Die letzte Fahrt

Ein Taxifahrer aus New York erzählt über eine Fahrt, die sein Leben von Grund veränderte …

3 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Egal, ob Du Geschichten magst oder nicht, diese hier solltest du lesen…

Ein Taxifahrer aus New York erzählte: Ich wurde zu einer Adresse bestellt, wo ich einen Fahrgast abholen sollte. Als ich ankam hupte ich laut. Nach ein paar Minuten Wartezeit hupte ich erneut. Da es die letzte Fahrt in meiner Schicht war, wollte ich bereits weg fahren, weil es mir einfach zu lange dauerte. Aber stattdessen parkte ich den Wagen, ging zur Tür und klopfte…

„Nur eine Minute“,antwortete eine gebrechliche, ältere Stimme. Ich konnte hören, wie etwas mühsam über den Boden gezogen wird.
 
Nach einer langen Pause öffnete sich die Tür. Eine kleine Frau von vermutlich über 90 Jahren stand vor mir. Sie trug ein Kleid und einen Hut mit einem Schleier, wie  aus einem 40er-Jahre-Film.

Neben ihr an der  Seite stand ein kleiner Koffer. Die Wohnung sah leer aus, so als hätte dort seit Jahren niemand mehr gelebt. Alle Möbel waren mit Tüchern abgedeckt, so wie bei Leuten die auf einer langen Reise sind. Es gab keine Uhren an den Wänden, alle Schränke waren leer. Es gab nicht einmal Geschirr in der Küche. Nur in einer Ecke stand ein einzelner  Umzugskarton randvoll mit Fotos und Glaswaren.

„Würden Sie mir meinen Koffer bitte zu ihrem Auto tragen?“,bat sie mich. Ich legte den Koffer in den Kofferraum und kehrte dann zurück um die Frau zu stützen. Sie nahm meinen Arm und wir gingen langsam zum Wagen.

Sie dankte mir für meine Güte. „Kein Problem“, sagte ich ihr, „Ich versuche sie nur genauso zu behandeln, wie ich es möchte, dass meine Mutter auch  behandelt wird.“

„Oh, du bist so ein guter Junge“,sagte sie. Als wir im Taxi saßen, gab sie mir eine Adresse und fragte: „Können sie mich durch die Innenstadt fahren?“

„Es ist nicht der kürzeste Weg“,antwortete ich ihr schnell.

„Oh, das macht überhaupt nichts“,sagte sie. „Ich habe es nicht eilig. Ich bin auf dem Weg zu einer Sterbeklinik.“

Ich schaute in den Rückspiegel. Ihre Augen glänzten feucht. „Ich habe keine Familie mehr“ fuhr sie fort mit einer sehr weichen Stimme. „Der Arzt sagt, ich habe nicht mehr sehr lange Zeit.“ Als ich das gehört hatte, da musste ich einfach das Taxameter abschalten und fragte nur noch: „Welche Route soll ich nehmen?“

Für die nächsten zwei Stunden fuhren wir einfach durch die Stadt. Sie zeigte mir das Gebäude, wo sie einmal als Aufzugswärterin gearbeitet hatte.

Wir fuhren durch das Viertel, wo sie und ihr Ehemann als Paar gelebt hatten, vorbei an einem Möbellager, das einst ein Ballsaal gewesen ist, wo sie als junges Mädchen gern tanzen ging.

Manchmal bat sie mich langsam an einem bestimmtem Gebäude oder einer Ecke vorbei zu fahren. Sie starrte dann in die Dunkelheit und sagte nichts.

Als die ersten Sonnenstrahlen am Horizont erschien, sagte sie: „Ich bin müde. Es ist Zeit“. Wir fuhren stillschweigend zu der Adresse, die sie mir gegeben hatte. Es war ein niedriges Gebäude, wie ein kleines Erholungsheim mit einer Auffahrt.

Zwei Pflegekräfte kamen zum Taxi. Sie waren besorgt und beobachteten jede Bewegung. Sie müssen sie schon erwartet haben.
 
Ich öffnete den Kofferraum und nahm den kleinen Koffer und stellte ihn vor die Tür. Die Frau saß bereits im Rollstuhl.

„Wie viel schulde ich Ihnen?“In dem Moment bat sie die Pflegekräfte ihr ihren Geldbeutel zu reichen.
„Nichts“, sagte ich.

„Aber Sie müssen doch ihren Lebensunterhalt verdienen“ antwortete sie.

„Es gibt auch noch andere Fahrgäste“,antwortete ich.

Ohne weiter in dem Moment nachzudenken, beugte ich mich zu ihr herab und umarmte sie herzlich. Sie drückte mich ganz fest an sich.

„Sie haben einer alten Frau einen kleinen Moment der Freude geschenkt“,sagte sie gerührt. „Danke“.

Ich drückte ihre Hand und ging dann in Richtung Sonnenaufgang zu meinem Wagen. Hinter mir schloss sich eine Tür. Dieses Geräusch kam mir vor, als würde ein langes Leben abgeschlossen.

Ich holte keine weiteren Fahrgäste mehr und fuhr ziellos in Gedanken versunken durch die Gegend. Für den Rest des Tages konnte ich kaum sprechen. Was wäre passiert, wenn ich mich geweigert hätte, diese Fahrt zu machen oder nach dem ich gehupt habe, einfach weggefahren wäre?

Rückblickend glaube ich, dass ich niemals etwas Wichtigeres in meinem Leben getan habe …

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.