Schofarblasen – viele Bedeutungen

Es ist bemerkenswert, dass die Tora das Blasinstrument nicht benennt, das am Rosch HaSchana zum Einsatz kommen soll.

3 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Schofarblasen hat verschiedene Bedeutungen

 

Es ist bemerkenswert, dass die Tora das Blasinstrument nicht benennt, das am Rosch HaSchana zum Einsatz kommen soll. Diese Tatsache hat einige Übersetzer der Tora ins Deutsche so verstört, dass sie das im hebräischen Original Fehlende in den deutschen Text eingefügt haben. So lesen wir in der Übertragung von Leopold Zunz: "Im siebenten Monat, am ersten des Monats sei euch eine Feier, ein Gedächtnistag des Trompetenschalls, heilige Berufung" (3. Buch Mose, Kap.23,24). Rabbiner David Zwi Hoffmann übersetzt diesen Vers: "Im siebenten Monat, am ersten des Monats sei euch ein Tag der Ruhe, der Erinnerung durch Posaunenschall, der heiligen Ausrufung". Weder vom Trompeten- noch vom Posaunenschall ist hingegen bei Rabbiner Hirsch die Rede, und das hat seine Richtigkeit. Hirsch schreibt in seinem Werk über Israels Pflichten: "Erwägung aufregenden Tones"; und an anderer Stelle desselben Buches "Chorew" lässt er ein hebräischen Wort unübersetzt: "Terua-Erwägung", um eine Besonderheit der Schrift hervorzuheben.

Der Babylonische Talmud (Rosch HaSchana 33 b) erörtert die Frage, woher wir wissen, dass man am Neujahrstag auf einem Schofar blasen soll. Die Antwort des Talmuds lautet, dass das Blasen am Rosch HaSchana vom Blasen am Jom Kippur des Joweljahres abgeleitet wird, wo die Tora sogar zweimal von einem Schofar spricht: "Dann lässest du Teruaschofartöne ergehen, im siebten Monat am zehnten des Monats; am Tage der Sühnen lasset ihr Schofartöne durch euer ganzes Land ergehen" (3. Buch Mose, Kap.25,9 in der Übersetzung von Rabbiner Hirsch). L. Zunz hat diesen Vers wie folgt übersetzt: "Und lass Posaunenschall ergehen im siebenten Monat am zehnten des Monats; am Versöhnungstage sollt ihr Posaunenschall ergehen lassen durch euer ganzes Land".

Die Frage drängt sich dem aufmerksamen Leser auf: Wie kommen Leopold Zunz, Moses Mendelssohn sowie Martin Buber u.a. dazu, den Schofar als eine Posaune zu bezeichnen? Sie wandeln in den Spuren des wegweisenden christlichen Bibelübersetzers Martin Luther, der Schofar mit Posaune übersetzte. Diese Übersetzung ist jedoch irreführend! Posaune und Schofar sind zwei ganz verschiedene Blasinstrumente, die in der Bibel erwähnt sind, einmal sogar beide im selben Vers: "Mit Posaunen und Schofarruf wecket Huldigung vor Gott, dem König" (Psalm 98,6). Verwechseln sollte man die zwei Instrumente keinesfalls. Schofar wird aus dem Horn eines Tieres hergestellt, die Posaune aus Metall (siehe 4.Buch Mose, Kap.10,2).

Nicht nur im Aussehen und Klang unterscheiden sich die genannten Instrumente; es ist wichtig zu wissen, dass jedes seine besondere Funktion hat. Rabbiner Hirsch hat den Unterschied in seinem Psalmenkommentar deutlich herausgearbeitet: "Posaune ist das Instrument, Menschen zu Menschen, insbesondere auch Gott zu Hilfe und Beistand des Menschen herbeizurufen. Mit Schofar ruft Gott den Menschen und der Mensch im Namen Gottes sich und seine Mitmenschen zu Gott". Es ist ein Gebot (Mitzwa) der Tora, in Zeiten der Not Posaunentöne erklingen zu lassen (siehe Maimonides, Hilchot Taaniot, Kap.1,1). Das gebotene Posaunenblasen ist im Grunde eine Form des Gebetes. Schofartöne hingegen drücken keine Bitten aus, sondern vermitteln bestimmte Botschaften an die Zuhörenden.

In unserer Zeit können wir Juden nur das Gebot des Schofarblasens am Rosch HaSchana erfüllen. Da das Joweljahr schon seit langer Zeit nicht mehr praktiziert wird, gibt es das Schofarblasen am Jom Kippur nicht mehr im Lande Israel (und nur dort ist es geboten!). Wir kennen diese Mitzwa zwar nicht aus unserer heutigen synagogalen Praxis, wohl aber aus dem Studium der Quellen, die dieses Tora-Gebot behandeln.

 Sowohl Moses Maimonides als auch der Autor von "Sefer HaChinuch" (Buch der Erziehung) machen uns darauf aufmerksam, dass das Schofarblasen an den zwei Feiertagen in der ersten Hälfte des  siebenten Monats des jüdischen Jahres nicht dieselbe Bedeutung hat. Am Jom Kippur des Joweljahres ertönt der Schofar als eine Freiheitsproklamation: "Alle hebräischen Sklaven sind freizulassen!" Hingegen sollen uns die Schofartöne am Rosch HaSchana zur Umkehr (Teschuwa) aufrufen.

Wohlbekannt ist heute in allen jüdischen Gemeinden die Praxis, am Ende der Jom Kippur-Gottesdienste einen Schofarton zu blasen. Etliche Erklärungen dieses Brauches sind vorgelegt worden. Eine Interpretation der Tosafot (Megilla 4 b) besagt, dass der Schofarton am Ende von Jom Kippur an das Schofarblasen erinnern soll, das in früherer Zeit am Jom Kippur jedes Joweljahres erklang. Eine schlichtere Deutung lautet: dieses kurze Schofarblasen verkündet, dass nun die Nacht begonnen hat und somit die Zeit gekommen ist, das Fasten zu brechen.

Der Schofar ist gewiss eines der bekanntesten Symbole des Judentums. Es ist sehr wichtig, die Botschaft dieses Instrumentes richtig zu verstehen. Nach einem Bericht im Jerusalemer Talmud führte ein Missverständnis in der Römerzeit sogar zu einem Blutbad. Je nach Zeitpunkt und Kontext des Blasens haben Schofartöne verschiedene Bedeutungen.

 

 

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.

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