Zniut

»Zniut«: Ein Jude soll durch seine Garderobe nicht übermäßige Aufmerksamkeit auf sich lenken.

7 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 17.03.21

»Zniut«: Ein Jude soll durch seine Garderobe nicht übermäßige Aufmerksamkeit auf sich lenken.

 

Einer meiner Schüler sandte mir vor kurzem einen interessanten Artikel zum Thema Zniut, der von der Jüdischen Allgemeinen Zeitung veröffentlicht wurde. Ich möchte euch hier nun Passagen aus dem Artikel: Zniut von Noemi Berger zeigen:

 

Zniut wörtlich Bescheidenheit und Demut bedeutet. Man bezieht den Begriff oft auf die Art und Weise, wie sich jüdische Frauen und Mädchen nach traditioneller Weise kleiden. Das wesentliche Kriterium von Zniut in Bezug auf Kleidung ist, dass ein Jude nicht durch seine Garderobe übermäßige Aufmerksamkeit auf sich ziehen soll. Dies bedeutet nicht, dass man sich schlecht kleiden soll, sondern, dass weder Männer noch Frauen in irgendeiner Weise ihre körperliche Erscheinung über Gebühr betonen sollten. Sich respektabel zu kleiden, heißt, sich »ziniesdig« zu kleiden. 

Das traditionelle Judentum verlangt, dass sowohl Männer als auch Frauen das Wesentliche ihrer Körper einschließlich Haupt, Ellbogen, Knie und Dekolleté in der Öffentlichkeit bedecken.

 

Mein großer spiritueller Meister, der Bestseller Autor und Life-Couch, Rabbi Shalom Arush schrieb über das Thema Zniut ausführlich in seinem Werk: Die Weisheit der Frauen. „Jede Frau der etwas an ihrer Ehre liegt, sollte die Kapitel 36-41 herzlich studieren.“, so der große Rabbi.

BESCHEIDENHEIT 

 

Zniut ist aber auch eine Tugend, die sich auf die Art und Weise des Benehmens und Handelns aller Juden gegenüber ihren Mitmenschen bezieht. Oft werden Bescheidenheit und Demut mit der Unterdrückung von Gefühlen, mit mangelndem Selbstwertgefühl oder Inkompetenz gleichgesetzt. Das Judentum hält aber die Bescheidenheit für die Voraussetzung für wahre Religionsausübung. Und dies gilt für beiderlei Geschlecht! 

Die Idee ist recht anschaulich im Buch des Propheten Micha zu finden: »Was verlangt Gott von dir? Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten; Liebe und Gerechtigkeit zu üben und bescheiden mit Gott zu wandeln« (6,8). 

DEMUT

 

Einen weiteren Hinweis auf die Bedeutung von Zniut finden wir im Buch Mischle (Sprüche): »Wo Stolz ist, da ist auch Schmach; aber Weisheit ist bei den Demütigen« (11,2). Wir sollen uns durch Würde und Demut bewusst werden, dass wir uns ständig in der Gegenwart Gottes befinden. Bescheidenheit hilft uns, die Fähigkeit zu entwickeln, regelmäßig darüber nachzudenken, wie wir unser Leben am sinnvollsten gestalten.

Viele Menschen sind darauf aus, die Anerkennung und Aufmerksamkeit anderer zu gewinnen, anstatt das zu tun, was im Sinne der Mizwot, der Gebote, wichtig ist. Je mehr wir versuchen, unser Selbstwertgefühl von der Zustimmung der Menschen um uns herum abhängig zu machen, desto mehr geben wir unser Leben aus der Hand. Wir können Bescheidenheit entwickeln, indem wir unsere inneren Werte prüfen und verfeinern, anstatt immer nur nach Anerkennung von außen zu trachten.

WÜRDE

 

Zniut ist das Attribut unserer Würde, wenn wir uns von anderen differenzieren. Mit Zniut demonstrieren wir der Welt, dass wir ein heiliges Gefäß versinnbildlichen, das nicht nur aus Körper, sondern auch aus Seele besteht. Zniut ist eine Form der Keduscha, der Heiligkeit. Ja, eine Heiligung unseres ganzen Seins. Jemand, der wahre Bescheidenheit verkörpert, hat bereits ein inneres Gefühl der Sicherheit, des Selbstwertgefühls und einen Sinn im Leben entwickelt. 

Zniut ist eine Beschaffenheit des Geistes. Mehr als eine Frage von Körperlichkeit ist es auch die Erkenntnis, dass jeder Mensch ständig in der Gegenwart Gottes wandelt und entsprechend handeln und agieren muss. 

Zniut bedeutet Mäßigung und Bescheidenheit in allen Lebensbereichen, sei es eine angemessene Sprache und Stimme, Höflichkeit gegenüber den Mitmenschen, Kleidung, Ehrlichkeit, Bescheidenheit in Bezug auf weltliche Güter, Geduld, Anstand und Respekt sowie Wertschätzung zwischen Ehemann und Ehefrau.

Letztlich bereitet jeder Jude Gott und seinen Mitmenschen durch Zniut ein Nachat Ruach, eine spirituelle Harmonie, Vergnügen und damit Frieden, Sicherheit und Einheit für Klal Jisrael, für das ganze Volk Israel.

 

ANZIEHUNG 

 

Rabbiner Avichai Apel verfasste zu diesem Thema auch einen hervorragenden Artikel: Auf Abstand gehen. Rabbiner Apel erklärt in seinem Artikel die tief gehende Bedeutung des hebräischen Begriffes: »Schmirat Negia« was »sich vor Berührung hüten« bedeutet. Ich möchte euch deshalb hier nun auch Passagen aus dem Artikel: Auf Abstand gehen von Rabbiner Avichai Apel zeigen: Den hebräischen Begriff kennen heute auch junge Menschen, die den Weg zurück zur jüdischen Tradition suchen. Doch für Jugendliche und Erwachsene, die Teil der Mainstreamkultur sind und vielleicht auch ohne Trauschein mit ihren Partnern zusammenleben, hört sich der Begriff völlig fremd an.
 

Die sexuelle Anziehung zwischen Jungen und Mädchen ist natürlich. Sie wurde bereits bei der Erschaffung der Welt als wünschenswerter Zustand zwischen Männern und Frauen geschildert.

 

Oft werde ich gefragt: „Warum soll man bis zur Heirat warten, um Sex zu haben?“ In diesem Punkt herrscht oft große Verwirrung. Junge Leute leben manchmal jahrelang vor ihrer Heirat zusammen und sehen darin kein Problem. Das Zusammenleben vor der Hochzeit ist seit einigen Generationen nichts Außergewöhnliches mehr. Die meisten Jugendlichen, die nicht in religiösen Gemeinschaften groß geworden sind, machen ihre ersten Erfahrungen mit körperlichem Kontakt schon lange, bevor sie unter der Chuppa stehen. Mehr dazu auch in meinem Video: Erlaubt oder verboten? Sex vor der Ehe im Judentum.
 

SEXUALKUNDE 

 

Viele sagen, dass heutzutage keine Grenzen und Schranken mehr bestehen. Andere meinen, für Einschränkungen gebe es keinen Grund. Körperlicher Kontakt ist heute fast zu einem »notwendigen Bestandteil« der Pubertät geworden. Schon Dritt- und Viertklässler erhalten in der Schule Sexualkundeunterricht, der sie auf das Heranwachsen vorbereiten soll. 

Also stellt sich wohl wirklich die Frage: Warum eigentlich nicht? Warum soll man als Jugendlicher seine Sexualität nicht ausleben? Der Hauptgrund ist: Das Eheleben ist das höchste Ziel im Judentum!

Zwei große Probleme begleiten junge Männer und Frauen die von diesem höchsten Ziel noch nichts wissen. Das erste Problem bilden ihre verbotenen, also vor der Ehe erlebten sexuellen Erfahrungen. Sie sind meist nicht verbindlich, sondern beruhen auf reinem Begehren und führen zu der Einstellung, dass kein Anlass besteht, eine stabile Partnergemeinschaft aufzubauen. 

 

Das zweite Problem ist nicht weniger schwerwiegend. Ein sexuell erfahrener Mensch, der auf Sensationen aus ist, möchte diese auch in Zukunft erleben. Es besteht die Gefahr, dass die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner, der sich ihm seelisch nahe fühlt, eine verbindliche Beziehung im Rahmen der Ehe eingeht und eine Familie gründet, eventuell seinen oder ihren sexuellen Drang nicht ganz befriedigen kann, weil er oder sie Ambitionen hat und nach Sensationen sucht, die er oder sie als junger Mensch erfahren hat. 

Dies kann im Eheleben zu Enttäuschung, Untreue – möge man davor bewahrt sein! – und – Gott bewahre – zur Auflösung des Familienlebens führen. Oft werde ich gefragt, wie man sich vor solchen Katastrophen schützen kann?

 

Die Antwort liegt auf der Hand. Das Judentum hat eine positive Beziehung zu Körper und Sexualität. Über Jahrhunderte hinweg wurde das Hohelied der Liebe als das theologisch bedeutendste Buch der Heiligen Schrift angesehen. Es war der Schlüsseltext der jüdischen Liebesmystik. Das „Lied der Lieder“ ist tief in der Heiligen Schrift verwurzelt. Es spricht nicht nur von der menschlichen, sondern auch von der göttlichen Liebe. Diese aktuelle Auslegung greift die neuere Diskussion auf und erschließt auf exegetischer Grundlage das theologische und spirituelle Potenzial, das in diesem hochpoetischen Werk der Weltliteratur enthalten ist. Im Vers 2 des 5. Kapitels dieses hochpoetischen Werkes heißt es: Meine Schwester, meine Freundin, meine Taube, meine vollkommen Makellose“. Hier offenbart uns der weise Salomo den Schlüssel zur lebendigen Beziehung und erklärt eindeutig, das Sex vor der Ehe ein Tabu für jeden vernünftigen Menschen sein muss.

 

Vor der Ehe steht das Paar auf der Stufe: „Meine Schwester“, was bedeutet, dass Mann und Frau sich bei ihren Treffen nur unterhalten, sie finden dabei also heraus, ob sie den selben Traum träumen, ob sie sich die selben Grundwerte teilen und vieles emotionales mehr. Bei den Treffen küssen sie sich nicht, ja sie berühren sich nicht einmal, sie Schomrim Negia, »sie hüten sich vor Berührung«. Mit diesem Verhalten wird eine spirituelle Bindung hergestellt, so lernt das Paar die sexuelle Anziehung hinten anzustellen und stattdessen vor allem die seelische Nähe zu fühlen, also nach einer verbindlichen Beziehung im Rahmen einer zukünftigen Ehe zu suchen. Auf der Stufe: „Meine Schwester“ gilt es somit herauszufinden, ob man eine Familie gründen will. Wer hier auf Abstand geht und versucht eine rein emotionale Bindung herzustellen, dem wird es gelingen eine Traumhochzeit zu erleben, was nach Salomo bedeutet, dass man so gemeinsam auf die Stufe: „Meine Freundin“ aufsteigt.

 

Hier offenbart uns der weise Salomo, dass Mann und Frau nur dann eine echte und lebendige Freundschaft in ihrer Partnerschaft erleben werden, wenn sie zuvor eine emotionale Bindung hergestellt haben. Nur wer sich seelisch nahe fühlt, kann später die wahre körperliche Begegnung erfahren. Auf Hebräisch sind sich die Substantive Pubertät (»Bagrut«) und Überwindung (»lehitbager«) sehr ähnlich. Ja, manchmal muss der Mensch seinen Willen bezwingen. Falls er für sich selbst moralische Grundsätze festgelegt hat, nach denen er sein Leben führen will, wird er verstehen und verinnerlichen, dass er seinen sexuellen Drang lieber bis zur Heirat aufschiebt.

 

Ein Paar das nun auf der Stufe: „Meine Freundin“ steht, steigt deshalb weiter nach oben auf die Stufe: „meine Taube“. Hier redet das „Lied der Lieder“ über die Treue! Es gibt viele Gesetze, die sich mit den Fragen der Partnerschaft und der Errichtung einer Familie befassen. Die Tora hat uns mit einem gesamten System von Mizwot und Gesetzen versehen, die sich um das Familienleben drehen. Hier finden wir Antworten auf die Fragen, wen man heiraten darf und wen nicht, in welchen Fällen man sich lieber scheiden lassen soll, und wie eine solche Scheidung vor sich geht. Doch über all diesen Anweisungen steht der Befehl aus den Zehn Geboten: Du sollst nicht ehebrechen!

Aus ebendiesem Grund hat das Judentum dem körperlichen Kontakt Grenzen auferlegt. Ein verheiratetes Paar hält sich an Einschränkungen, die der gemeinsamen Beziehung förderlich sind und der Gründung einer Familie dienen. Das Verbot, Ehebruch zu begehen, bedeutet auch, dass jeder außereheliche Kontakt völlig unnötig ist. Der Mann verpflichtet sich übrigens unter der Chuppa in der Ketuba, dem Ehevertrag, seine Frau sexuell zu befriedigen. Damit soll vermieden werden, dass einer der Ehepartner einen berechtigten Grund zur Scheidung hat – mögen sie davor bewahrt bleiben!

 

Um das alles so unter einem Hut zu bringen sprach der weise Salomo von: „meine Taube“. Denn wenn eine Taube sich mit einem Täuberich paart, dann bleiben sie sich auf ewig treu, sie werden sich nie einen anderen Paarungspartner suchen. Selbst wenn einer der beiden stirbt, sie bleiben sich auf ewig treu. Diesen Fakt erleben wir in der Tierwelt so nur bei den Tauben. Deshalb sagte der weise Salomo, dass ein Paar, welches zunächst auf Abstand ging, sich also seelisch nah fühlen wollte und aus diesem Aspekt heraus geheiratet hat, sie dadurch auch wahre Freunde wurden und nun auch auf ewig die wundervolle Treue innerhalb der Ehe genießen werden. Somit ist nun auch klar, weshalb die vierte Stufe: „meine vollkommen Makellose“ ist! Denn ein Paar das in echter Freundschaft und absoluter Treue lebt, die erfreuen sich an einer vollkommen makellosen Ehe.  

Ich hoffe, dass diese Überlegungen uns allen, aber vor allem Jugendlichen helfen, über ihre Sexualität nachzudenken und ihre Praxis auf den Tag zu verlegen, an dem sie einer Lebenspartnerin oder einem Lebenspartner versprechen, eine Familie zu gründen, für ein lange währendes, gemeinsames Leben. 

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