Gott rufen!

Würde uns jemand nach dem ersten Vers nach der Sünde des ersten Menschen fragen, ...

4 Min.

Rabbiner Eran Tamir

gepostet auf 06.04.21

Würde uns jemand nach dem ersten Vers nach der Sünde des ersten Menschen fragen, also nach dessen Vertreibung aus dem Garten Eden, könnten wir antworten: "Und auch dem Schet wurde ein Sohn geboren, und er nannte seinen Namen Enosch. Damals fing man an, den Namen des Ewigen anzurufen" (Gen. 4,26). D.h., nun endlich, ab der Generation von Enosch, dem Enkel des ersten Menschen, fing man an, G~tt zu suchen und seinen Namen anzurufen, oder wie es der Sforno-Kommentar (zur Stelle) ausdrückt: "Damals begannen die Gerechten der Generation, in der Öffentlichkeit über den Namen G~ttes zu reden". 

Doch welche Überraschung, gerade aus diesem Vers lernten die talmudischen Weisen genau das Gegenteil, wie es der Raschi-Kommentar erwähnt: "Damals fing man an (der Ausdruck für Entweihung), die Menschen und die Götzen mit dem Namen des Heiligen, gelobt sei er, zu benennen, sie zu Abgöttern zu machen und sie Götter zu nennen". Das bedeutet, genau dann fing man an, sich von G~tt zu entfernen, Götzen zu dienen, wobei "anfangen", huchal, auf Chulin, Profanes, und Chilul, Entweihung deutet.
 
Wie lassen sich diese scheinbar widersprüchlichen Kommentare miteinander vereinbaren? 
 
Man kann sagen, dass häufig gerade der Anfang, der in einer guten Absicht und ehrlichem Willen zum Ausdruck kommt, G~tt zu begegnen, oder wie man heute gerne sagt, "Umkehr tun", gerade dieser Anfang kann etwas Profanes oder eine große Leere in der Verbindung zu G~tt erzeugen. Sicher muss der Beginn der Begegnung mit G~tt von Herzen kommen, mit Wille und Absicht, denn "G~tt sieht auf das Herz" (Sanhedrin 106b), doch eine gefühlsmäßige Begeisterung, die nicht in geordnete Gedankenbahnen mündet sondern sich mit dem Nachmachen Anderer begnügt, die ihnen voran gingen, ohne wirklichen Kontakt mit den Toragelehrten, mit einem lebendigen Lehrhaus und einem geordneten und zielgerichteten Lehrplan – kann sehr gefährlich werden.
 
Die große Frage lautet, ob dem Anfang eine methodische Fortsetzung folgt, strukturiert und aufgebaut durch Torastudium, Klärung der Glaubensansichten und Denkrichtungen, Besserung der Charaktereigenschaften und Erfüllung der Gebote. Denn wenn nicht, wird der Anfang allein schnell ins Profane führen, weil er so viele Leerräume enthält, wobei am Ende der Schaden größer ist als der Nutzen. Wer könnte es besser darstellen als Maimonides (am Anfang der Gesetze vom Götzendienst), der den Irrtum von Enosch beschreibt:
 
"In den Tagen von Enosch begingen die Menschen einen großen Irrtum, und der Rat der weisen Leute jener Generation degenerierte; und Enosch selber war einer der Fehlgeleiteten. Folgendes war ihr Irrtum: Sie sagten, wo doch der G~tt diese Sterne und diese Himmelskreise geschaffen hat, um die Welt zu lenken, und sie in die Höhen stellte, und ihnen Ehre zuteil werden ließ, und sie vor ihm als Diener dienen – sind sie des Lobes und der Preisung würdig, und ihnen Ehre zu erweisen. Und das ist der Wille des G~ttes, gelobt sei er, jenen groß zu machen und zu ehren, wer ihn groß macht und ihn ehrt, so wie der König seine Bediensteten und die vor ihm stehen ehrt; und das ist die Ehre des Königs selber.
 
Als sie sich nun diese Gedanken zueigen gemacht hatten, begannen sie, den Sternen Tempel zu bauen, ihnen Opfer darzubringen, und sie mit Worten zu loben und zu preisen, und sich vor ihnen zu verbeugen – um den Willen des Schöpfers zu erreichen, in ihrer bösen Ansicht. Das war der Kern des Götzendienstes…
 
Im Laufe der Zeit erstanden den Menschen Lügenpropheten, die behaupteten, G~tt habe ihnen befohlen und ihnen gesagt: Dienet jenem Stern, oder allen Sternen, und opfert ihm, auch Trankopfer, auf diese oder jene Weise, baut ihm einen Tempel und macht sein Abbild, um sich vor ihm nieder zu werfen – alle Leute, Frauen, Kinder und gemeines Volk. Und er verkündet ihnen die Form, die er sich selber ausgedacht hat, und sagt: Das ist die Form des Sternes, die mir in einer Prophetie mitgeteilt wurde.
 
Auf diese Weise begannen sie, Abbilder in ihren Tempeln und unter Bäumen und auf Bergspitzen und Hügeln zu machen, und versammeln sich dort und verbeugen sich vor ihnen; und sie sagen dem ganzen Volk, jenes Abbild bringe Gutes und Böses, und man sollte ihm dienen und es fürchten. Und die Götzenpriester sagen ihnen, mit diesem oder jenem Dienst mehrt ihr euch und werdet Erfolg haben; tuet so und so, und unterlasset dieses und jenes.
Und es erstanden andere Verführer, die sagten, der Stern selber oder der Himmelskreis selber oder der Engel sprach mit ihnen und sagte ihnen, dienet mir so und so, und erklärte ihnen die Weise seines Dienstes, tuet dieses und unterlasset jenes. Diese Sache breitete sich aus über die ganze Welt, den Abbildern auf unterschiedliche Weisen zu dienen, und ihnen zu opfern und sich vor ihnen nieder zu werfen. 
 
Und wie die Zeit verging, verschwand der ehrwürdige und furchtbare Name vor aller Existenz und ihrem Gedächtnis, und sie erkannten ihn nicht mehr… nur noch Vereinzelte auf der Welt, wie Chanoch und Metuschelach und Noach und Schem und Ewer. Und auf diese Weise ging es immer weiter, bis endlich die Säule der Welt geboren wurde, nämlich unser Vorvater Awraham, Friede mit ihm" (siehe dort weitere Einzelheiten).
 
In einer Zeit wie der unsrigen, in der es G~tt sei Dank viele Anfänge bei unseren Brüdern und Schwestern gibt, den Namen des Ewigen anzurufen, wollen wir uns bemühen, ihnen eine Brücke zu sein und die Fortführung ihres spirituellen Aufbaus auf eine geordnete Basis zu stellen, auf ein tiefes und wahrhaftiges Fundament, und sie durch Empfehlung wohlgeordneter Lehrstätten (wie z.B. Machon Meir, Chut Schel Chesed) in die Obhut echter Toragelehrter zu bringen. Kraft dessen wird es uns allen vergönnt sein, zusammen den Namen G~ttes anzurufen.
 

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