Die Hebamme – Schmot

Als Amram, der größte Weise und das Vorbild seiner Generation - der Vater von Moses, hörte, das Pharao seinen Streitkräften den Befehl erteilte ...

4 Min.

Rabbiner Lior Engelmann

gepostet auf 05.04.21

Aus der Ferne 

Als Amram, der größte Weise und das Vorbild seiner Generation – der Vater von Moses, hörte, das Pharao seinen Streitkräften den Befehl erteilte, alle jüdischen Söhne die auf die Welt kommen sofort zu ermorden, entschloss er sich, sich von seiner  Frau Jochewed zu trennen.

Ihre gemeinsame Tochter Miriam, führte ihre Eltern dann wieder zusammen, mit der Feststellung, Pharao habe nur das Töten der männlichen Nachkommen verhängt, ihr Vater aber verhindere auch weibliche Nachkommen.
 
Der pragmatischen Entscheidung ihres Vaters, sich nicht der Gefahr der Geburt eines Sohnes auszusetzen, der von vornherein zum Tode verurteilt ist, stellte Miriam eine weitsichtige Alternative gegenüber und konfrontierte ihre Eltern dabei mit der Verantwortung für den Fortbestand des Volkes Israel.
 
Man kann sich gut vorstellen, wie Miriam während der anschließenden Schwangerschaft ihrer Mutter darum betete, dass es eine Tochter werden möge, doch am Ende kam ein Sohn zur Welt. Drei Monate später, als sich der Säugling schon nicht mehr verbergen ließ, wurde er in einem wasserdichten Körbchen dem Fluss überantwortet und es sah so aus, als ob seine Eltern die Hoffnung für ihn aufgegeben hatten. So begleiteten den kleinen Mosche (Moses) noch nicht einmal ihre Blicke. Sie mussten mit der Tatsache fertig werden, auf den Rat ihrer Tochter einen Sohn zur Welt gebracht zu haben, den sie mit eigenen Händen ins Unglück stürzten: „Da erhob sich ihre Mutter und klopfte ihr auf den Kopf und sagte ihr: Meine Tochter, was ist aus deiner Prophezeiung geworden?“ (Midrasch raba).
 
Wiederum war es Miriam, die entgegen der pessimistisch-realistischen Auffassung ihrer Eltern, nach der ein Kleinkind hilflos im Fluss ausgesetzt wurde, das Körbchen mit großem Gottvertrauen begleitete: „Und seine Schwester stellte sich von fern, um zu erfahren, was ihm geschähe“ (Ex. 2,4).

Der Rat an ihre Eltern, neues Leben in die Welt zu bringen, wurde von einer hoffnungslosen Realität widerlegt, doch sie ließ sich nicht beirren.
 
Der Midrasch sieht in dem Ausdruck "von fern" einen Schlüsselbegriff, der auf einen anderen Vers deutet: „Von fern ist mir der Ewige erschienen“ (Jirmijahu 31,3).
 
Miriam hatte die Begabung, eine gegebene Realität "von fern" zu betrachten. Sie ließ sich nicht zu der eingeschränkten Betrachtungsweise verleiten, im gegenwärtigen Augenblick die ganze Wahrheit sehen zu wollen. Stattdessen betrachtete sie das Gesamtbild, was ihr ermöglichte, die Ereignisse als vom Herrn der Welt gelenkt zu sehen. Dieser glaubenstreue Ausblick flößte ihr Geist und Kraft ein, Mosche (Moses) voller Glauben zu begleiten, dass es Gott gut mit ihm meine.
 
Woher nahm Miriam die Kraft, ihre Eltern zu konfrontieren und diese schwere Verantwortung zu übernehmen? Woher die Selbstsicherheit, so nahe bei Mosches (Moses) Körbchen zu stehen, und trotzdem "von fern" voller Optimismus und Glauben Ausschau zu halten?
 
Puah

In den Versen werden zwei Hebammen genannt, nämlich Schifra und Puah, denen Pharao befahl, die männlichen Neugeborenen zu töten und die seine Worte missachteten, „der Name der einen Schifra, und der Name der zweiten Puah – Rav Schmu'el bar Nachman sagte: eine Frau und ihre Tochter, Jochewed und Miriam“(Midrsch raba).
 
Miriam war eine Hebamme. Eine Hebamme wird auch "weise Frau" genannt, und damit ist die tiefsinnige Weisheit der Berechnung der Zukunft gemeint ("Wer ist eine Weiser? Der die Zukunft berechnet", wörtl.: "der das Geborene sieht"; Tamid 32a).
 
Die Fähigkeit des Erkennens, dass Krise und Krämpfe der Gebärenden einen Segen mit sich bringen, und die Begabung, während der Geburtswehen die letztendliche Geburt zu sehen, die sich gerade verwirklicht; beides grundlegende Eigenschaften der Hebamme. Miriam arbeitete schon in sehr jungen Jahren in diesem Beruf und erwarb sich den Ausblick einer Hebamme als feste Charaktereigenschaft.
 
Der Midrasch schreibt Miriam eine besondere Aufgabe zu, die sie während ihrer Hebammentätigkeit erfüllte: „Sie wird deshalb Puah genannt, weil sie zum Kind redete, während Andere es für tot hielten.“
 
Normalerweise besteht die Aufgabe der Hebamme darin, beim Herausbringen des Kindes ans Licht der Welt zu helfen. Puah war darauf spezialisiert, in den Fällen, in denen das Kind einen leblosen Eindruck machte, es durch ihre Behandlung und ihre Gebete zum Leben zu erwecken. Sie wusste also nicht nur zu berechnen, was die Zukunft in die Welt bringt, sie konnte auch dort noch Leben erkennen, wo alle Anderen nur Tod sahen.
 
Es gibt dabei zu bemerken, dass es Miriam selbst so erging wie den Neugeborenen, die sie behandelte. Auch sie wurde einmal für tot gehalten und von Allen aufgegeben, bis sie schließlich von alleine ins Leben zurück kehrte: „Asuwa (Ehefrau des Kalew, 'die Verlassene') – das war Miriam. Und warum wurde sie 'die Verlassene' genannt? Weil Alle sie verlassen hatten… und es starb Asuwa – das lehrt, dass sie krank wurde und man sie für tot hielt, und auch Kalew verließ sie… nachdem sie genas, nahm er sie wiederum zur Frau, setzte sie unter den Hochzeitsbaldachin in seiner großen Freude an ihr… da sie krank war und wieder erwachte von ihrer Krankheit, und Gott sie in ihr Jugendalter zurück versetzte… nach ihrer Genesung gebar sie ihm Söhne“ (Midrasch raba).
 
Und vielleicht "Maß um Maß" (Schabbat 105b) als Lohn für das Vertrauen, das sie in die Lebensfähigkeit der scheintoten Neugeborenen setzte.
 
Mit dieser Einstellung gelang es Miriam auch auf ihre Mutter auszustrahlen, als deren Wehen einsetzten: „Sie redete zu dem Neugeborenen – Erklärung: Sie flüsterte zur Frau und das Kind kam heraus, so wie jene, die heutzutage der Frau vorlesen“ (Rabenu Chananel).
 
Nach dieser Erklärung bestand ihre Aufgabe darin, die Gebärende mit Vertrauen zu erfüllen um die Kraft zur Geburt neuen Lebens zu finden. Nach der Geburt verfuhr sie ebenso mit dem Kind: "Puah, das war Miriam, weil sie den Kindern zurief und mit ihnen sprach und sich mit ihnen unterhielt, wie Frauen tun, die ein weinendes Kind besänftigen" (Raschi zu Ex. 1,15).
 
Aus diesem starken Glauben, den sie während ihrer Tätigkeit als Hebamme erwarb, fand sie die Kraft, sich vor ihren Vater hin zu stellen und ihn zu bitten, ihre Mutter wieder zu nehmen: „Puah, die vor dem Angesicht ihres Vaters erschien“ (Midrasch raba). Diese durchdringende Betrachtungsweise ermöglichte ihr, sich "von fern zu stellen" um zu wissen, welches Schicksal ihrem Bruder Mosche (Moses) widerfahren möge.
 
Der Autor ist Rabbiner an der Jeschiwa Ateret Kohanim/Jeruschalajim und ist Mitglied bei KIMIZION.
 

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