Barometer des Glücks

An Simchat Thora tanzen wir stundenlang mit den Thorarollen, sowohl in der Nacht als auch am darauf folgenden Morgen ...

4 Min.

Rabbiner Lazer (Elieser Rafael) Brody

gepostet auf 05.04.21

An Simchat Thora tanzen wir stundenlang mit den Thorarollen, sowohl in der Nacht als auch am darauf folgenden Morgen. Wir erfreuen uns an unserem alljährlichen Abschluss des Lesens der 5. Buches Moses, also der Thora, und auf der gleichen Feier beginnen wir wieder von neuem mit dem Lesen der gesamten Thora ab dem Anfang des 1. Buches Moses (Bereschit). Sicherlich, dies ist ein fröhliches Fest, aber warum tanzen wir, bis unsere Kleidung wortwörtlich vollgesogen ist vom Schweiß und wir uns am liebsten unserer Kleider entledigen möchten??
 
Rabbi Nathan schrieb (Sichot HaRan 2999): „Es war meine Angewohnheit, dem Rebbe (Rabbi Nachman aus Breslev) jedes Jahr nach Simchat Thora  zu treffen. Er fragte mich immer, ob ich wirklich während der Feierlichkeiten fröhlich war. Oft erzählte er mir, wie die Gemeinde in seinem Haus feierte und wieviel Vergnügen dieses Fest ihm gab. Einmal sprach der Rebbe mitten im Jahr über Simchat Thora zu mir: „Kannst du jetzt Freude in deinem Herzen empfinden?  Fühlst du diese Freude das ganze Jahr oder nur einmal?. Der Rebbe befahl uns, das ganze Jahr über glücklich zu sein – aber besonders an Simchat Thora! Und der Rebbe erzählte mir, dass er einmal an Simchat Thora so erfreut war, dass er im Raum tanzte.“
 
Davon können wir einige wichtige Erkenntnisse entnehmen:

 

  1. Für Rabbi Nachman war es sehr wichtig, immer froh zu sein, aber besonders an Simchat Thora.
  2. Rabbi Nachman achtete sehr darauf, dass die Chassiden froh an Simchat Thora sind, denn das verschaffte ihm eine enorme Befriedigung.
  3. Simchat Thora ist die Zeit der größten Freude. „Freude im Herzen“ für das ganze Jahr.
  4. Rabbi Nachman selbst tanzte als Ausdruck seiner Freude an diesem Fest.

 
Es gibt zwei besondere Gelegenheiten im Judentum zum Tanzen: Hochzeiten und Simchat Thora. Beide Gelegenheiten ähneln sich sehr: Auf einer Hochzeit feiert man den neu geschaffenen Bund zwischen Braut und Bräutigam  und Simchat Thora ist die Feier des erneuerten Bundes zwischen der Thora – der spirituellen Braut -, die sich mit dem Volk Israel [dem Bräutigam] verlobt. Je mehr Braut und Bräutigam sich an einander erfreuen, umso freudiger tanzen sie.
 
Rabbi Nachman hatte große Pläne mit Rabbi Nathan, seinem Lieblingsschüler. Rabbi Nachman forderte Rabbi Nathan auf, die uneingeschränkte Liebe zur Thora zu erreichen. Deshalb befragte er Rabbi Nathan jedes Jahr über seinen Freudigkeitsgrad an Simchat Thora, um ihm zu erklären: Der Grad an Freudigkeit, der an Simchat Thora erlangt wird, ist das Barometer der wahren Liebe zur Thora. Und wie wir in der folgenden Parabel sehen können, auch für Hashems (Gottes) liebender Gnade:
 
Goldzweig und Oppenheim waren zwei reiche Kaufleute, die mit seltenen Edelsteinen und Juwelen handelten. Jedes Jahr reisten sie von ihren jeweiligen Städten Warschau und München zur Messe nach Leipzig. Wie gute Freunde wohnten und aßen sie in dieser Zeit zusammen und machten gemeinsam Geschäfte; dadurch eröffneten sich ihnen neue Quellen für weitere Verdienstgelegenheiten.
 
Die Messewoche neigte sich dem Ende zu. Goldzweig und Oppenheim hatten gute Geschäfte gemacht und bereiteten sich darauf vor, nach Hause zu fahren, befrachtet mit einer Menge von Aufträgen, die große Gewinne für jeden von ihnen versprachen. Bevor sie den Abendzug nahmen, mussten sie aber noch eine wichtige Aufgabe erledigen – nämlich ein Geschenk für ihre Ehefrauen kaufen. Mit leeren Händen aus Leipzig zurück zu kommen wäre eine Sünde gewesen, so wie am Yom Kippur eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Sie mussten etwas für ihre „besseren Hälften“ finden. Aber was kauft man für die Frauen von reichen Händlern, die alle Annehmlichkeiten besitzen, die sich eine Frau nur wünschen kann? Der Erwerb eines Geschenkes erwies sich als eine größere Herausforderung für Goldzweig und Oppenheim, größer als eine Woche lang mit Geschäftspartnern zu verhandeln. Beide Kaufleute mussten in zwei Stunden am Bahnhof sein und sie hatten immer noch kein geeignetes Geschenk gefunden.
 
Noch eine goldene Uhr oder eine diamantene Brosche würde nicht genügen.
Ein alter polnischer Jude mit langen silbergrauen Schläfenlocken und einem Dashik [schwarze Kappe mit schmalem Schirm, wie sie die polnischen und ukrainischen chassidischen Juden trugen] auf dem Kopf näherte sich den beiden Kaufleuten:„Hätten die Herren vielleicht Interesse an seltener Judaica?“.
 
Goldzweig und Oppenheim sahen sich an und lächelten. Was für eine gute Investition mit niemals fallendem Wert. Der alte polnische Jude hatte zwei handillustrierte Kopien des klassischen Tzena U'reena, einem jiddischen Thorakommentar  für Frauen, gedruckt auf seltenem Pergament aus dem 18. Jahrhundert. Nach hundertfünfzig Jahren waren beide Bände immer noch tadellos erhalten. Für nur 80 Goldkronen pro Stück waren die Bücher eine gute Anlage, die für Goldzweig und Oppenheim risikolos waren. Sie bezahlten die Bücher und kehrten zum Bahnhof zurück. Goldzweig fuhr heim nach Warschau. Noch bevor er seinen Koffer auspackte, holte er den liebevoll eingeschlagenen Band hervor und zeigte ihn seiner Frau. Mit großen Augen betrachtete sie das Buch und ihre Augen füllten sich mit Freudentränen. Ein zartes Lächeln erleuchtete ihr Gesicht und sie drückte das alte Buch an ihr Herz. „Simon“, sagte sie „dies ist das wunderbarste Geschenk, dass ich jemals bekommen habe! Ich werde es immer schätzen und jeden Schabbat in diesem Buch lesen! Es wird unser wichtigstes Familienerbstück für unsere älteste Tochter sein und ich hoffe, sie wird es weitergeben an ihre älteste Tochter – und so weiter bis an das Ende der Tage!
 
Nur ein gottesfürchtiger, großherziger und liebender Ehemann wie du, konnte so ein unbezahlbares Geschenk finden. Diese Tzena U'reena ist so schön, ich kann dir nicht genug danken!“
 
Oppenheim erhielt unglücklicherweise ein weniger enthusiastisches Willkommen bei seiner Ankunft in München. „Noch ein Staubfänger?“, schrie seine aufgebrachte Frau, verstaute den seltenen und alten Band in der Ecke, als ob es eine alte Zeitung wäre.
 
Frau Goldzweig war erfreut über ihr Geschenk, weil sie sich an die Thora hielt. Sie sah die alten Seiten des Buches nicht nur als altes Pergament, sondern als ein bedeutungsvolles Familienerbstück, dass von Generation zu Generation weitergeben werden musste. Ihre Reaktion ist der Beweis ihrer Liebe zu Gott und zur Thora. Frau Oppenheim hingegen, war viel mehr an weltlichen und materiellen Dingen interessiert. In der Art, in der wir die Freude der Simchat Thora empfinden und wie wir das Bedürfnis empfinden,  mit unseren Händen zu klatschen und mit unseren Füßen  zu tanzen, zeigen wir unsere Liebe zur Thora. Von dem Augenblick an, ab dem die Seele eines Juden an die Thora gebunden ist, beeinflusst die Freude der Thora seine Seele.
 
Simchat Thora ist ein Barometer der Lebensfreude der Juden. Je mehr wir Hashem und die Thora lieben, umso freudiger und inbrünstiger tanzen wir.
 
Mögen wir alle erfolgreich sein im Erlangen der wahren Liebe zur Thora. Amen!

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