Besinnung und Vorsatz

Zum Wochenabschnitt Emor (Wajikra 21, 1 – 24, 23)Es ist bemerkenswert, dass im folgenden Vers vier der 613 Mitzwot zu finden sind: ...

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Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 17.03.21

Zum Wochenabschnitt Emor (Wajikra 21, 1 – 24, 23)

Es ist bemerkenswert, dass im folgenden Vers vier der 613 Mitzwot zu finden sind: „Sieben Tage sollt ihr darbringen Feueropfer dem Ewigen; am achten Tage sei euch heilige Berufung und ihr bringet dar ein Feueropfer dem Ewigen, es ist Festversammlung (hebr.: Azeret), keinerlei Arbeitsverrichtung soll ihr tun“ (Wajikra 23, 36 Übersetzung von L. Zunz). Die vier Mitzwot möchte ich an dieser Stelle nicht explizieren (siehe Sefer Minchat Chinuch, Mitzwot Nr. 320 bis 323); hier will ich auf den im zitierten Vers vorkommenden Begriff „Azeret“ näher eingehen.

Am 22. Tag des 7. Monats (= Tischri) feiern wir Schemini Azeret. Dieser Tag wird auch im Wochenabschnitt Pinchas erwähnt: „Am achten Tage sollt ihr Festversammlung (hebr.: Azeret) haben, keine Arbeitsverrichtung sollt ihr tun“ (Bamidbar 29, 35). „Schemini“ bedeutet: der achte (Tag); dabei wissen wir aus dem Talmud (Sukka 48a), dass dieser auf das Laubhüttenfest folgende Tag ein separater Festtag (hebr.: Mo’ed) ist. Aber wie ist Azeret zu übersetzen? Zunz hat, wie wir gesehen haben, von einer Festversammlung gesprochen, und N.H. Tur-Sinai folgt in seinen Spuren. In der Übertragung von M. Buber und F. Rosenzweig steht: Einbehaltung. Rabbiner J.H. Hertz zieht eine andere Übersetzung vor: Schlussfest; denn wir finden das Wort Azeret auch auf den siebenten Tag von Pessach angewandt: „Sechs Tage  sollst du Ungesäuertes essen, und am siebenten Tag ist Festversammlung (hebr.: Azeret) dem Ewigen, deinem Gotte; du sollst keine Arbeit verrichten“ (Dewarim 16, 8).
 
Raschi erklärt den Begriff Azeret wie folgt: „Azeret heißt ein Zurückhalten; ich hielt euch gleichsam zurück, wie ein König, der seine Kinder zu einer Tafel auf gewisse Zeit einlud, und als die Zeit kam, dass sie sich trennen sollten, sagte er: ‚Meine Kinder, ich bitte euch, noch einen Tag bei mir zu verweilen, ich kann mich so schwer von euch trennen.’“ Diesen Gedanken entwickelt Rabbiner J.Z. Mecklenburg in seinem Kommentar „Haketav Wehakabbala“ weiter; die Trennung falle nicht nur Gott schwer, sondern auch den Menschen, die an den Festtagen Neues erfahren und dazugelernt haben. Es ist wichtig zu wissen: An den arbeitsfreien Festtagen (hebr.: Mo’adim) sollen Juden sich nicht nur körperlich erholen, sondern sie sollen sich auch geistig weiterentwickeln. Gerade diese Weiterbildung war, wie Rabbiner N.Z.J. Berlin hervorhebt, der Sinn der Reisen zum Heiligtum in Jerusalem vor Pessach, Schawuot und Sukkot; deshalb wird heute in der Synagoge an diesen Mo’adim aus der Tora vorgelesen. Jeder Schabbat ist ein Besinnungstag für göttliche Dinge („Haketav Wehakabbala“ zu Schemot 20, 10).
 
Rabbiner S.R. Hirsch bezeichnet Azeret als „ein bewahrendes Zusammenfassen“. In seinem Kommentar zu Wajikra 23, 36 schreibt er u.a.: „Wir glauben nicht zu irren, wenn wir meinen, Azeret bezeichne einen Tag, der nicht neue Wahrheiten zur Aufnahme und Aneignung zu bringen bestimmt ist, sondern der die Bestimmung hat, uns noch vor Gottes Angesicht festzuhalten, um bereits gewonnene Erkenntnisse also in uns zu befestigen, dass sie uns dauernd bewahrt bleiben und nicht in dem Wechsel des Lebens und durch denselben uns verloren gehen. Dies dürfte vollkommen der Bestimmung eines letzten Festtages entsprechen. Wir haben sechs Tage der Durchdringung mit all den Wahrheiten gelebt, die die Jeziat-Mitzraim-Tatsache dem jüdischen Bewusstsein verbürgt und gewährt. Der siebte Tag ist Azeret, ist ein bewahrendes Zusammennehmen aller der in den Festtagen vor Gott gesammelten geistigen ‚Schätze’, auf dass wir mit ihnen in Wahrheit bereichert in das mit Ende des siebten Tags wieder beginnende gewöhnliche Leben hinübertreten. Die Azeret-Aufgabe wird gelöst durch ein nochmaliges Vergegenwärtigen alles Gewonnenen und den festen Vorsatz, uns dies Gewonnene im Kampfe und in der Arbeit des Lebens nicht rauben zu lassen.“
 
Die Tora nennt zwei Mo’ed-Tage Azeret: Schemini Azeret und den siebten Tag von Pessach. Es ist nicht sinnvoll, die (naheliegende) Frage zu stellen: Warum hat die Tora bestimmt, dass Azeret ein Teil des Pessachfestes ist, von Sukkot aber nicht? Denn auf solche Warum-Fragen gibt es bekanntlich keine Antwort. Wohl aber dürfen wir uns Gedanken machen, welche Lehren aus den Anordnungen der Tora, so wie sie nun einmal sind, zu ziehen sind.
 
Der auffallende Unterschied zwischen den zwei Azeret-Tagen hat Rabbiner Hirsch zu dem Schluss geführt: „Wäre nun auch der siebte Sukkottag Azeret, so würde sich hier ebenfalls die Aufgabe des bewahrenden Zusammenhaltens nur auf die durch das Sukkotfest gewährten Wahrheiten beziehen. Indem aber Azeret hier als ein besonderes Mo’ed auftritt und hier die Aufgabe des Verharrens und Behaltens und Festhaltens vor Gott sich zu einem eigenen Mo’edbegriff gestaltet und damit nicht nur der Festkreis des siebten Monats, sondern des ganzen Jahresfestzyklus schließt: so dürfte Schemini Azeret die Bestimmung haben, alle die durch Mo’adim des siebten Monats, ja durch die Mo’adim des ganzen Jahreszyklus uns gebrachten Erkenntnisse und Entschlüsse mit dem Vorsatze des Verharrens, Behaltens und Festhaltens vor Gott nochmals zusammenfassend uns also in die Seele zu rufen, dass sie unser unverlierbares Eigentum für den Lauf des nun wieder zu betretenden gewöhnlichen Jahreslebens bleiben.“ Um die Azeret-Aufgabe zu lösen, muss man sich Mühe geben.

 

 

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.

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