Höhle des Löwen

Das ist ein wenig von dem Licht - Rabbi Schimon bar Jochais -, das zu uns aus den Feuern zu Lag Ba'omer hervorscheint.

4 Min.

Rabbiner Asri´el Ari´el

gepostet auf 17.03.21

In der Nacht von Lag Ba'omer (dem 33. Tag der Omerzeit) wollen wir uns vorstellen, während wir vor dem Lagerfeuer sitzen, wie wir mit Rabbi Schimon bar Jochai die Höhle betreten und versuchen, seine besondere Lehre zu verstehen, die ihn in diese Höhle brachte und wieder heraus, mithilfe des großen Sehers, unseres Lehrmeisters Rabbiner Awraham Jizchak Kuk (erster Oberrabbiner Israels) in seinem Werk Ejn Aja (Kommentar zu den Agadot im Talmud).
 

Im Talmudtraktat Schabbat (S.33b) wird von einem Streit der Weisen berichtet: "Da begann Rabbi Jehuda und sprach: Wie schön sind doch die Werke dieser Nation [der Römer]! Sie haben Straßen angelegt, Brücken gebaut und Bäder errichtet. Rabbi Josse schwieg. Darauf ergriff Rabbi Schimon bar Jochai das Wort und sprach: Alles, was sie errichtet haben, geschah nur in ihrem eigenen Interesse. Sie haben Straßen angelegt, um da Huren zu setzen, Bäder errichtet zu ihrem Behagen, Brücken gebaut, um Zoll zu erheben".
 

Eine schwierige Zeitperiode. Das jüdische Volk behandelt noch seine furchtbaren Wunden infolge des Scheiterns der Bar-Kochba-Revolte und erwartet eine Antwort auf die Frage: Wie soll es weitergehen?, und wie soll man sich der verbrecherischen Römerherrschaft gegenüber verhalten? Rabbi Jehuda erwähnt die Vorzüge einer römischen Herrschaft. Das Hegen eines Zornes auf Rom bringe keinen Nutzen, im Gegenteil, man sollte versuchen, die Lebensqualität unter ihrer Regierung mithilfe ihrer wirtschaftlichen und technologischen Macht zu verbessern und sich so gut es geht durchwursteln bis bessere Zeiten anbrechen. Rabbi Schimon bar Jochai ist dagegen: So eine Einstellung hat auf lange Sicht eine zerstörerische Wirkung. Wir müssen wissen: Von Bösewichten kommt Böses, und auch die scheinbar guten Dinge entspringen im Grunde dem Egoismus und der Verdorbenheit, sie triefen von Schmutz und Abscheu. Alles Römische muss durchweg abgelehnt werden, wir wollen "weder ihren Honig noch ihren Stachel". Das ist der einzige Weg der Auseinandersetzung mit ihrer Macht und ihrem kulturellen und spirituellen Einfluss.
 

Die göttliche Oberlenkung führte dahin, dass Rabbi Jehuda von den Römern "überall zum Haupt der Redner" gemacht wurde. Aus praktischer Sicht "war sein Weg der richtige – sich mit dem praktischen Leben und der Wirklichkeit zu arrangieren und den besonders ausgewählten und guten Teil zu übernehmen". Gegenüber Rabbi Jehuda jedoch, der die Gegenwart in den Mittelpunkt stellte, stand Rabbi Schimon, der die Aspekte der Ewigkeit betrachtete, die Rom und alles Römische absolut verneinen. 
 

Rabbi Schimons Weg eignete sich nur für die Wenigen, die das Lehrhaus ihr Zuhause nannten. So brachte ihm die göttliche Oberlenkung eine lange Periode, in der er sich im Lehrhaus verborgen halten musste, wo er seine Lehre vor willigen Schülern dozierte, die seine Worte dann an die breite Öffentlichkeit trugen.
 

Es herrschte jedoch eine zu krasse Diskrepanz zwischen der realen Welt und seinem idealistischen Bewusstsein. Der römische Geheimdienst bedrohte das Leben Rabbi Schimons und es blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in einer Höhle zu verstecken, weit entfernt und vollkommen abgekapselt von natürlicher menschlicher Gesellschaft. Die Isolation, die Abtrennung von jedweder menschlicher Zivilisation, die wundersame, himmlische Versorgung mit Lebensmitteln passen genau zu der derzeitigen Lage Rabbi Schimons in der vollkommenen Verkörperung seiner idealistischen Bestrebungen.
 

Und siehe, die Zeit ist reif die Höhle zu verlassen. Die Diskrepanz zwischen den großartigen Bestrebungen Rabbi Schimons und der bestehenden Wirklichkeit ist so enorm bis dass jeder Ort, auf den er seinen Blick richtet, in Flammen aufgeht, und eine himmlische Hallstimme erschallt: "Seid ihr herausgekommen, um meine Welt zu zerstören?!" Die Welt in all ihrer Vertracktheit und unerträglicher Mischung aus Gut und Böse ist nicht die Welt des Satans, sondern "meine Welt" – die Welt Gottes. Vollkommene Ablehnung von allem, das nicht den erhabensten Bestrebungen entspricht, mögen sie auch noch so lebenswichtig sein, um sich nicht mit der Schlechtigkeit abfinden zu müssen und nicht von ihr beherrscht zu werden… so ein Weg passt allerdings nicht zu dem Glauben, dass der Schöpfer und Lenker der Welt für alles verantwortlich ist, was in ihr geschieht. Der Weg zur Besserung der Welt führt nicht über den Aufbau auf den Ruinen der gegenwärtigen Welt, vielmehr "muss man in die Tiefe der Niederungen des Lebens hinabsteigen, es nach seiner Art erhalten und es langsam aber sicher veredeln, bis es auf die Ebene empor steigt, die ihm die Weisheit des Schöpfers zugewiesen hat". Dazu kehrt Rabbi Schimon für ein weiteres Jahr in die Höhle zurück, um nämlich einen noch höheren Blickpunkt zu erlangen, von dem aus sich erkennen lässt, wie man das Gute aus dem Bösen sprießen lassen kann, Glück aus Leiden, Süße aus Bitterkeit und Licht aus Finsternis.
 

Sein zweiter Auszug aus der Höhle erfolgt am Vorabend des Schabbat zur Zeit des Sonnenuntergangs. Da trifft Rabbi Schimon einen greisen Juden, der schnell daher läuft mit zwei duftenden Myrtenzweigen in der Hand. In dieser Stunde und an diesem Ort begegnen sich das Heilige und das Weltliche, das Ewigliche und das Augenblickliche, das Materielle und das Spirituelle, und da sieht man, wie die Heiligkeit des Schabbat auf das Wochentägliche ausstrahlt, das der Vorbereitung auf die Heiligkeit dient, und wie das Ewigliche auf die Gegenwart strahlt. Der Schabbat gibt jenem Greis die Kraft, ihm entgegen zu laufen. Die zwei Myrtenzweige in seiner Hand: Einer für "Hüte" – hüte das Heilige vor jedem verderblichen Kontakt mit dem Weltlichen und dem Bösen, einer für "Erinnere" – wirke innerhalb der gegenwärtigen Realität mit dem Bösen und der Unreinheit, die in ihr vorkommen, um zu jenem Schabbattag zu gelangen, "der nur noch Schabbat und Ruhe zum ewigen Leben" darstellt. Beide Seiten sind nötig: Einerseits die kompromisslose, idealistische Bestrebung, andererseits die Möglichkeit schrittweiser Aktivitäten zu ihrer Verwirklichung innerhalb einer komplizierten Realität unter Einsatz aller sich bietenden Mittel und in Erkenntnis aller Lichtblicke, die in den Tiefen der Finsternis verstreut sind.
 

Das ist ein wenig von dem Licht von Rabbi Schimon bar Jochai, das zu uns aus den Feuern zu Lag Ba'omer hervorscheint. 
 

Der Autor ist Ortsrabbiner der Siedlung "Ateret" und Mitglied bei KiMiZion.

 

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