Frei von Gier – Beschalach

Genügsam - Warum nur ein zufriedener Mensch wahrhaft reich ist ...

4 Min.

Rabbiner Jaron Engelmayer

gepostet auf 05.04.21

Genügsam – Warum nur ein zufriedener Mensch wahrhaft reich ist

 

Langsam zeichnet sich der Weg aus der Krise ab. Optimistische Einschätzungen werden vorsichtig formuliert, denn noch sind wir nicht über den Berg. Und trotzdem ist zu erkennen, dass die gewonnenen Einsichten und Lehren zu den gegenwärtigen Wirtschaftsschwierigkeiten und deren Ursachen längst nicht bei allen angekommen sind. Schon ist wieder davon zu hören, wie Börsenmakler sich aufs Neue an die großen Gewinne heranwagen und die Situation vorteilhaft zu nutzen versuchen – für sich. Ein ausgewogener Umgang mit den eigenen Ressourcen, verbunden mit ethischen Einsichten und Rücksichtnahme, statt purem kapitalistischem Egoismus – das wären wünschenswerte Änderungen, die helfen könnten, ähnliche Krisen in Zukunft zu vermeiden.

Es geht um Erziehung und Wertevermittlung. Für uns Juden gibt es dafür eine verlässliche Quelle, die Jahrtausende alt ist und trotzdem nichts an Aktualität und Bedeutung eingebüßt hat: die Tora.
 
In unserem Wochenabschnitt lesen wir vom »Man«, dem himmlischen Brot, das unsere Vorväter während der 40-jährigen Wüstenwanderung begleitete und ernährte. Obwohl es sich beim »Man« um ein historisch einmaliges Phänomen handelt, können wir von dessen Beschreibung und Gesetzen so manche wertvolle Einsicht für die aktuelle Wirtschaftslage entnehmen. Das »Man« ist Brot mit geistiger Nahrung, das wichtige Grundlagen vermittelt. Rabbeinu Jerucham erklärt einige der Gedanken, die dem »legendären Brot« seinen ewig gültigen Hintergrund geben: 
 
»Und Er (Gott) gab dir das Man zu essen, von dem du nichts wusstest und deine Väter nichts wussten, um dich zu der Erkenntnis zu bringen, dass nicht vom Brote allein der Mensch lebt, sondern durch alles, was aus dem Munde Gottes hervorgeht, der Mensch lebt« (5. Buch Moses 8,3).
 

VORSEHUNG
 

Trotz allen Aufwands und jeglicher Anstrengung, die der Mensch in die Beschaffung von Nahrung und Lebensunterhalt stecken muss, ist es letztendlich immer Gott, der den Menschen ernährt und dafür sorgt, dass seine Bemühungen (normalerweise in gewohnt natürlichem Gange) Früchte tragen und belohnt werden.
 
»Der allem Fleische Brot gibt, denn seine Gnade ist unbegrenzt« (Psalmen 136,25), »Wer sich (»Man«) anhäufte, hatte keinen Überschuss, und wer weniger einsammelte, dem fehlte nichts« (2. Buch Moses 16,18).
 
Die Gierigen und Geizigen konnten sich noch so sehr den ganzen Tag bemühen, am Abend hatten sie trotzdem gleich viel »Man« wie derjenige, der nur wenig einsammelte und den Rest des Tages mit dem Studium der Tora verbrachte. Dies soll uns als deutliches Beispiel für die Göttliche Vorsehung dienen, die auch heute immer wieder beweist, wie wenig Bestimmungskraft der Mensch über seinen finanziellen Status in Wirklichkeit hat, wie wenig er ihn beherrscht und im Griff hat.
 
Das übermäßige Verlangen nach Geld und Wohlstand bringt dem Menschen nicht viel, denn letztendlich bestimmt Gott, wie viel dem Menschen zugedacht ist. Diese Einsicht lässt keinen Raum für jegliche Art von Eifersucht und Gier, und zwei von drei Dingen, die den Menschen von der Welt verdrängen (Sprüche der Väter 4,28), würden auf natürliche Weise verschwinden! »Keiner darf von ihm (dem »Man«) bis zum nächsten Morgen übrig lassen!« (2. Buch Moses 16,19).

 
DANKBARKEIT
 

Das »Man« erschien jeden Morgen und verschwand am Abend wieder, und wollte man sich davon gegen Gottes Willen bis zum nächsten Tag aufsparen, so verfaulte es über Nacht. Jeden Morgen soll der Mensch von Neuem dafür dankbar sein, die Güte Gottes empfangen zu dürfen, jeden Abend von Neuem darauf vertrauen, dass Gott auch tags darauf für seine Nahrung und sonstigen Bedürfnisse vorsorgen wird. Diese Funktion, uns täglich an die Ursache und Quelle der vermeintlichen Selbstverständlichkeiten zu erinnern, hat das Gebet übernommen. Rabbiner Chaim Sabbato fügt diesen Botschaften einen neuen Aspekt hinzu, der sich an den zweiten Punkt Rabbeinu Jeruchams anlehnt: »Wer ist ein Reicher? – Der mit seinem Anteil glücklich und zufrieden ist« (Sprüche der Väter 4,1).
 
Genügsamkeit ist wahrer Reichtum, Begierde die wirkliche Armut! Denn was die Mischna hier als wahren Reichtum definiert, ist das genaue Gegenteil der Begierde. Begierde ist der Drang, das zu besitzen, was einem nicht gehört. Kaum ist dieses Ziel jedoch erreicht, interessiert das soeben noch Begehrte nicht mehr, denn die Begierde hat bereits ein neues Ziel ins Auge gefasst, wiederum etwas, das dem Begehrenden noch nicht eigen ist. So kann sogar der in unserer Begriffswelt »Reiche« in Wirklichkeit zu den Ärmsten dieser Erde gehören, ständig auf der Jagd nach fremdem Besitz – Glück und Zufriedenheit wird er nicht erreichen.
 
Freut man sich aber über dasjenige, was Gott einem zukommen lässt, und ist damit glücklich und zufrieden, dann zählt man zu den wahren Reichen. Diese Art von Reichtum oder Armut, bedingt durch die innere Einstellung, traten besonders beim »Man« zutage. So schildern unsere Weisen, dass im »Man« mit wenigen Ausnahmen alle kulinarischen Geschmacksrichtungen zu finden und zu schmecken waren, ganz nach Wunsch des jeweils Essenden (Talmud Joma 75a).

 
EINHEITSNAHRUNG
 

Dies traf aber nur auf diejenigen zu, die das »Man« dankbar und erfreut entgegennahmen und mit der Göttlichen Gabe zufrieden waren – die wahren Reichen. Andere jedoch gelüstete es, sie sehnten sich ausgerechnet nach den Speisen Ägyptens zurück (4. Buch Moses 11,5) – welche Ironie! Sie waren von der Begierde nach anderem ergriffen und mit ihrem himmlischen Anteil nicht zufrieden. Für sie blieb das wunderbare »Man« eine eintönige, täglich wiederkehrende Einheitsnahrung (4. Buch Moses 11,6). Jeden Monat beten wir am Schabbat vor dem Neumond um ein Leben, »Sche´imal´u Misch´alot Libejnu leTova« – in dem sich »die Wünsche unseres Herzens zum Guten erfüllen mögen«. Darunter kann verstanden werden, dass sich unsere Herzenswünsche auf gute Art erfüllen mögen.
 
Ein anderes Verständnis der Zuordnung würde aber einen anderen Sinn ergeben: Dass sich die Herzenswünsche, welche zum Guten gedacht sind, erfüllen mögen. Möge Gott unseren Herzen stets nur gute Wünsche schicken und uns damit wahren Reichtum und wirkliche Zufriedenheit schenken!
 

Der Autor ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Mitglied der ORD.

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