Halacha des Krankenbesuchs – Wajechi

„Es war nach diesen Ereignissen, da ließ er Joseph sagen: Siehe, dein Vater ist krank. Er nahm darauf seine beiden Söhne mit sich, Menasche und Ephrajim...

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Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Zum Wochenabschnitt Wajechi (Bereschit 47,28 – 50,26)

„Es war nach diesen Ereignissen, da ließ er Joseph sagen: Siehe, dein Vater ist krank. Er nahm darauf seine beiden Söhne mit sich, Menasche und Ephrajim. Er ließ es Jakob erzählen und dann ihm sagen: Siehe, dein Sohn Joseph ist zu dir gekommen; da erkräftigte sich Israel und setzte sich im Bette auf“ (Bereschit 48, 1&2). Rabbiner S.R. Hirsch kommentiert: „Joseph weiß nicht, wie es seinem Vater geht, will ihn nicht aufregen, ‚Wajaged’: lässt ihm zuerst wie gelegentlich erzählen, dass er komme, und lässt dann erst, ‚Wajomer’, ihm sagen, er sei da.“ Ein Midrasch, den Rabbi M. Zlotowitz in seinem englischen Kommentar anführt, leitet aus der zitierten Tora-Passage eine Regel für unser Benehmen ab: „Ein Besucher sollte nicht plötzlich in das Zimmer einer Kranken Person eintreten, denn sie könnte beschämt werden; vielmehr sollte ein Besucher erst nach Ankündigung eintreten.
 
Der Halacha des Krankenbesuchs hat Rabbiner B.P. Goldberg ein Buch gewidmet: „Pne Baruch. Bikkur Cholim Kehilchato)“ (Jerusalem 5745); dieselbe Materie behandelt in englischer Sprache Rabbi A. Levine in seinem Buch „Bikkur Cholim. Visiting the Sick“ (Toronto 1987). In beiden Werken finden wir die Vorschrift, die der Midrasch aus der Beschreibung von Joseph ableitet. Und in beiden Werken wird der Leser darauf hingewiesen, dass die Benimmregel nicht nur bei Kranken zu beachten ist. Im Talmud (Nidda 16b) steht, dass ein Mensch nichteinmal in seine eigene Wohnung plötzlich eintreten solle, geschweige denn in das Haus seine Freundes. Raschi gibt folgende Begründung: „vielleicht verrichten die Bewohner etwas Intimes.“ Bei einem Krankenbesuch muss man besonders vorsichtig sein, denn ein Eintritt zum verkehrten Zeitpunkt kann Kummer statt Freude bewirken.
 
Die Wichtigkeit von Bikkur Cholim ist von unseren Weisen häufig betont worden. Wer Kranke besucht, der erfüllt zugleich mehrere Mitzwot. Wir sind verpflichtet, Gott nachzustreben in tätiger Liebe (siehe „Chorew“ Kap. 72). Im Talmud (Sota 14a) heißt es: „Der Heilige, gelobt sei Er, besuchte die Kranken, denn es steht geschrieben: Da ward Gott ihm Sichtbar unter den Bäumen Mamres (Bereschit 18,1) – so sollst auch du die Kranken besuchen!“ Mit einem Krankenbesuch erfüllen wir auch das Gebot der Nächstenliebe (Wajikra 19,18). Um zu betonen, dass Bikkur Cholim eine Mitzwa ist, vor der man sich nicht drücken darf, lehrte Rabbiner Akiwa: „Jeder, der Kranke nicht besucht, wird betrachtet wie einer, der Blut vergießt“ (Nedarim 40a).
 
Die Vorschriften für den Krankenbesuch fasst Rabbiner S.R. Hirsch wie folgt zusammen: „Besuche jeden Kranken, er sei arm oder reich, verwandt oder nicht verwandt, und bist du entzweit mit ihm, so lasse erst anfragen, ob es ihm auch genehm sei. Verwandte und Freunde besuchen alsbald nach dem Erkranken, Entfernte erst nach drei Tagen; doch wenn die Krankheit plötzlich und bedenklich geworden ist, besuchen auch Entferntere sogleich. – Besuche oft und täglich, selbst mehrere Male am Tag, nur sorge, dass du nicht störend und lästig wirst. – Besuche den Kranken nicht in den ersten und nicht in den letzten drei Stunden des Tages. – Dein Krankenbesuch bezwecke vornehmlich drei Dinge: siehe, ob alles geschieht, was vernünftigerweise Menschen zu seiner Heilung versuchen können; und geschieht es nicht, sorge dafür, dass es geschehe. Siehe, ob ihm an seiner Pflege nichts abgeht, und wo es daran mangelt, pflege und schaffe Pflege. Und endlich bete für ihn zum Gott des Erbarmens. Wer einen Kranken besucht und nicht um seine Heilung zu Gott fleht, hat die Liebespflicht nicht erfüllt… Mache den Kranken aufmerksam, ob er auch seine Angelegenheiten alle geordnet hat, bewege ihn, dass er es tue, und führe ihm zu Gemüte, dass er deshalb den Tod nicht fürchten soll. – Kranke, denen Besuch und Sprechen lästig fallen, besuche nicht, sondern frage im Haus nach, wie es ihnen geht, ob ihnen etwas nötig ist, höre ihre Leiden, und bete für sie“ („Chorew“ §576).
 
Durch die moderne Technik sind uns neue Möglichkeiten eröffnet worden. Halachisten des 20. Jahrhunderts haben die Frage erörtert, ob man die Mitzwa des Krankenbesuchs auch per Telefon erfüllen kann. Sie sind zu dem Schluss gekommen, dass in der Regel eine persönliche Begegnung vorzuziehen ist. Aber es gibt auch Umstände, in denen es besser ist, zu telefonieren, als bei dem Kranken vorbeizuschauen (siehe Rabbiner M.J. Breisch in Responsa Chelkat Jakov 2:128; Rabbi A. Levine, op. cit).
 
Keine moderne Erfindung sind Bikkur Cholim-Vereinigungen; es hat solche Organisationen schon im Mittelalter gegeben, sie werden in Responsa erwähnt. In unserer Zeit haben sie besonders in Großstädten an Bedeutung gewonnen. In jeder jüdischen Gemeinde sollt es einen Bikkur Cholim-Verein geben, und zwar sowohl im Interesse der Kranken als auch im Interesse derjenigen, die die Mitzwa von Bikkur Cholim in sinnvoller Weise ausüben wollen.

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