Unsere Welt ist sehr gut

»Und siehe, es war sehr gut« Warum G’tt auf die Schönheit Seiner Schöpfung hinweist.

4 Min.

Rabbiner Abraham Itzchak Radbil

gepostet auf 05.04.21

»Und siehe, es war sehr gut« Warum G’tt auf die Schönheit Seiner Schöpfung hinweist

 

Und der Allmächtige sah alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut« (1. Buch Mose 1,31). Mit diesem Vers beendet die Tora den sechsten Tag der Erschaffung der Welt. G’tt wollte uns verkünden, dass die Welt, in der wir leben, sehr gut ist. Doch wieso weist Er uns darauf hin? Der Talmud in Pirkej Awot sagt, dass wir gegen unseren Willen geboren werden und gegen unseren Willen diese Welt verlassen. Welchen praktischen Unterschied macht es also für uns, ob wir in einer guten, sehr guten oder einer schlechten Welt leben? 

Rabbiner Avigdor Miller (1908–2001) kommentiert diesen Vers wie folgt: Wer sich seiner Besitztümer nicht bewusst ist, ist ein armer Mensch. Nehmen wir an, dass jemand etwas Geld gespart und sich ein kleines Grundstück gekauft hat. Dort ließ er sich ein Häuschen bauen und zog mit seiner Familie ein. Nach einiger Zeit bekommt er einen Anruf: Ein älterer Mann teilt ihm mit, er sei der letzte Überlebende einer Gruppe, die vor vielen Jahren Gold unter dem Häuschen vergraben hat. Da er nicht mehr lange leben wird, wolle er dem heutigen Grundstücksbesitzer diese Nachricht überbringen, denn nach dem Gesetz gehört das Geld nun ihm. 
 

Der Mann legt den Hörer auf und wird zum glücklichsten Menschen auf Erden; jetzt kann er sich plötzlich alles leisten, wovon er jemals geträumt hat. Doch was hat sich während des kurzen Telefonats verändert? Der Mann hat schon jahrelang auf dem Schatz gelebt, verändert hat sich nur seine Kenntnis davon. Also ist es die Tatsache der Erkenntnis dessen, was wir besitzen, die uns zu reichen Menschen macht.

KONTO 

 

Genauso ist es, wenn uns jemand eine größere Summe Geld überweist. Solange wir unseren Kontoauszug nicht in der Hand halten, wissen wir nicht, dass wir reicher geworden sind – obwohl wir längst ein üppiges Konto besitzen. 
 

Aus diesem Grund sagt der Talmud (Bejtza 16a), dass jemand, der seinem Freund ein Geschenk machen möchte, ihn davon in Kenntnis setzen soll. Wir sollen dem Beschenkten mitteilen, was genau es mit dem Geschenk auf sich hat, denn ohne dieses Wissen kann der Empfänger die Gabe nicht richtig wertschätzen, und das dämpft seine Freude. 

Wenn Sie also das nächste Mal etwas verschenken: Lassen Sie das Etikett dran, damit der Empfänger erkennen kann, wie viele Karat oder PS ihr Geschenk hat. (Das Preisschild kann man allerdings entfernen, sonst könnte es aufdringlich wirken.)

Der Allmächtige wollte uns also wissen lassen, dass die Welt, die Er uns geschenkt hat, sehr gut ist. Wir sollen sie studieren, ihre Schönheit kennenlernen, ihre Symmetrie und Vielfalt erkennen. Dies wird uns dazu bringen, unsere Welt besser zu wertschätzen und uns bewusst zu machen, welch wunderbares Geschenk uns der König aller Könige gegeben hat. Dies stärkt unseren G’ttesdienst und bringt uns dazu, die Gebote G’ttes mit mehr Enthusiasmus und größerer Inspiration zu erfüllen. Denn wenn ich von jemandem ein wunderbares Geschenk bekomme, möchte ich auch ihm etwas Gutes tun, um meine Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. 

ALPEN 

 

Von Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) erzählt man, dass er eines Tages plötzlich sein Torastudium unterbrach und anfing, eine Reisetasche zusammenzupacken. Der Rabbiner war schon in fortgeschrittenem Alter und verließ sein Zuhause nicht oft, schon gar nicht für längere Reisen. Als die Schüler sich erkundigten, was es mit dem Packen auf sich hatte, erwiderte er ihnen, er wolle in die Alpen fahren. Er sei noch nie dort gewesen und müsse unbedingt die Alpen sehen. 

Als sie ihn fragten, wieso er sich gerade jetzt dazu entschlossen habe, sagte er: »Ich bin nicht mehr jung, und der Tag meines Ablebens naht. Doch was werde ich dem Allmächtigen sagen, wenn ich bald vor Ihm stehen werde und Er mich fragt, ob ich Seine Alpen gesehen habe. Er hat doch diese wunderschöne Welt erschaffen, damit wir sie bewundern können. Wie kann ich also vor Ihn treten, ohne Seine Alpen gesehen zu haben?«.
 

AQUARIUM 

 

Im Zusammenhang mit der Erschaffung der Welt wird oft gefragt, warum G’tt sechs Tage brauchte – Er hätte doch alles an einem Tag erschaffen können. Ich glaube, dass jeder, der schon mal ein Aquarium hatte, die Antwort auf diese Frage sehr leicht finden kann. Ein Außenstehender mag denken, dass man sich ein Aquarium zulegt, es mit Wasser füllt und die Fische einfach hineinsetzt. 

Doch in Wirklichkeit ist alles viel komplizierter: Nachdem man das Aquarium gekauft und es gründlich gereinigt hat, muss man es zuerst mit Kies füllen. Danach kommt das Wasser hinein. Die Fische dürfen aber jetzt noch nicht ins Aquarium, sonst sterben sie. Zuerst muss man Pflanzen einsetzen, sie fügen dem Wasser wichtige Bakterien hinzu. Erst nach mehreren Tagen der Vorbereitung dürfen schließlich die Fische in ihre neue kleine Welt.

Genauso hat G’tt unsere Erde gemacht. Nach und nach hat Er den bestmöglichen Lebensraum für uns erschaffen, damit wir uns in dieser Welt wohlfühlen können. Natürlich hätte Er sie auch an einem einzigen Tag erschaffen können! Doch im Gegensatz zu den Fischen sind wir in der Lage zu verstehen, mit welcher Fürsorge G’tt alles für uns vorbereitet hat, damit wir diese Welt schätzen, bewundern und behüten. Genau das sollen wir uns jeden Tag vor Augen halten und dem Allmächtigen dafür danken.

 

Der Autor ist Rabbiner in Osnabrück und Mitglied der ORD. Mehr Infos finden Sie auf dem Blog von Rabbi Abraham Itzchak Radbil.

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