Warum gibt es Armut und Reichtum?

Warum gibt es Armut und Reichtum? Um diese wirklich wichtige Frage beantworten zu können, gestattet mir ein wenig auszuholen.

5 Min.

Alexandra Amati

gepostet auf 05.04.21

Warum gibt es Armut und Reichtum? Um diese wirklich wichtige Frage beantworten zu können, gestattet mir ein wenig auszuholen.

 

Wenn wir beispielsweise einmal an die amerikanische Unabhängigkeitserklärung denken, so heißt es dort: „Alle Menschen sind gleich geschaffen (created equal).“

Hatte Thomas Jefferson denn damit recht?

Ja, ganz sicher, denn er bezog sich damit lediglich auf die Tatsache, dass alle Menschen die gleichen Rechte besitzen sollten; auf die Gleichheit vor dem Gesetz.

Sehen wir uns aber um, erkennen wir, wie verschieden Menschen und wie unterschiedlich ihre Lebensverhältnisse sind. Der eine ist unglaublich erfolgreich während der andere ständig versagt.

Einer scheint das Glück gebucht zu haben, während der andere von Krankheit und Unglück verfolgt wird. Können wir denn dann wirklich von irgendeiner Art „Gleichheit“ der Menschen sprechen?

Nun, G*tt hat die Welt sicher nicht ausschließlich geschaffen, um sich danach zur Ruhe zu setzen. Nein, Er beaufsichtigt und bewacht sie natürlich weiter und hat sie mit Seiner „g*ttlichen Vorsehung“ bedacht.

Das heißt, alles, abgesehen vom freien Willen, der uns gegeben wurde, ist alles sozusagen vorherbestimmt. Es ist an uns, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.

Ansonsten aber geschieht nichts „ במקרה “ zufällig.

Zumindest glaubt das Judentum nicht an Zufälle, nur damit wir dies im Hinterkopf bewahren.

Wir alle gehen davon aus, dass, wenngleich vorherbestimmt, G*ttes Entscheidungen gerecht, richtig und niemals grundlos sind. Immer dienen sie dem Guten, sprich unserem Guten.

Oder, mit den Worten eines Propheten gesagt: Kein Böses kommt von oben. Der Mensch ist es, der böse ist.

G*ttes Schöpfung ist wohldurchdacht. Nehmen wir nur beispielsweise das Kamel: Da es oft nicht die Möglichkeit hat, eine Wasserquelle zu erreichen, wurde ihm die Fähigkeit gegeben, das Wasser tagelang zu speichern. Hunderte weiterer Beispiele könnte man hier anführen.

Wie kann es dann jedoch sein, dass es der Mensch, als „Krone der Schöpfung“ am schwersten hat?

Warum ausgerechnet muss der MENSCH arbeiten?

Neben der Tatsache eine g*ttliche Seele zu besitzen, hat der Mensch seit Anbeginn zugleich eine „Belastung“ oder „Last“zu tragen, wie wir in Bereschit nachlesen können. Dort heißt immerhin, dass er im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen solle.

Müssen wir darin aber nun ausschließlich eine Art der Bestrafung sehen oder entdecken wir dahinter nicht vielleicht doch wiederum einen Akt g*ttlicher Gnade?

Dadurch, dass wir eben nicht im Schlaraffenland leben, wo uns die Tauben in den Mund fliegen, sondern wir für unser täglich Brot arbeiten müssen, ist uns die wunderbare Gelegenheit gegeben, uns ständig an Ihn zu erinnern. Seiner zu gedenken ist doch die eigentliche Idee der Tefilla, des Gebets überhaupt.

Wir wurden ganz bestimmt nicht grundlos hier abgesetzt, sondern mit einer Mission versehen, die wir zu erfüllen haben. Oder, um es in der Sprache der Arbeitswelt auszudrücken: „Er ist der Boss. Er stellt uns ein und feuert uns, wann es Ihm passt.“

Klingt furchtbar? Dann seht es doch mal anders herum. Wer von uns würde denn nicht gerne früher in Rente gehen, als ewig an seiner Karriere herumbauen und sich Jahrzehnte dem täglichen Stress aussetzen müssen?

Lasst mich kurz einen weiteren Gedanken anfügen.

Als G*tt die Erde mit all ihren Geschöpfen schuf, so geschah dies als großartiger Akt des Guten und der unendlichen Liebe. Von uns Menschen erwartet G*tt eigentlich genau das gleiche, nämlich diese Liebe, soweit es in unserem Vermögen liegt, weiterzugeben.

Dabei möchte Er uns viel lieber Geben denn Nehmen sehen. Und dies, wo wir doch alle – sofern wir nicht mit einem unglaublich großzügigen Herz gesegnet sein sollten – doch so viel lieber Nehmen, nicht wahr?

Um nun aber auch Geben respektive gute Taten verrichten zu können (die Kabbalah nennt diese Welt, unser jetziges Leben „Olam ha Assija“, „die Welt der Taten“), benötigen wir natürlich auch einen „Empfänger“, jemanden, der unserer Taten, unseres Gebens bedarf.
Denn bräuchten wir denn einen Arzt, wenn es keinen Kranken gäbe?

Natürlich sind wir immer alle beides zugleich – Geber und Empfänger.

Wenn wir dem Armen Zeddaka oder anderweitige Unterstützung zukommen lassen, tut er damit dann nicht eigentlich uns einen Gefallen? Gibt er uns denn damit nicht erst die Möglichkeit, Gutes zu tun und die Mitzwot zu erfüllen?

Rabbi Akiba erklärt es in der Gemarrah folgendermaßen, als er gefragt wird, wie es denn sein könne, dass, wenn G*tt die Armen doch so liebe, Er sich dann nicht um sie kümmere.

„G*tt will die Reichen vor der Gehenom bewahren“, sagt Rabbi Akiba. Der Ewige schützt die Reichen vor der Hölle.

Auch der Sohar sieht es auf ähnliche Weise, nämlich, wenn der Arme des nachts an deine Türe klopft, du die Chance unbedingt wahrnehmen solltest, diesem Mann Gutes zu tun. Du könntest ihm damit womöglich sein Leben retten. Nicht allein durch deine Zedakka, sondern durch die Folgen dieser Spende. Vielleicht bewahrt sie ihn davor, am nächsten Tag unter ein Auto zu geraten oder vieles erdenklich andere mehr.

Diesem Mann die Tür vor der Nase zuzuknallen und ihm zu empfehlen, sich doch eine Arbeitsstelle zu suchen, scheint also nicht unbedingt die empathischste aller Lösungen zu sein.

Lasst uns nun zur Ausgangsfrage zurückkommen, also danach, nach welchen Kriterien haShem entscheidet, wer und in welchem Maße jemand zu den Gebern und den Empfängern gehören soll.

Dabei müssen wir natürlich die verschiedenen Arten des Reichtums bedenken. Es gibt Menschen, die durch das Erbe des Onkels oder der Tante an Vermögen gekommen sind. Gratuliere, aber was haben sie wirklich dafür getan? Womöglich hat es vorher auch noch Streit um das Erbe gegeben. Ein anderer hat beim Glücksspiel mal eben 1 Million gewonnen. Darauf kann doch weder Mazal noch Bracha liegen.

Dann wiederum gibt es Menschen, die tatsächlich mit einer riesen Portion Mazal geboren wurden. Eine glückliche Familie, Gesundheit und natürlich Parnassah nicht zu vergessen.

Die Konzeption der "Gilgulei haNeschamot", die Wiedergeburt der Seelen, hilft uns hier. Sie erklärt uns, weshalb die Gerechten oft leiden müssen, während die übelsten Gesellen sich ständig auf der Sonnenseite des Lebens bewegen.

Ein jeder von uns tritt in dieses Leben mit einem Päckchen, welches mit sämtlicher Ausrüstung ausstaffiert ist, die wir benötigen, um unsere „Mission“ in diesem Leben zu erfüllen, sofern wir dies im vergangen nicht geschafft haben sollten.

Eines dieser Werkzeuge für Tikkun, zur Verbesserung, ist selbstverständlich Parnassah, sagen wir, die Art wie wir uns unsere Existenzgrundlage sichern. Reichtum kann hier durchaus dazu gehören, denn möglicherweise benötigen wir genau diesen Reichtum zur Erfüllung des uns bestimmten Auftrags.

Natürlich besteht jedes „normale“ Leben immer aus Höhen und Tiefen; vergleichbar mit einem Galgal, einem Rad.

Solltet ihr allerdings tatsächlich jemanden kennen, der weder Krankheit noch Unglück erlebt haben sollte oder niemals von Albträumen geplagt wurde, dann wäre es dringend geboten, diesem Menschen zu erklären, dass er sich ernsthaft Sorgen um sein „Seelenheil“ machen sollte. Womöglich hat dieser Mensch es nur geschafft, eine einzige Mitzwa in seinem Leben zu erfüllen, für die ihn der Ewige mit seinem „Glück“ belohnt, um ihn jedoch sofort nach seinem Ableben direkt zu Gehenom zu schicken. Die Rabbinen nennen dies „Abfindung“.

Wie es die diversen Arten des Reichtums und deren Gründe dafür gibt, trifft dies natürlich auch auf die Armut zu. Die vier geläufigsten Begriffe für Armut im Hebräischen sind ani, was den typischen Bettler, der nach Geld ruft, bezeichnet, rasch, jenen Menschen, der Geld besaß, es aber durch bestimmte Umstände verlor, dal, derjenige, der über ein klein wenig Geld verfügt, und schließlich evjion, ein Mensch, dem wirklich gar nichts gehört.

Was nun aber haben sowohl der Reiche als auch der Arme miteinander gemein? Schlomo Melech sagt uns in Mischle: Aschir ve rasch nivgaschu osse kulam haSchem.

Wenn der Reiche und der Arme sich treffen, hat sie doch beide G*tt geschaffen.

Keiner von beiden ist der Glückliche oder Unglückliche.

Sowohl Armut als auch Reichtum stellen uns vor große Herausforderungen. Auch wenn die Rabbinen der Ansicht sind, Armut sei besser für Juden; sie halte ihnen die Sorgen vom Hals, denke ich persönlich, dass der Mittelweg wohl der leichteste ist.

Jetzt könnten wir fragen, wozu gibt es Rosch haSchana, wenn sich doch längst vor unserer Geburt das Schicksal entschieden hat? Ganz einfach: Wir haben die Chance, den Status Quo zu ändern und zwar durch Tefilla, Teschuva und Zedakka, Gebet, Reue und Wohltätigkeit. Wir können unser Mazal ändern oder besser: ER kann alles ändern, selbst Dinge, die in Stein gemeißelt sind.

Und natürlich können wir jede Nacht durch Gebet und Teschuva versuchen, Einfluss auf scheinbar Unabänderliches zu nehmen. Der Baal Schem Tov spricht sogar von einer Art „Mini-Gericht“ in jeder Nacht.

Und wenn unsere Gebete auch nicht immer erhört werden, können wir dennoch davon ausgehen, dass auch deren Nichterfüllung ihren tieferen Sinn hat.

 

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1. Günny

6/07/2015

Warum gibt es Reichtum und Armut

Ein ausgezeichneter Artikel. Trifft den Nagel auf den Kopf

2. Günny

6/07/2015

Ein ausgezeichneter Artikel. Trifft den Nagel auf den Kopf

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