Die Kunst des Lobens – Noach

Noach war der zweite Vater der Menschheit. Ihm wird in der Schrift ein gutes Zeugnis ausgestellt: „Noach war ein gerechter, untadeliger Mann in seinen Zeiten“ …

2 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 17.03.21

 Zum Wochenabschnitt Noach (Bereschit 6,9 – 11,32)

Noach war der zweite Vater der Menschheit. Ihm wird in der Schrift ein gutes Zeugnis ausgestellt: „Noach war ein gerechter, untadeliger Mann in seinen Zeiten“ (Bereschit 6,9). Ferner wird berichtet, dass Gott zu Noach sprach: „Gehe du und dein ganzes Haus in die Arche, denn dich habe ich gerecht gesehen vor mir in diesem Zeitalter“ (Bereschit 7,1). Vergleicht man die genannten Eigenschaften von Noach, so springt sofort ein Unterschied ins Auge. Im ersten Vers wird er als „Zadik tamim“ (gerecht und untadelig) geschildert, im zweiten steht nur die Bezeichnung Zadik. Welche Bedeutung hat dieser Unterschied? In Raschis Kommentar lesen wir, dass von diesen zwei Versen eine Lehre abzuleiten ist: man darf nur einen Teil des Lobes in der Gegenwart eines Menschen äußern; sein ganzes Lob soll man nur in seiner Abwesenheit aussprechen.

Rabbiner J.H. Hertz merkte vor 70 Jahren kritisch an, dass man im Alltag eine Abwandlung dieser Regel beobachten kann: „Die meisten Menschen sprechen leider den ganzen Tadel eines Menschen in seiner Abwesenheit aus und begnügen sich mit einem Teile dieses Tadels in seiner Gegenwart.“
 
Kehren wir aber zum ursprünglichen Lehrsatz zurück. Raschi erwähnt die von den Eigenschaften Noachs abgeleitete Lehre auch im Wochenabschnitt Behaalotcha, um eine dunkle Stelle zu erhellen. Dort heißt es „Und der Ewige sprach plötzlich zu Mosche und Aharon und Miriam: gehet hinaus ihr drei nach dem Stiftszelte. Und sie gingen hinaus, sie drei. Und der Ewige stieg hernieder in einer Wolkensäule und stand am Eingange des Zeltes, und rief Aharon und Miriam, und beide traten heraus.“ (Bamidbar 12,4 & 5) Warum wurden Aharon und Miriam von Mosche getrennt? Raschi erklärt die Trennung mit der uns bekannten Regel: Gott wollte Mosche nicht in seiner Anwesenheit loben (siehe Verse 7 & 8).
 
Es ist gewiss eine wichtige Sache, Menschen für ihre guten Taten zu loben. Mit einem angemessenen Lob erfüllen wir das Gebot der Nächstenliebe (siehe Maimonides, Hilchot Deot 6,3), und außerdem stärken wir positive Entwicklungen. Nun haben wir am Beispiel von Noach gelernt, dass man nur einen Teil des Lobes ins Gesicht sagen soll. Was mag der Grund sein? Eine naheliegende Antwort lautet: ohne Maß und Ziel kann Lob Schaden anrichten – die gelobte Person könnte hochmütig und stolz werden, was natürlich nicht herbeigeführt werden soll. Bemerkenswert ist, dass Raschi in seinem Kommentar zu Eruwin 18b eine andere Erklärung gibt: man soll einen Menschen, der anwesend ist, nicht zu sehr loben, denn dies sieht wie Schmeichelei aus. Sogar der Anschein der Schmeichelei sollte vermieden werden!
 
Die Kunst des Lobens besteht darin, Positives herauszustellen ohne zu schmeicheln. Was gegen Schmeichelei vorzubringen ist, hat Rabbiner S.R. Hirsch folgendermaßen formuliert: „Lüge über die Persönlichkeit desselben Menschen, gegen den du lügst, und die in der Regel darin besteht, ihm eine bessere Meinung von sich zu geben, als es der Wirklichkeit entspricht, heißt Schmeichelei! Wie aber keine Wahrheit nötiger ist, als die in der Selbsterkenntnis, und keine Täuschung schädlicher, als eben da: so ist auch kaum irgendeine Lüge verderblicher als Schmeichelei. Und siehst du nun noch, weshalb gewöhnlich geschmeichelt wird, wie der Schmeichler des andern Sittlichkeit und die eigene Menschenwürde hinopfert, um von dem Geschmeichelten irgendein Gut zu erlangen, wie er so dem andern Tugend und Gut zugleich stiehlt, und sein ganzes Selbst verkauft, eines gewöhnlich niedrigen Vorteils halber: so wird dir kein Lügner verächtlicher erscheinen, als der Schmeichler. – Sei eingedenk deiner Menschenwürde, und könntest du Fürst werden durch Schmeichelei, und müsstest du Bettler in deiner Geradheit bleiben, – deine Menschenwürde sei dir wertvoller, als irgendein Gut, – bleibe Bettler – bleibe gerade – und werde kein kriechender Wurm“ (Chorew §373).
 

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