Gastfreundschaft

Zu den elementaren Regeln der Höflichkeit gehört es, dass Gäste sich für die Bewirtung bedanken. Im Babylonischen Talmud heißt es, der Gast solle den Hausherren segnen.

2 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 17.03.21

Gastfreundschaft spielt im jüdischen Leben eine sehr wichtige Rolle. In seinem Buch über die Mitzwot schreibt Rabbiner S.R. Hirsch: „Nicht nur Dir und den Deinigen sei Dein Haus eine Stätte des Wohlseins, Jedem Speise- und Trank- und Obdachbedürftigen stehe Dein Haus offen; vor allem für den Fremden, den nur seine Gotteskindschaft als Empfehlung Dir bringenden, gastfrei nimm ihn auf.“ An die Pflicht, Gäste zu sich einzuladen, werden Juden tagtäglich im Morgengebet erinnert. Gastfreundschaft steht in einer Liste der Dinge, deren Früchte der Mensch im Diesseits genießt, deren Stamm aber für die kommende Welt erhalten bleibt. Ein doppelter Lohn wird also Menschen zugesagt, die Gastfreundschaft ausüben.

Zu den elementaren Regeln der Höflichkeit gehört es, dass Gäste sich für die Bewirtung bedanken. Im Babylonischen Talmud (Berachot 46 a) heißt es, der Gast solle den Hausherren im Rahmen des Tischgebetes segnen. Man spricht von Birkat HaOreach  (Segensspruch des Gastes). Der Talmud stellt und beantwortet die Frage, welchen Segen der Gast zu sprechen hat: „Möge es Sein  Wille sein, dass der Hausherr in dieser Welt nicht beschämt und in der zukünftigen Welt nicht zuschanden werde . . . Möge er in  all seinem Besitztum viel Glück haben; seine sowie unsere Güter mögen gedeihen und der Stadt nahe sein. Möge der Satan keine Macht haben über die Werke seiner Hände, noch über die Werke unserer Hände. Kein Gedanke der Sünde, der Übertretung und des Vergehens komme ihm sowie uns in den Weg, von jetzt an bis in Ewigkeit.“ Es fällt auf, dass in diesem Tisch-Gebet (ebenso wie im oben erwähnten Morgengebet) sowohl von dieser als auch von der kommenden Welt die Rede ist. Hervorzuheben ist ebenfalls, dass der Gast nicht nur für den Hausherren betet, sondern bei dieser Gelegenheit auch für sich.

Da der im Talmud formulierte Text von Birkat HaOreach  im heute gültigen Kodex „Schulchan Aruch“ (Orach Chajim, Kap. 201,1) übernommen wurde, ist es erstaunlich, dass nicht alle Gebetbücher bzw. Benschblätter Birkat HaOreach erwähnen. Wohl finden wir den Segen für den Hausherren im  „Siddur  Schma Kolenu“ ( Basel 1996). Allerdings ist anzumerken, dass die Übersetzung der letzten Bitte offensichtlich fehlerhaft ist: „Und lasse uns von jetzt und für immer keinen bösen Gedanken nachhängen.“ Hier denkt der Beter nur an sich und hat den Gastgeber anscheinend ganz vergessen!

Was ist zu tun, wenn eine Witwe als Gastgeberin fungiert? Es wäre geradezu taktlos, an den verstorbenen Hausherren beim Tischgebet zu erinnern. Nun, der Gast muss Birkat HaOreach so umformulieren, dass die Bitten für eine Frau gelten und nicht für einen Mann. Im Siddur „Bet Tefilla“ (Jerusalem 1998) findet man Birkat HaOreach in zwei Versionen – für den Gastgeber bzw. für die Gastgeberin. Diese Differenzierung ist von der Sache her logisch, und es führt kein Weg an ihr vorbei. Warum sollten Gäste einer Frau Birkat HaOreach vorenthalten?

Übrigens ist Birkat HaOreach nicht nur in privaten Wohnzimmern, beim Kiddusch im Gemeindesaal und bei Hochzeiten zu sprechen, sondern auch bei vielen anderen Gelegenheiten, z.B. bei Dinners, die von irgendeiner Organisation finanziert wurden. Danken sollen wir nicht nur namentlich bekannten Gastgebern, sondern auch unbekannten Sponsoren. Daher haben einige Halachisten die Ansicht vertreten, dass Schüler und Schülerinnen am Mittagstisch ihrer Ausbildungsinstitutionen Birkat HaOreach aufzusagen verpflichtet sind.

Die Erziehung zur Dankbarkeit ist ein zentrales Anliegen des Judentums. Wie oft danken Juden Gott im Gebet? Man sollte aber auch keine Gelegenheit auslassen, dem Nebenmenschen Dank auszudrücken. Birkat HaOreach hilft uns bei der Erfüllung dieser nie endenden Aufgabe.

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