Die jüdische Glaubenshaltung

Die folgenden Verse sprechen wir jeden Tag im Morgengebet: „So rettete Gott an diesem Tag Israel von Mizrajms Hand, und Israel sah Mizrajim tot an des Meeres Ufer...

3 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Zum Wochenabschnitt Beschalach (Schmot 13,17 – 17,16)

Die folgenden Verse sprechen wir jeden Tag im Morgengebet: „So rettete Gott an diesem Tag Israel von Mizrajms Hand, und Israel sah Mizrajim tot an des Meeres Ufer. Da aber Israel die große Hand sah, welche Gott an Mizrajm geübt, fürchtete das Volk Gott, und vertraute Gott und seinem Diener Mosche“ (Schmot 14, 30 &31, Übersetzung von Rabbiner S.R. Hirsch). Hier werden zwei Grundzüge genannt, die das Verhältnis der Israeliten zu Gott nach der Errettung am Schilfmeer kennzeichneten: Gottesfurcht (hebr.: Jirah) und Gottvertrauen (hebr.: Emuna). Wir erinnern uns tagtäglich an das Geschehen am Schilfmeer und an seine Wirkung auf die Israeliten, denn die genannten zwei Züge sollen auch heute für die Glaubenshaltung der Juden kennzeichnend sein. Das in der Vergangenheit Realisierte markiert für die Beter ein Ziel, das anzustreben ist.

In Werken der Mussar-Literatur wird hervorgehoben, dass man im Gebot der Gottesfurcht zwei verschiedene Stufen unterscheiden muss: „Die Furcht vor Strafe bildet die eine Gattung, und die Ehrfurcht im Gedanken an die Erhabenheit Gottes ist die zweite“ (Rabbiner M.Ch. Luzzatto, Messilat Jescharim, Kap. 24). Rabbiner Yizhak Blaser hat in seiner Abhandlung „Scha’are Or“ (abgedruckt in „Sefer Or Israel“, Wilna 5660) eindringlich auf notwendige Entwicklungsschritte hingewiesen: zur höheren Stufe der Gottesfurcht (Jirat haromemut) gelangt man nur über die erste Stufe (Jirat haonesch) – jeder muss mit der ersten Stufe beginnen (siehe auch Rabbiner Malbims Kommentar zu Schmot 20, 17). Welche Stufe wurde am Schilfmeer erreicht? Rabbiner Malbim lehrt, das die höhere Stufe der Gottesfurcht erreicht wurde; seine These stützte er nicht auf eine Einschätzung der historischen Situation, sondern auf die Analyse des hebräischen Ausdrucks, den die Tora verwendet (Kommentar zu Schmot 14,31).
 
Zum besseren Verständnis von Jirat haromemut hilft uns eine Bemerkung von Abravanel. Im Wochenabschnitt Wajera heißt es von Abraham: „Denn nun weiß ich, dass du gottesfürchtig bist, denn du hast mir nicht  verweigert deinen Sohn, deinen einzigen“ (Bereschit 22,12). Abravanel problematisiert (in seiner Frage Nr. 17) die Tatsache, dass in diesem Vers von Gottesfurcht die Rede ist; passender – so meint er – wäre es gewesen, von Liebe zu Gott zu sprechen. Er erklärt, das die Ehrfurcht im Gedanken an die Erhabenheit Gottes auf dieselbe Sache hinausläuft wie die Gottesliebe (siehe auch die Ausführungen von Rabbiner J.Z. Mecklenburg in seinem Kommentar „Haktav Vehakabala“ zu Bereschit 22, 12) Nach dieser Erklärung brauchen wir uns nicht zu wundern, dass im eingangs zitierten Vers nur von Gottesfurcht und Gottvertrauen und nicht von Gottesliebe die Rede ist: die Gottesliebe und die höhere Stufe der Gottesfurcht sind praktisch identisch.
 
N.H. Tur-Sinai hat wie folgt übersetzt „Da sah Jisrael die große Macht, die der Ewige an den Mizräern bewiesen; und das Volk fürchtete den Ewigen, und es glaubte an den Ewigen und an Mosche, seinen Knecht.“ Hier drängt sich die Frage auf: Wenn Israel Gottes Macht sah – was hat es dann für einen Sinn, von einem Glauben zu sprechen? Was man sieht, braucht man nicht zu glauben. Emuna  meint offensichtlich mehr als nur Glauben im Sinne von Für-wahr-Halten. Rabbiner A. Soloveichik schreibt in seinem Werk „The Warmth and The Light“ (Jerusalem 1992), dass Emuna Aktivität beinhaltet. „Waja’minu“ bedeutet: die Israeliten haben sich selbst bearbeitet und gegenseitig gestärkt. Er führt aus, schon Abraham habe gelehrt, dass Emuna die Weitergabe des Erkannten einschließt.
 
Rabbiner S.R. Hirsch übersetzt Emuna mit Gottvertrauen und definiert den Begriff wie folgt: „Festhalten an Gott, an Seine Verheißung, an Sein Gesetz, an Seine Gnade, obwohl im Leben Seine Waltung sich nicht zeigt, die Gegenwart Seiner Verheißung fern zu liegen scheint, bei Erfüllung Seines Gesetzes der Untergang droht, und Sünden den Anspruch auf Seine Gnade verscherzt zu haben scheinen.“ (Chorew Kap. 10; jeder in dieser Definition genannten Punkte wird dort breit expliziert). I. Breuer betont in seinem Werk „Nachaliel“ (Tel Aviv 1951) mehrfach, das Emuna keine leichte Sache ist. Sie ist vielmehr eine Aufgabe, um die ein Jude sich während seins ganzen Lebens bemühen müsse.
 
Der Begriff Emuna kommt im dritten Vers von Psalm 37 vor. Rabbiner Hirsch übersetzt diesen Vers wie folgt: „Verlasse dich auf Gott und übe Gutes, ruhe auf Erden und weide Vertrauen.“ In seinem Kommentar erläutert er: „Und ‚weide’ dein Vertrauen, d.h. führe deine Emuna, ja, das innigste, hingebungsvollste Festhalten an Gottes uns führende und erziehende Hand, führe deine Emuna auf die Weide deiner Lebenserfahrungen, nähre und stärke sie durch alles, was du erlebst… lerne immer klarer die dich väterlich führende und erziehende Gotteshand kennen, und werde immer stärker an Emuna.“
 

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