Israel und sein Volk (3)

Der Rabbi von Ostrowsze pflegte zu sagen, dass, wenn man einen Juden frage, woher er sei, die Antwort zu lauten habe: "Aus Israel!"

6 Min.

Rabbiner Zwi Jehuda

gepostet auf 06.04.21

Auszug aus der Schriftenreihe: „Sichot HaRav Zwi Jehuda“ (Die Nummern in Klammern verweisen zu den Fußnoten am Ende
des Artikels.)

1. Jeder Jude kommt aus Israel
 
Der Rabbi von Ostrowsze pflegte zu sagen, dass, wenn man einen Juden frage, woher er sei, die Antwort zu lauten habe: "aus Israel" – als Vorbereitung darauf, in Zukunft wirklich in und aus Israel zu sein.
 
Diese Erklärung erschließt Gefühl und Bewusstsein, wie auch ein Midrasch unserer Weisen verdeutlicht (9). Dort kritisierten sie unseren Lehrer Moscheh (Moses) ein wenig. Sie stellen ihn dem gerechten Josef gegenüber, der zu seiner Herkunft stand, der also anerkannte, dass er zum Lande Israel gehöre. Moses (so werfen sie ihm vor) stand hingegen nicht so ganz zu seinem Land. Josef erzählte [dem Mundschenk Pharaos]:
"Aus dem Lande der Hebräer bin ich gestohlen worden"  (Gen.40,15)
 
Demnach stand er also definitiv zu seinem Lande. Demgegenüber erzählten die Töchter Jitros ihrem Vater:
 
"Ein ägyptischer Mann hat uns gerettet!" (Ex.2,19)
 
Woher wussten sie, dass Moses aus Ägypten war?

Anscheinend hatte er es ihnen gesagt! Dazu fragt der Rabbi von Ostrowsze: Was wollen unsere Weisen von Moscheh Rabenu (=unserem Lehrer Moses)? Josef hat zwar die Wahrheit gesagt, dass er im Lande Israel geboren wurde; Moscheh Rabenu aber wurde in Ägypten geboren, wuchs dort auf, wurde dort erzogen – wie sollte da die Lüge über seine Lippen kommen, er sei aus Israel?!

 
Die Antwort aber lautet:

Moses ist ein direkter Nachfahre unseres Vaters Awraham, daher ist er verpflichtet zu sagen, dass er diesem Lande zugehörig sei. Automatisch gehört er dazu. Daher haben auch wir, die Enkel unseres Vorvaters Awraham, unsere Zugehörigkeit zu diesem Land zu bekennen.

 
2. Unser Vater Awraham durchwandert das Land
 
Im Wochenabschnitt "Lech lecha" wird Awraham befohlen:
 
„Auf, wandle durch das Land nach seiner Länge und nach seiner Breite“ (Gen.13,17) – er soll einen "Ausflug" durch das ganze Land Israel unternehmen. „… denn dir werd' Ich es geben“, so lautet Gottes Wort, der hier der Hausherr ist – des ganzen Nahen Ostens!
 
Unsere talmudischen Weisen erläutern uns die gesetzlich korrekte Durchführung des Bodenerwerbs (10):
 
Nach Einigung der Vertragspartner kann die Eigentumsübertragung auf drei Weisen erfolgen:
  1. durch Zahlung des Kaufpreises
  2. durch Übergabe der Kaufurkunde oder
  3. durch Inbesitznahme.
"Inbesitznahme" nennt man das Ausführen einer Tätigkeit, die erkennen lässt, dass der sie Ausführende rechtmäßiger Eigentümer des Grundstückes ist, wie z.B. Umzäunen, eine Bresche schlagen oder abschließen. Nun stellt sich die Frage, ob das Durchwandern des Landes eine derartige eigentumsbegründende Tätigkeit darstellt. Darüber gibt es bei unseren Weisen verschiedene Ansichten. Eine Antwort führt den oben erwähnten Vers "denn dir werd' Ich es geben" an. Das heißt aufgrund der Durchwanderung.
 
Eine andere Ansicht hält diese Begründung für nicht stichhaltig genug, und bringt stattdessen diese wunderbare Erklärung:
 
Awrahams Durchwanderung des Landes hat ihre besondere Bedeutung:
 
„ … zur Erleichterung der Eroberung durch seine Nachkommen!“
 
Diese Wanderung, dieser "Ausflug" unseres Vaters Awraham in seiner spirituellen und historischen Größe hat den Stellenwert einer Eroberung, er hinterlässt Eindrücke und hat zur Folge, dass die Landnahme der Nachfahren leichter vonstatten geht.
 
Und genau dies zeigt sich hier und heute, nach mehreren tausend Jahren. Diese Wanderung hat göttlichen, historischen Wert als Wegbereitung für die Eroberung in unseren Kriegen.
 
3. Das Ende des Exils
 
Wir finden bei unseren Weisen eine ganz besonders deutliche Definition für das Ende unseres Exils (Sanhedrin 98a). Nach einer ganzen Seite voller Berechnungen und nebulösen, mystischen Erklärungen erscheint schließlich eine Definition, die an Klarheit nicht zu übertreffen ist:
 
„Du hast kein deutlicheres [Kennzeichen für das] Ende als das folgende“, und nennt einen Vers aus dem Prophetenbuche Jecheskel (36,8):
„Und ihr, Berge Israels, werdet Eure Zweige treiben und eure Frucht tragen meinem Volke Israel, denn sie kommen bald“.

 

Dieser Vers besteht aus zwei Teilen:
 
Zunächst der göttliche Befehl an das Land, dass es so lange Jahre brach liegen und keine Früchte hervorzubringen soll, bis das außerwählte Volk es betritt und besiedelt, das Volk Israel. Und in direkter Beziehung dazu steht die Rückführung der Verbannten – "denn sie (das Volk Israel) kommen bald".
 
Beide Aspekte dieser göttlich-historischen Wirklichkeit erfahren ihre Erneuerung in und durch uns. Raschi erklärt (Sanh.98a):
 
Wenn Israel seine Früchte in vollen Zügen hervorbringt, so ist dies das Kennzeichen für das Ende, die Geulah! Gott hat sich mit dem brachliegenden Lande ausgesöhnt.

Es gab Zeiten, da war Gott auf uns "böse" und deshalb warf Er uns aus dem Heiligen Land. Und auch auf das Land war er "böse", da dort anhaltende Trostlosigkeit zur Folge hatte. Das Klima war so schlecht, die Luft so verpestet und voller Krankheiten, dass jeder Aufenthalt mit größter Gefahr für das Leben verbunden war. Gott sei Dank ist diese Gefahr gebannt. Dies ist das Land unseres Lebens und unserer Gesundheit.

 
Es ist offensichtlich, dass Gott sich mit uns aussöhnt. Er söhnt sich aus mit dem Volk durch Einsammlung der Verbannten aus Amerika, aus Russland und vielen anderen Ländern – und wenn hier erstmal zehn Millionen Juden leben, wird es auch dem Letzten klar sein, dass sich Gottes Zorn gelegt hat. Das gleiche gilt für das Land, das so lange trostlos zur Unfruchtbarkeit verdammt war; heute ist es gesegnet und gibt uns seine Früchte tagtäglich in großer Reichhaltigkeit. Hier wachsen wunderbare Bananen und dort gedeihen die schönsten Weintrauben … kaum zu beschreibende Fülle des Segens und des
Erfolges. Der Herr der Welt sammelt die Zerstreuten Israels ein, und auch die zerstreute Erde fügt er wieder zusammen.
 
Es gab hier im Lande zum Beispiel Siedlungen, die von Nichtjuden gegründet wurden, die sich in der Umgebung von Tel-Aviv, Jerusalem, Haifa und anderen Orten niederließen. Es gelang ihnen jedoch nicht, längere Zeit zu bestehen, und schon in der zweiten Generation verschwanden sie bis auf einen kleinen Rest.

Demgegenüber entwickeln sich unsere Kibuzim ständig weiter, unsere Jungens dort gleichen den "Zedern des Libanon", liebenswert, robust, heroisch und bedeutsam – eine Freude, sie anzusehen. Uns ist dies nämlich der normale und natürliche Aufenthaltsort, und jenen ist hier nichts normal und natürlich. Und wenn das Land seine Früchte in reichem Maße hervorbringt, so ist dies kein Zufall.

 
4. Kein Zufall
 
Unsere Weltanschauung ist nicht die der Zufälligkeit, Gott behüte. Nur Leute, die nicht aufmerksam beobachten, glauben fahrlässiger Weise, dass alle diese Dinge sich von alleine so entwickelt haben. Das aber ist ein Irrtum. Wenn sich die Dinge so entwickeln, kann man davon ausgehen, dass es gemäß der göttlichen Vorsehung so zu sein hat.
 
Vor einiger Zeit begegnete ich einem wichtigen Mann aus Ungarn, Philosoph und Wissenschaftler, vollkommen assimilierter Jude von radikal materialistischer Weltanschauung. Seine Vertrauten deuteten an, dass sich bei ihm in letzter Zeit ein Wandel vollzogen habe.

 

Während unseres Gespräches hielt er kurz inne und sagte mir nach einigen Augenblicken der Überlegung:
 
"Das, was wir heute Zufall nennen, ist in Wirklichkeit Gott inkognito".
 
Dies ist ein wunderbarer Ausdruck des Glaubens, des Vertrauens in die göttliche Vorsehung, ein klares und deutliches Wort. Es gibt keinen Zufall, alles kommt vom Urheber allen Seins, wenn auch manchmal "ohne Namensnennung" – "Gott inkognito". 
 
Zusammenfassung:
 
  1. Im Gegensatz zu Josef, der zu seinem Herkunftsland stand, wurde Moses bestraft, weil er es nicht nannte, und das, obwohl er nicht einmal dort geboren war – denn jeder Jude ist wegen seiner nationalen Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Awrahams verpflichtet zu sagen, er sei aus Israel.
  2. Das Durchwandern des Landes durch Awraham in seiner spirituellen Größe bereitete die Grundlage für die Landnahme seiner Nachfahren.
  3. Es erscheint das "offensichtliche Kennzeichen des Endes" in Gestalt von Einsammlung der Zerstreuten und reichhaltiger Hergabe der Früchte durch das Land gerade an uns und nicht etwa an die zuvor dagewesenen Nichtjuden, obwohl jene versuchten, hier zu siedeln. Dieser Sachverhalt offenbart uns das Ende des göttlichen Zornes auf Sein Volk und Land.
  4. Dies alles ist kein Zufall, sondern göttliche Ordnung. Überhaupt gibt es keine Zufälle; oder, wie jener Philosoph sich ausdrückte, dass der Zufall nichts anderes sei als Gott inkognito, dem letztendlichen Urheber geschichtlicher Abläufe. 
     

F U S S N O T E N:

(9)
 
Midrasch Dewarim Raba 2,8: "[Moscheh – Moses] sprach vor ihm: Herr der Welt, Josef's Gebeine lässt du ins Land gelangen, und mich nicht? Darauf antwortete ihm Gott: Wer zu seinem Heimatland steht, wird in seinem Heimatland bestattet, wer nicht zu seinem Heimatland steht, wird nicht in seinem Heimatland bestattet. Woher entnehmen wir, dass Josef zu seinem Heimatland – Israel – stand? Daraus, dass seine Herrin [Frau Potifar] sagte: Seht, man brachte uns einen hebräischen Mann. Dem widersprach er nicht, sondern sagte: Denn gestohlen bin ich worden aus dem Lande der Hebräer… Darum wurde er in seinem Heimatland bestattet… Da du nicht zu deinem Heimatlande standest, wirst du nicht dort bestattet. Woher dies? Jitros Töchter sprachen: Ein ägyptischer Mann hat uns gerettet aus der Hand der Hirten… Und er [Moscheh – Moses] hörte es und schwieg dazu. Daher wurde er nicht in seinem eigentlichen Heimatland Israel bestattet". – Zitiert vom Rabbi von Ostrowsze, siehe Artikelsammlung "Chassidut und Zion": Verhältnis der chassidischen Häupter Polens zur Rückkehr nach Zion

 

(10)
 
Baba Batra 100a: "Ist er durch dieses [das gekaufte Feld] in der Länge und der Breite gegangen, so hat er die Stelle geeignet, wo er gegangen ist – so Rabbi Elieser; die Weisen sagen, das Gehen nütze nichts, sondern nur dann, wenn er es [durch irgendeine Betätigung am Felde] in Besitz genommen hat… Was ist der Grund Rabbi Eliesers? Es heißt (Gen.13,17): Auf, durchziehe das Land etc. Und die Rabbanan!? … zur Erleichterung der Eroberung durch seine Nachkommen". Siehe auch Raschi zu Gen.12,6.
 

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