Einer für alle – alle für einen!

Menschen werden heute entsprechend ihrem äußerem Erscheinungsbild in das Schubkästchen einer Gruppe zugewiesen.

4 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Immer wieder hören wir von unliebsamen Vorkommnissen zwischen bestimmten ultra-orthodoxen Kreisen in Israel und einigen ihrer Widersacher.

Eine liebe Frau, die mich gemeinsam mit meinem Schüler vor ein paar Monaten LIVE in Frankfurt erlebt hat, hat mich vor kurzem auch zu diesem eben erwähnten Thema angesprochen. Allerdings fügte sie hinzu, dass sie aufgrund ihrer Anwesenheit bei meinen Vorträgen in Frankfurt bezeugen könnte, was das tatsächliche Bild vom „Judentum“ – also Thora und Emuna – darstellt.

Menschen werden heute entsprechend ihrem äußerem Erscheinungsbild in das Schubkästchen einer Gruppe zugewiesen. Dabei darf man nicht vergessen, dass es überall und in jedem Zweig immer wieder eine kleine fanatische Gruppe geben wird. So auch was das Orthodoxe Judentum, betrifft. Auch innerhalb des orthodoxen Judentums gibt es leider kleine fanatische Gruppen, die in Wahrheit aber so weit von der Thora und dem Judentum entfernt sind, wie wir alle gemeinsam vom Mars! Deshalb sollte und darf man auf keinen Fall einer Kollektivverurteilung zustimmen, denn was eine negative Einordnung einer gesamten Gruppe oder „Rasse“ bedeutet, haben wir selber zu oft – nicht nur während der Schrecken des 2. Weltkrieges –  erleiden müssen.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich als leidenschaftlicher Fußballfan bei der WM 1998 für die DFB-Truppe die Daumen hielt. Leider ereignete sich bei dieser Weltmeisterschaft ein brutaler Überfall auf den französischen Polizisten Daniel Nivel. Jener Polizist wurde von einigen deutschen Hooligans fast zu Tode geprügelt. Und jetzt die Frage: Sind alle deutschen Fußballfans bestialische Hooligans, die nur Gewalt und Hass und Mordlust ausleben?

Mit Sicherheit nicht! Es handelte sich bei ihnen um eine ganz winzige Minderheit von durchgedrehten Fanatikern, die ihr Unwesen trieben – und leider auch weiter treiben. Man sieht, Verrückte gibt es leider überall und in jeder Gruppe! Die Frage ist vielmehr, mache ich bei dieser Hassparade mit, oder versuche ich etwas beizutragen, damit solche Schrecken aus unserem Leben verschwinden!? 

Der erste Weg dazu ist zu begreifen, dass jegliche Art von Kollektivverurteilungen nur Hass und Gewalt zur Folge haben. Man muss also den Kern solcher Fanatiker ermitteln und ihnen erklären, was die Gesetze des Staates – und selbstverständlich auch der Thora – verkörpern: Ein klares NEIN zur Gewalt! Wenn man sich aber zu Verallgemeinerungen hinreisen lässt, dann macht man im Prinzip denselben Fehler wie jene Fanatiker und wird dabei sehr schnell auch bald zu so einem „Geistesgestörten“, der mit seinem Fanatismus nur versucht, die Welt zerstört. 

Der wohl größte Fehler, der überhaupt erst zu Konflikten dieser Art führt, ist das sogenannte Schubladendenken! Also: Ein Mann liebt Fußball und hat eine Glatze = Hooligan = Gewalttäter. Er ist schwarz gekleidet, langer Bart und Schläfenlocken = ultra-orthodox = nicht ganz dicht, weil sein Lebensstil völlig veraltet ist.

Er zieht sich an wie Brad Pitt = ein Linker – und so weiter!

Dieses Denken ist einfach nur negativ und deshalb von Grund auf auch falsch!! 

Jeder weiß, dass beim Purim-Fest die Megillat Esther gelesen wird. Dort wird über „die“ jüdische Erscheinung gesprochen, nämlich über Mordechai! Und wie wird er dort bezeichnet? Nach dem heutigen Schubladendenken würde er als Mordechai, der ultra-orthodoxe Jude, wohl glatt durchgehen. Jene, die damals ultra-orthodoxe Juden waren, würden ihn aber nicht wirklich als den klassischen Typus des ultra-orthodoxen Juden einstufen, da er trotz seines Aussehens ja vor allem auch von den Nichtreligiösen sehr geliebt wurde …

Und siehe da, schlägt man die Megillat Esther auf, erkennt man mit Erstaunen, dass dort Mordechai wie folgt beschrieben wird: Mordechai der Jude!!! Ganz einfach „der Jude“, ohne den geringsten Versuch, ihn in irgendeine Schublade zu stecken!

Den Fehler, den wir also machen können ist, jemanden in eine Schublade zu stecken! Es gibt keine ultra-orthodoxen, orthodoxen, softorthodoxen, zionistischen, liberalen – oder weiß der Kuckuck – was für Juden! Es gibt schlicht und ergreifend einfach nur JUDEN! Und nach dem selben Prinzip gilt es auch hervorzustellen, dass wir alle Menschen sind!!

Nur wer das begreift und lebt, wird erkennen, dass durch mediale Berichterstattungen sehr oft aus einer kleinen Mücke ein Elefant gemacht wird, also sehr viel Hass und Intrige gesponnen wird. Jede Partei versucht der Welt zu zeigen, welches Leger das bessere sei, nur die anderen sind die bösen, weil sie nicht so aussehen wie wir, nicht so denken wie wir – sie eben anders sind!

Und hier komme ich zum nächsten Punkt! Menschen sind nicht alle gleich, jeder hat seine Sicht der Dinge. Und eben jene unterschiedlichen Auffassungen und Lebensweisen gilt es unter einen Hut zu bringen, in das Haus der Liebe!!! Die Thora sagt: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das steht nicht einfach nur so da! Liebe deinen Nächsten so, wie du dich selbst mit all deinen Fehlern und Unzulänglichkeiten und Verrücktheiten liebst und dich sogar auch gerade deswegen „Klasse“ findest! Anstatt übereinander zu reden, sollte man miteinander sprechen. Anstelle eines übereinander Herfallens, benötigt diese Welt ein Miteinander! Hass schüren ist einfach, Schuld zuweisend mit dem Finger auf jemanden zeigen auch! Wenn man einen Finger auf andere richtet muss man wissen, drei Finger zeigen auf einen selbst zurück: wie verhalte ich mich meiner Frau gegenüber, zu meinen Freunden, meinen Eltern – ist bei mir selbst alles in Ordnung??? Bevor ich mich um den Dreck andere kümmere, sollte ich lieber den Schmutz vor meiner eigenen Tür beseitigen; und wenn mir das gelungen sein sollte, habe ich immer noch genügend damit zu tun, nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen.

Das Judentum ist nicht farbenblind! Es ist schön, jung, lebt und liebt – Mann, Frau, Kind, jung oder alt, schwarz oder weiß!!!

In diesem Sinne: Einer für alle – alle für einen!
 

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