Auge um Auge, Zahn um Zahn! – Mischpatim

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ steht nicht für einen von Gott gebilligten bzw. erlaubten Racheakt. Vielmehr steht und handelt dieser Satz für die Thematik Schadensersatz.

5 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 06.04.21

Ein weltweit viel zitierter Satz aus Parascha (dem Wochenabschnittskapitel der Thora) Mischpatim ist:

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (2. Buch Moses, Kapitel 21, Vers 24)
 
Die Weltpresse macht sehr oft von diesem Satz Gebrauch, daher kommen wir mit ihm auch häufig – z.B. in Verbindung mit dem israelisch- palästinensischen Konflikt oder anderen Brennpunkten der Erde – in Berührung. Hervorzustellen ist allerdings bei dieser Gelegenheit, dass die Weltpresse den in der Thora stehenden Satz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ völlig missversteht und deshalb auch andauernd verkehrt in Szene setzt.
 
Wer nämlich „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ als Rache interpretiert, der irrt dabei allerdings gewaltig!
 
Vielmehr steht und handelt dieser Satz für die Thematik Schadensersatz.
 
Wird jemandem also ein Schaden zugefügt, dann steht ihm deswegen auch finanzieller Schadensausgleich zu.
 
Im Talmud Traktat Baba Kamma (Seite 83 b) finden wir unzählige Beispiele dafür. Unter anderem erörterten unsere Weisen dort nachfolgende Ausführungen:
 
·     Was wertet man als tatsächlichen Schaden?
·     Wie lässt sich ein durch den Schaden entstandener Schmerz ermitteln?
·     Wie – bzw. unter welchen Gesichtspunkten – lässt sich ein Schadensersatz errechnen?
·     Und so weiter.
 
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ steht demnach – wie bereits gesagt – also nicht für einen von Gott gebilligten bzw. erlaubten Racheakt. Infolgedessen ist die oft gehörte Interpretation: „Wer jemandem ein Auge ausgehackt, der wird nun (als Rache dafür) das seinige verlieren“ falsch!
 
Im Nachhinein stellt sich nun allerdings die Frage, weshalb dieser Satz so in der Thora steht.
 
Warum spricht die Thora an dieser Stelle nicht einfach das aus, um was es sich tatsächlich handelt, also um „Schadensersatz“?
 
Die Antwort darauf lässt sich folgendermaßen erklären. Auf der zwischenmenschlichen Ebene, also dem gegenseitigen Verhalten von Mensch zu Mensch, gelten tatsächlich alle dort erwähnten Schadensersatz- und somit finanzielle Regelungen. Einem Menschen ist es also aus Gottes Sicht definitiv verboten, Rache zu üben. Auch Gott selbst übt natürlich niemals Rache aus!!! Im Gegenteil, Er ist gut und barmherzig.
 
Rabbi Nathan aus Breslev sagte einst: „Gott als gut zu bezeichnen, damit wird man Seiner nicht gerecht, doch das ist aus sprachlicher Sicht eben das Maximum …!“
 
Und da Gott gut ist und alle Seine Geschöpfe liebt, trachtet Er danach, dass sich alle Menschen auf den rechten Weg des Lebens begeben und sich auf diesem guten Kurs halten. Infolgedessen führt er jeden Menschen nach dem Motto „Mit dem Maß, mit dem du misst, wirst du selbst gemessen!“ Mit anderen Worten vergilt Gott einem Menschen Gleiches mit Gleichem! Und deshalb steht in der Thora „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ – !
 
Um das Gesagte besser zu verstehen sollte sich jeder an dieser Stelle den Artikel von Rabbiner Shalom Arush „Wie du mir, so ich dir!“ durchlesen.
 
Im Bezug auf diesen Schabbat sollte man erwähnen, dass dieser Schabbat nicht "nur" ein regulärer Schabbat, sondern zugleich der Schabbat Schekalim ist, an dem wir zusätzlich in den Synagogen (im Morgengebet) den neuen Monat Adar segnen, aber der Reihe nach.
 
In der vorherigen Parascha, also dem Thoraabschnitt letzter Woche Itro, erhielten die Juden sowie die gesamte Menschheit von Gott die Zehn Gebote. In der dieswöchigen Parascha kommen weitere Zivilgesetze hinzu.
 
Der Ramban (Rabbi Moses ben [der Sohn von] Nachman) sagt, dass diese neuen Gesetze einen Zusatz zu den Zehn Geboten verkörpern.

Im Judentum gibt es keine Trennung von religiösen, privaten und geschäftlichen Angelegenheiten. Die Thora und somit also auch die Halacha (das gesetzliche Regelwerk der Thora) regelt sogar, wie sich ein Mensch im beruflichen Alltag bzw. auf allen anderen Geschäftsebenen zu verhalten hat.

 
Beispiel:
 
Einen Kaufmann, der seine Kundschaft betrügt, kann man gemäß der Gesetzesvorlage der Thora nicht als einen religiösen Menschen werten. Im Gegenteil es handelt sich hierbei schlicht und ergreifend nur um einen Betrüger.
 
Dieser Wochenabschnitt der Thora heißt: Mischpatim und führt zu Beginn ein Gesetz auf, das sich mit der Materie Sklaven bzw. Sklaverei auseinandersetzt. Die Thora untersagt es einem Menschen, einen anderen willkürlich zu versklaven. Wenn ein Mensch einem anderen allerdings einen hohen Schaden zufügte, dann muss er seine Schuld, beispielsweise anstelle eines Gefängnisaufenthaltes eben in Form einer Sklaverei abarbeiten. Dazu heißt es dann:
„… er soll sechs Jahre lang dienen, und im siebten (Jahr) soll er unentgeltlich freigelassen werden.“ (2. Buch Moses, Kapitel 21, Vers 2) Mit anderen Worten muss ein Sklave sechs Jahre arbeiten, um so im siebten Jahr seine Freilassung zu erlangen.
 
Auffällig in diesem Satz ist das Zahlenspiel zwischen sechs und sieben. An einer anderen Stelle der Thora lässt sich dieses Zahlenspiel trotz der Tatsache, dass es sich dabei um einen völlig anderen Zusammenhang dreht, entnehmen. So heißt es z.B. im 1. Buch Moses, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschuf und am siebten Tag ruhte. Gehen wir nun noch etwas tiefer in die Materie ein.
 
Aus der Kabbala (Zohar) und den Lehren des Chassidismus lässt sich im Bezug zu diesem Zahlenspiel eine Verbindung zu Reinkarnationen entnehmen.
 
Sobald ein Mensch sündigt, beschädigt er dadurch seine Seele und diese kommt nach dem Tod vor Gottes Gericht. Eine der Strafen kann sein, dass die Seele als Reinkarnation wieder zurück in unsere Welt kommt. Der Mensch muss somit also sein gesamtes Leben daran arbeiten, seine Seele zu perfektionieren.
 
Laut dem Buch Zohar stehen diese eben erwähnten sechs Jahre für sechs Reinkarnationen, welche die Seele aufgrund ihrer Verfehlungen durchmachen muss, um so zu ihrer ursprünglichen Perfektion – also zu der Zeit als sie von Gott erschaffen wurde – zurückzukehren.
 
Dies sind etwas tiefer gehende Erklärungen der sechs Jahre Sklavenarbeit und der Freilassung im siebten Jahr.
 
Des Weiteren ist zu erwähnen, dass kein Vergehen in der Thora so häufig erwähnt wird wie das der Götzenanbetung, so auch hier in unserer Parascha der Woche. Dieses Vergehen gilt als das schlimmste Vergehen überhaupt, denn wer andere Götter anbetet, der erkennt Gottes Einzigartigkeit und somit im Grunde genommen auch nicht Seine Erschaffung der Welt an.
 
Die Thora verbietet uns die Namen aller sognannten Götter auch nur auszusprechen, so wie es heißt: „Und die Namen der fremden Götter sollt ihr nicht erwähnen; sie sollen gar nicht erst über eure Lippen kommen!“ (2. Buch Moses, Kapitel 23, Vers 13).
 
Unsere Weisen gehen diesbezüglich noch weiter und verbieten uns sogar die Erwähnung deren Feiertage!
 
Eines der Gesetze, welches mir persönlich sehr wichtig ist, ist, dass die Juden dreimal im Jahr (an Pessach, Schavuot und Sukkot – dem Laubhüttenfest) vor Gott erscheinen sollen. Zu Zeiten der zwei Tempel kamen die Juden an diesen Feiertagen (Schalosh Regalim) nach Jerusalem in den Tempel, um Opferungen darzubringen und zu feiern. An Sukkot taten das auch viele Nichtjuden.

Seitdem wir den Staat Israel haben und wir das Gebiet um die Klagemauer im Sechs-Tage-Krieg (1967) von jordanischer Besatzung befreiten, kann jeder wieder an diesen Feiertagen in die Jerusalemer Altstadt kommen. Für mich ist das die schönste Zeit und ich habe das Glück, da ich in Jerusalem wohne, an Pessach und Sukkot täglich in die Altstadt gehen zu können. An den Zwischenfeiertagen gibt es unzählige Attraktionen und Tausende stürmen in die Jüdische Altstadt. An Pessach und Sukkot findet jeweils am 3. Tag der Segen der Cohanim (ehemals Tempelpriester) an der Klagemauer (Kotel) statt.

An Schavuot ist es Brauch, die ganze Nacht hindurch zu lernen und morgens für das Morgengebet an die Klagemauer zu gehen. Falls dort noch aufgrund des hohen Ansturmes Platz sein sollte. Es ist ein grandioser Anblick, wenn die Sonne über dem Tempelberg aufgeht.

Diesen Mozzei Schabbat (Schabbat-Ausgang) beginnt der jüdische Monat Adar. Somit fallen die Gebete in den Synagogen etwas länger aus. Am Schabbat vor Adar ist traditionell Schabbat Schekalim. Somit wird diesen Schabbat aus zwei Thorarollen vorgelesen!

 
Der Maftir liest also aus der zweiten Thorarolle einen Auszug aus der Parascha Ki Tisa (2. Buch Moses, Kapitel 30, Vers 11-16).
 
Darin beauftragte Gott Mosche (Moses), eine Volkszählung unter den Israeliten in der Wüste durchzuführen. Des Weiteren befahl Gott, dass jeder Mensch, der sein zwanzigstes Lebensjahr erreichte, einen halben Schekel (Goldtaler) abgeben soll, nicht mehr und nicht weniger. Egal ob arm oder reich.
 
Dieses lehrt uns, dass jeder Mensch vor Gott gleich ist!

Die Haftara wird aus dem 2. Band des Buches der Könige gelesen. (II, Kapitel 12, Vers 17 – Sephardische Juden lesen aus dem Buch der Könige II, ab Kapitel 11, Vers 17)

Schabbat Schalom! Einen guten und gesegneten Schabbat!

 
Und unseren nichtjüdischen Freunden wünschen wir ein schönes Wochenende!

 

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