Vom Umgang mit Neid

Die Entwicklung von Neid (hebr. Kin’ah) wird im Talmud am Beispiel von Joseph und seinen Brüdern erörtert. In der Tora heißt es: ...

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Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Zum Wochenabschnitt Wajeschew (Bereschit 37,1 – 40,23)

Die Entwicklung von Neid (hebr. Kin’ah) wird im Talmud am Beispiel von Joseph und seinen Brüdern erörtert. In der Tora heißt es: „Jisrael aber liebte den Joseph vor all seinen Söhnen, weil er ihm ein Sohn hohen Alters war, und machte ihm einen bunten Rock. Als seine Brüder sahen, dass ihn sein Vater liebte vor all seinen Brüdern, da hassten sie ihn und vermochten nicht, mit ihm freundlich zu reden“ (Bereschit 37, 3 & 4). Auf diese Stelle bezieht sich ein Ausspruch von Rav: Nie sollte ein Vater einen seiner Söhne bevorzugen, denn weil Jakob seinem Sohn Joseph einen bunten Rock gab, wurden seine Brüder neidisch, und so kam es dazu, dass unsere Vorfahren nach Ägypten hinabzogen (Schabbat 10b).

Rabbiner David Feinstein hat das Wort „nie“ im angeführten Ausspruch problematisiert; es hätte doch genügt zu sagen: ein Vater sollte keinen der Söhne bevorzugen! Warum sagte Rav „nie“ (leolam)? Rabbiner D. Feinstein erklärt, dass Jakob sehr wohl wusste, was Neid anrichten kann; nur hat er die Frömmigkeit seiner Söhne offensichtlich falsch eingeschätzt. Aus Jakobs Erfahrung sollten seine Nachkommen eine Lehre ziehen: immer ist mit Neid zu rechnen – Eltern dürfen sich da keine Illusionen machen. Erwähnt sei, dass Maimonides Ravs Ratschlag in seinem großen halachischen Werk zitiert (Hilchot Nachalot 6,13).

Rabbiner E. Dreifuss betont, dass jeder Mensch vorsichtig handeln muß, um nicht Neid zu verursachen (Orach Mescharim 21,3). Er verweist auf ein Talmudstelle (Sanhedrin 17a), in der beschrieben wird, welches Verfahren Mosche Rabbenu einsetzte, um klarzustellen, dass er keinen bevorzugt. Ihm war von Gott befohlen worden: „Versammle mir 70 Männer aus den Ältesten Israels, die du kennst, dass sie die Ältesten und Beamten Israels sind, und führe sie zu dem Stiftszelt, und sie sollten dort bei dir stehen“ (Bamidbar 11,16). Nun hatte Mosche ein schweres Problem zu lösen: Würde er von jedem der 12 Stämme je sechs Männer nehmen, hätte er zwei zuviel; würde er nur jeweils fünf auswählen, dann fehlten 10; hätte er von zehn Stämmen 6 Männer genommen und von zwei Stämmen nur fünf – dann wäre Neid aufgekommen. Was tat er? Mosche wählte aus jedem Stamm sechs Männer und ließ sie Lose ziehen; zwei zogen eine Niete, und Mosche konnte beteuern, dass ihre Nichtberufung nicht an ihm lag (vergl. Raschi zu Bamidbar 11,26).
 
Im „Kad Hakemach“ von Rabbenu Bachja findet man ein Abhandlung über Neid. Der Autor listet schlimme Ereignisse auf, die durch Neid verursacht worden sind. So ist z.B. der Aufstand, den Korach angezettelt hat, auf Neid zurückzuführen (siehe auch Raschi zu Bamidbar 16,1). Bei der Spaltung des Königreichs Israel, die im Buch Melachim beschrieben wird, kann man ebenfalls die katastrophale Wirkung von Neid feststellen. Eine Mischna warnt ausdrücklich: „Der Neid, die Begierde und die Ehrsucht bringen den Menschen aus der Welt“ (Sprüche der Väter 4,28).
 
Wenn wir davon ausgehen müssen, dass Neid in der menschlichen Natur verankert ist, drängt sich die Frage auf, was jemand gegen Neid unternehmen kann, den er verspürt. Rabbiner B.J. Zilber rät in seinem Sefer „Jeschuat Benjamin“  (Bne Berak 5750) zu einem Verfahren, das an die psychoanalytische Therapie erinnert: man soll sich klarmachen, dass man Neidgedanken hat und diese durch Verurteilung erledigen; wer sich mit dem Neid nicht auseinandersetzt, der wird rasch ein Opfer dieser „Krankheit“.
 
Rabbenu Bachja beendet seine oben erwähnte Abhandlung mit dem Hinweis, dass es auch Kin’ah gibt, die positiv zu bewerten ist. Zu verurteilen ist Neid, der sich auf Reichtum und Führungspositionen bezieht; zu loben ist Neid, wenn er auf Torawissen und gute Taten bezogen ist. Im Buch Mischle heißt es: „Es neide dein Herz nicht die Sünder, sondern bleibe in der Furcht des Ewigen immerdar“ (23,17). Rabbiner M.L. Malbim hebt in seinem Kommentar zu diesem Vers hervor, dass Neid zwei Seiten hat: wer weise ist, wird nur die positive Seite realisieren. Ein Beispiel für die positive Form des Neides finden wir im Wochenabschnitt Wajeze: „Als Rachel sah, dass sie dem Jakob nicht gebar, da beneidete Rachel ihre Schwester“ (Bereschit 30,1). Raschi bemerkt: „Rachel beneidete sie ihrer guten Handlungen halber und sagte: wäre Lea nicht frömmer als ich, so würde sie keine Kinder haben.“
 

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