paar- und Familientherapeut | Dipl. Pädagogischer Elternberater) ist Oberrabbiner der Jüdisch-Chassidischen Kultusgemeinde Breslev Deutschland / Israel mit Sitz in Hanau. David Kraus finden Sie bei Facebook.

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