Gespielte Höflichkeit

Der Nationalsozialismus - wie eine so kultivierte und gebildete deutsche Nation, sich über Nacht, zu einem Sadisten verwandelt und eine Todesmaschinerie entwickelt?

4 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 17.03.21

Der Nationalsozialismus wirft die Frage auf, wie eine so kultivierte und gebildete Nation wie es die Deutsche damals war, über Nacht beginnt, sich zu einem Sadisten zu verwandeln und eine derartige Todesmaschinerie entwickelt?

 

Die Antwort lesen wir in Parashat Toldot. Die Person Esau ist für uns ein Rätsel. So wie die eben gestellte Frage auch. Esau wirkt hier wie ein Grobian. Sein Wortschatz ist voll von vulgären Ausdrucksformen.

 

Doch die Lehre welche wir aus seiner Geschichte ziehen, lässt verstehen, was damals mit der so kultivierten und gebildeten deutschen Nation geschah.

 

„Ich bin hungrig! Bitte gieß dieses rote Zeug in meine Kehle.“ (1. Buch Moses 25,30), das war die befehlshaberische Aufforderung von Esau an Jakob. Er sagte das in einem sehr groben Ton. Jakob kochte einen Topf roter Linsen – rote Linsen, die Juden in der Trauerzeit essen. Jakobs und auch Esaus Großvater, der große Abraham, der Patriarch und Urvater der Juden, starb genau an diesem Tag. Der Schöpfer nahm ihn fünf Jahre vor seinem eigentlichen Ablebenszeitpunkt zu sich, sodass er Esaus Verfehlungen nicht bemerkte. Esaus Aufforderung an Jakob ist missverständlich. Er  drückte sich gegenüber Jakob sehr holprig aus, will irgendwie nett wirken: „Ich bin hungrig! Bitte …“ Aber seine Aufforderung wirkt dennoch unhöflich, da dass „bitte“ kein wirkliches „bitte“ war, sondern ein aufgesetztes, so wie: „Geh bitte..: Na los, auf wem wartest du? Jetzt gieß mir doch endlich dieses rote Zeug in meine Kehle“. Warum also dieses aufgesetzte „bitte“? Man könnte von solch einer groben Person wie Esau keine besonderen Manieren erwarten. Esau, der keine Skrupel besaß, einen Menschen zu töten. Dennoch müssen wir uns erinnern, dass er ein Meister der „Verwandlung“ war. Als er seinem Vater, Isaac sein Essen servierte, zog er sich dabei seine schönsten Kleider an. Seine Freundlichkeit, die er  seinem betagten Vater gegenüber kundtat, war gekünstelt, denn hinter seinem Rücken sprach er abfällig über ihn und voller Verachtung.

 

Der hebräische Text enthüllt einige tiefe Geheimnisse über Esau und seine Ausdrucksformen, die seinen Nachfahren, der gesamten Menschheit und insbesondere dem jüdischen Volk offenbart werden wird. „Haliteni na min ha adom“ (dt. „Bitte schöpfe diese roten“). Die ersten Buchstaben der ersten drei Worte in dieser Passage sind die hebräischen Buchstaben Hey, Mem, Nun. In dieser Anordnung ergeben sie den Namen „Haman“ – Haman war der direkte Nachfahre Esaus, der später die gesamte jüdische Nation an einem Tag vernichten wollte.

 

Esau wurde auch Edom genannt, der Talmud im Traktat Megilla fragt wer mit „Edom“ noch gemeint ist. Die Antwort: „Deutschland von Edom, wenn sie ausziehen, zerstören sie die ganze Welt.“  Die Edomiter waren die Nachfahren von Esau. Der Name Esaus Edom stammt ab vom hebräischen „Adom“ und bezieht sich auf Esaus rote Haare und auf das rote Linsengericht, das er zu sich nahm. Aus dem Talmud ergeht also eine Verbindung zwischen Esau und den Nazis.

 

Wenn man den damaligen Nationalsozialismus in Deutschland genau betrachtet, erkennt man, wie sich Esaus Geschichte tatsächlich fortsetzte. Esau sagte „bitte“, bevor er sich wie ein Tier über die Nahrung hermachte. Besonders in der deutschen Sprache legt man großen Wert auf ein freundliches Niveau, stets „Bitte schön“ und „Danke schön“ zu sagen. Die Nationalsozialisten erlangten ein höchstes technologisches und wissenschaftliches Niveau. Sie hielten Musik und Kunst in einer wohlgeordneten Gesellschaft sehr hoch – auch mit außerordentlich strengen Gesetzen gegen Tierquälerei: Wer einen Hund trat, wurde mit Freiheitsentzug bestraft. Wie bei Esau waren auch die Kultur und Etikette der Nationalsozialisten nach außen hin eine Ideologie. Sie waren wie Geier, die sich mit den Federn eines Pfaus schmücken. Völlerei war [und ist] ein nationaler Zeitvertreib, wie wir z.B. im ausgelassenen Feiern auf Volksfesten erkennen können. Nach einigen Bieren vergisst der Geier seine Etikette. Man stellt sich selbst die Frage, wie eine so kultivierte und gebildete Nation über Nacht beginnt, sich zu einem Sadisten zu verwandeln und eine derartige Todesmaschinerie entwickelt. Das ist einfach zu erklären: Wie schon oben erwähnt, waren Kultur und Etikette nur oberflächlich aufgesetzt – wie ein Wolf im Schafspelz. Weder er noch einer seiner Nachfahren nahmen je die sieben noachidischen Gesetze an, welche die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens bilden. Darüber hinaus besaß Esau keine Tora und keine ethischen Grundlagen. Seine Ziele waren Macht, Geld und die Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse. Er war keinesfalls bereit dazu, seine negativen Eigenschaften abzulegen und sich zu bessern. So können wir erkennen, warum Esau Jakob unaufhörlich hasste. Esau würde auch heute ein erfolgreiches Leben führen und er diesen Erfolg auch zur Schau stellen: Teure Markenkleidung, ein fettes Auto, große Gewinne und auf der Karriereleiter ganz oben. Bei so viel Glanz übersieht man leicht, dass Esau lügen, stehlen und sogar töten würde, um erfolgreich zu sein. Nichts und niemand wäre für ihn von Bedeutung, was seinen Karriereaufstieg behindern würde. Esau verfolgte seine Ziele und schnell wurde aus dem schillernden Pfau ein schwarzer Geier. Für Esau war sein Körper ein Selbstzweck, während er für Jakob als Instrument für den Dienst an Gott bezweckte.

 

Vergleichen wir wie Esau und Jakob z.B. beim Essen: Esau wollte zugefüttert werden wie ein Kamel und sich bis zum Vollrausch betrinken.

 

Jakob wusch sich die Hände, sprach den Segen über das Essen, dann setzte er sich zu Tisch und sprach einen weiteren Segen, bevor er die Speise zu sich nahm und hörte mit dem Essen auf, bevor er satt war. An diesem Verhalten können wir Jakobs guten Charakter erkennen, der ihn wie eine Lichtgestalt dastehen lässt, im Vergleich zu Esau, welcher zwar vorgab, ehrbar zu sein, es aber in Wirklichkeit nicht war.

 

Esau und Jakob waren Zwillingsbrüder. Ihr Verhalten ist das, was die beiden voneinander unterscheidet. Der eine lebte die Tora, der andere kümmerte sich ausschließlich um die Befriedigung seiner körperlichen Bedürfnisse. Den einen oder den anderen Weg einschlagen, das können auch wir. Wir haben die Wahl.

 

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