Heilige Süße

In Indien hat mir ein Jude gesagt: wenn man mir als Jüdischkeit nur perverse und schmutzige Witze neben einer Hühnersuppe anbietet - wer braucht das schon?

5 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Rabbi Nachman aus Breslev sagt: Der Jom Tow (jüdischer Feiertag) steht an der Straßenecke und ruft in die Welt hinaus: „Wisse, dass Gott diese Welt führt und nicht die Natur“. Er sagt dies so, dass du es mit deinen Ohren hören und mit deinem Herzen fühlen kannst. Je mehr wir auf dieses Rufen des Feiertags hören, umso deutlicher wird uns, dass Gott die Welt führt. Wenn man sich – Gott behüte –  an einem Feiertag nicht so gut fühlt, dann hat man seine Rufe nicht richtig vernommen. Wie schafft man es, diesen Rufe des Feiertags richtig zu vernehmen? Vor Pessach (wie vor jedem Feiertag) muss man sich in Nächstenliebe üben und Spenden für die Armen geben. Auf diese Art trainiert man seine Ohren, verfeinert sein Gehör bis zu dem Punkt, dass man am Feiertag Gott hört: „Wisse, es gibt nur einen Gott.“ Wenn aber deine Ohren nicht offen sind für die Schreie der Armen, bist du dann nicht auch taub für Gottes Rufe?
 
NOAM ELYON
 
Rabbi Nachman erläutert etwas im Namen von Noam Elyon: Eine Art Süße strömt vom Himmel herab. Aber diese Süße schmeckt man nicht, wenn nicht auch Ohren und Geist vollkommen darauf ausgerichtet sind.
 
Matze ist das einfachste Brot der Welt, nur aus Mehl und Wasser, keine Hefe, kein Salz, kein Pfeffer, nichts zusätzlich. Rabbi Nachman sagt, dass am Feiertag das Noam Elyon aus dem Himmel in Einfachheit herabfließt. Wer sich nicht darauf ausrichtet, der kann es auch nicht erhalten. Die Matzot die wir essen, sind diese Einfachheit in ihrer Ganzheit.
 
Eine Matza schmeckt gut, weil sie ein Stück der Süße von Noam Elyon enthalten. Was lenkt uns aber davon ab? Wir haben so viel Mühe und Arbeit damit, uns unser Brot zu verdienen. Was tut man nicht alles, um ein paar Euros zu verdienen? Man setzt sein ganzes Herz dafür ein und wird jedes Mal mehr zum Sklaven. Die Matza, die wir an Pessach essen, braucht nicht viel Arbeit und Mühe zum Entstehen und wir brauchen auch nur wenig Zeit, sie zu verzehren. Den Rest der Zeit brauchen wir, um wirklich große Dinge zu tun, nämlich um endlich frei zu sein.
 

NIMM DIR NICHT ZU VIEL ZEIT
 
Manchmal sind unsere Kinder diejenigen, die uns Fragen stellen. Rabbi Nachman sagte hierzu: Wenn unsere Kinder uns Fragen stellen wie: „gibt es einen Gott?“ und wir ihnen sagen: „Lass uns darüber reden“,
 dann haben wir sie schon verloren. Wenn sie uns um Rat fragen, was sie denn tun sollen, welchen Beruf sie wählen sollen? Dann können wir ihnen sagen, „lass uns darüber reden.“
 Wenn man gefragt wird: „Sind sie Jude?“ ist es nicht gut, auf jeden Fall kein gutes Zeichen, wenn man erst darüber nachdenken muss. Rabbi Nachman sagt: Am Sederabend, wenn unsere Kinder Fragen stellen wie: „Gibt es einen Gott?“, müssen wir prompt antworten können – ohne Zeitverzögerung!

Ich erinnere mich ein Buch gelesen zu haben, indem ein bedeutender jüdischer Staatsmann über andere Religionen geschrieben hat. Diese bedeutende Führungspersönlichkeit schrieb in diesem Buch, dass er als kleiner Junge einmal einen Rabbi fragte, ob es Gott gäbe. Der Rabbi antwortete:„Sprechen wir darüber. Komm zu mir nach Hause und wir werden es besprechen.“ Er zitierte dann aus unterschiedlichen Quellen. Der Junge sagte: „Ich habe noch eine Frage: Gibt es einen Gott oder nicht?“ Er konnte keine Antwort von dem Rabbi bekommen. In der nächsten Woche traf der Junge einen Breslever Chassiden und fragte ihn: „Gibt es einen Gott?“. Der Breslever Chassid sagte sofort: „Ja natürlich, es gibt einen“.

Die Seder Nacht ist diejenige, in der ich meinen Kindern von dem einen und einzigen Gott erzähle, ebenso dass es die Thora gibt – sowie auch Erez Israel. Diese Antworten müssen einfach und schnell gegeben werden, ohne lange zu überlegen.

Wenn man sieht dass jemand ertrinkt, dann kann man ja auch nicht sagen: „Lassen sie mich erst den Rabbi anrufen, ob ich diese Person auch wirklich retten darf, da ich diese Person letztes Jahr an Jom Kippur gesehen habe, wie er Schweineschinken gegessen hat. Tja und wenn dann auch noch das Telefon des Rabbis besetzt ist … ?!?“ Wenn man sich so verhält, dann ertrinkt dieser Mensch. Wissen sie warum Maschiach noch nicht gekommen ist? Weil wir warteten und weiter warten… ! Wie führte Mosche Rabenu uns aus Ägypten? Gerade jetzt, zu diesem Zeitpunkt – bachazot HaLayla – (zu Mitternacht) ist er losgegangen. Dies ist „Mochin degadlut“ (erweitertes Bewusstsein), das nicht gleichzusetzen ist mit schnellem Denken, sondern es ist viel klarer und auf einem viel höherem Niveau des Bewusstseins. Wenn ich sehe, dass jemand ertrinkt, muss ich schnell einen Entschluss fassen. Dieser Impuls kommt aus den Tiefen meines Bewusstseins, ausgelöst durch etwas Heiliges.

Also, in der Sedernacht ist alles sehr schnell und klar strukturiert. Ich kann meinem Kind sagen: „Dieses hier vor mir ist Matza, das ist Maror“. „Ich bin Jude und es gibt einen Gott“. Wisst ihr – liebe Freunde – wir leben in einer Welt, in der der Satan (= Yezer Hara) gerne mit großen, gierigen Augen auf uns blickt und aus uns seinen Nutzen ziehen möchte, indem er uns zur Selbstzerstörung verführt. Am Sederabend möchte jeder Jude seinen Seder haben. Was tut dann Satan? Er lässt uns nur an die Hühnersuppe mit Kneidelach denken. Ich habe die Leute oft gefragt: „Wie war der Seder?“ Sie antworteten: „Oh, das Essen war wieder unglaublich.“ Traurig, wenn auf die Frage nach dem Seder nur eine Beschreibung des Essens kommt.

Rabbi Shlomo Carlebach erzählte mal, wie er vor Jahren in Indien war: "Ich fragte einen jüdischen Jungen der nicht zurück zu seinen Wurzeln wollte, was er über Jüdischkeit wusste. Er sagte: „Einmal im Jahr kam meine Familie zusammen zu einem Seder. Den Seder hat immer mein Onkel gesprochen, der dabei all die extrem perversen und überaus schmutzigen Witze erzählte, die er über das Jahr gehört hatte. Eines Nachts stand ich auf und sagte: ‚Ich glaube nicht, dass dies so für den Sederabend vorgeschrieben wird.’ Mein Onkel antwortete mir darauf: Seht wer da spricht, er geht noch nicht einmal in die jüdische Oberschule, was kann der denn schon wissen? Also dachte ich, wenn man mir als Jüdischkeit nur perverse und schmutzige Witze neben einer Hühnersuppe anbietet – wer braucht das schon?"

Wenn meine Tochter Zahnweh hat, dann suche ich den besten Zahnarzt für sie. Wenn eines meiner Kinder krank ist, suche ich den besten Arzt auf. Aber wenn es darum geht Jüdischkeit zu leben, – die Seele aller Seelen, die Ewigkeit aller Ewigkeiten für meine Kinder -, dann suche ich für sie den einfachsten Menschen der Welt, der gar nichts weiß.

Dies ist die Thora von Rabbi Nachman: Er sagte, dass die Sklaverei in Ägypten eigentlich daher kam, dass wir vom Baum der Erkenntnis aßen. So ist es auch heutzutage, das Essen von diesem Baum führt uns dazu, dass wir unser Brot unter Tränen erwerben und essen müssen. Zu Beginn des Seders essen wir Karpas, etwas Gemüse, aber schon kurz danach essen wir unser Brot mit Simcha, also mit großer Freude. Matza zu genießen ist, wie Brot mit Freude zu essen. Am Anfang des Seders stehen wir noch vor dem Verzehr vom Baum der Erkenntnis. Es geht alles sehr schnell. Chametz ist alles, was lange dauert. Es ist der Untergang der Menschheit immer auf etwas zu warten. Es wird gesagt: „Wir müssen auf den Frieden warten. Es braucht Zeit bis er kommt. Immer warten wir auf etwas.“ Matza ist das Symbol der Bereitwilligkeit, nicht darauf zu warten, uns in den Dienst Gottes zu stellen um damit – mit Gottes Hilfe – unser eigenes, persönliches Mitzrajim verlassen zu können.

Wartet nicht zu lang!
 

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