Rache ist süß

Wenn uns etwas ärgerliches geschieht, jemand uns einen Schaden zufügt, dann neigen wir schnell zu denken: „Wie du mir, so ich dir!“

4 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

„Auge um Auge, Zahn um Zahn“

Wenn uns etwas ärgerliches geschieht, jemand uns einen Schaden zufügt, dann neigen wir schnell zu denken: „Wie du mir, so ich dir!“ Mit anderen Worten wollen wir Rache, wir wollen „Auge um Auge, Zahn um Zahn“! So wie in der Presse meist üblich, machen auch wir sehr oft von diesem Satz Gebrauch, vielleicht nur, weil wir mit ihm sehr häufig – z.B. in Verbindung mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt oder anderen Konflikten auf der Erde – in Berührung kommen.

Hervorzuheben ist allerdings bei dieser Gelegenheit, dass die Presse den aus der Tora stammenden Satz: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ völlig missversteht und ihn deshalb auch andauernd in einem verkehrten Zusammenhang gebraucht!
 
Wer nämlich „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ als Aufforderung zur Rache interpretiert, der irrt gewaltig!
 
Vielmehr steht dieser Satz für die genau entgegengesetzte Thematik, nämlich den Schadensersatz.
 
Wird jemandem also ein Schaden zugefügt, dann steht ihm genau deswegen auch ein angemessener finanzieller Schadensausgleich zu.
 
Im Talmud Traktat Baba Kamma (Seite 83 b) finden wir unzählige Beispiele dafür. Unter anderem erörterten unsere Weisen in den dortigen Ausführungen so wichtige Aspekte wie: Was wertet man als einen tatsächlichen Schaden? Wie lässt sich ein durch den Schaden entstandener Schmerz ermitteln? Wie bzw. unter welchen Gesichtspunkten lässt sich ein Schadensersatz berechnen? Und so weiter.
 
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ steht demnach – wie bereits gesagt – also nicht für einen von Gott gebilligten bzw. erlaubten Racheakt. Infolgedessen ist die oft gemachte Auslegung: „Wer jemandem ein Auge ausgehackt, der wird nun (als Rache dafür) das seinige verlieren“
 eine völlig falsche und unzulässige Interpretation einer Regel für ein soziales Miteinander!
 
Im Nachhinein stellt sich nun allerdings die Frage, weshalb dieser Satz so in der Tora steht.

Warum spricht die Tora an dieser Stelle nicht schlicht einfach das aus, worum es sich tatsächlich handelt, also um „Schadensersatz“?

Die Antwort darauf lässt sich folgendermaßen erklären: Auf der zwischenmenschlichen Ebene, also dem gegenseitigen Verhalten von Mensch zu Mensch, gelten tatsächlich alle dort erwähnten Schadensersatz- und somit finanzielle Regelungen. Einem Menschen ist es also aus Gottes Sicht definitiv verboten, Rache zu üben. Auch Gott selbst übt natürlich niemals Rache!!! Im Gegenteil, Er ist gut und barmherzig.

Rabbi Nathan aus Breslev sagte einst: „Gott als gut zu bezeichnen, damit wird man Seiner niemals gerecht, doch das ist aus unser sprachlicher Sicht eben das Maximum …!“

Und da Gott gut ist und alle Seine Geschöpfe liebt, trachtet Er danach, dass sich alle Menschen auf den rechten Weg des Lebens begeben und sich auf diesem auch halten mögen. Infolgedessen führt er jeden Menschen nach dem Motto: „Mit dem Maß, mit dem du misst, wirst du selbst gemessen!“

Mit anderen Worten vergilt Gott einem Menschen Gleiches mit Gleichem! Und deshalb steht in der Tora „Auge um Auge, Zahn um Zahn“!
 
Beispiel: Samson, der seine Kräfte bekanntlich aus seinen Haaren bezog, folgte seiner verbotenen Begierde zu Delila mit seinen Augen, daher stachen ihm die Philister diese aus.
 
Mirjam wartete auf Moses eine Stunde lang, indem sie am Ufer des Nils sein Dahinschwappen verfolgte, bis er in Sicherheit war, daher machte das Volk Israel bei seinem Wüstenmarsch für eine Woche halt und wartete dabei solange auf sie, bis sie wieder völlig gesund war.
 
Einer der Söhne Davids behandelte seine Umgebung stets respektlos, da er sich aufgrund der Pracht seiner Haare als außergewöhnlich wertete; am Ende fand er dann durch das Erhängen an seinen Haaren den Tod.
 
Es gibt heutzutage Krankheiten, deren Symptome im Darmbereich, also im Bauch beginnen und sich bis zum Mund hocharbeiten – Gott behüte. Folglich muss ein Mensch, der an solchen Symptomen leidet, daran arbeiten, über keinen Menschen üble Nachreden zu verbreiten. Denn so wie man aus dem Mund ausspricht, was man im Bauch stecken hat, so …
 
Vor vielen Jahren musste ein Weinhändler an einem einzigen Tag den Verlust von 400 sauer gewordenen Weinfässern hinnehmen. Als ihn seine Freunde besuchen kamen meinten sie daraufhin: „Wenn du deine Taten genau überprüfst, wirst du dabei den Grund für diese Panne bestimmt entdecken.“
 
Er erwiderte ihnen entsetzt: „Wollt ihr mir etwa irgendwelche kriminellen Machenschaften o. dgl. unterstellen?!“
 
Sie antworteten im gleichen Ton: „Willst du Gott etwa übel nachreden, dass er Menschen völlig sinn- und grundlos bestraft?!“
 
Der Weinhändler fragte schockiert: „Ist jemandem bekannt, dass ich mich bei einer Sache nicht ordnungsgemäß verhalten habe?“
 
Seine Freunde sagten wie aus der Pistole geschossen: „Uns kam zu Ohren, dass du deinen Weinfeldpächter um einige Weinstöcke hintergehst!“
 
Der Weinhändler antwortete entsetzt: „Was?! Das ist doch wohl ein Witz! Dieser Mann bestiehlt mich ständig und beraubt mich um alles, was nicht niet- und nagelfest ist! Daher nahm ich mir wenigstens das Recht heraus, meinen durch ihn verursachten Schaden etwas zu reduzieren. Ich denke, das ist völlig legitim.“
 
Seine Freunde schmunzelten: „Wer einen Menschen, ja sogar seinen Dieb hintergeht, an dem bleibt der Beigeschmack des betrügerischen Diebstahls haften.“
 
Der Weinhändler gestand sich reuig seinen Fehler ein und beschloss, seinem Weinfeldpächter die ihm zustehenden Weinstöcke wieder zurückzugeben.
 
Aufgrund des reuigen Verhaltens geschah noch in derselben Woche ein Wunder. Im ganzen Land stieg der Preis und die Nachfrage nach Weinessig in die Höhe – bis zum Wert eines hochwertigen Weines! Daher wurde der Weinhändler nunmehr auch ein Weinessighändler, dem es dadurch gelang kein Verlustgeschäft zu machen. Dies verdankte er einzig und alleine seinem reuigen Willen der Einkehr. Da Gott wusste, dass er seine offene Rechnung mit seinem Weinfeldpächter begleichen wird, hob Er den Preis und die Nachfrage für Weinessig in solche Dimensionen, sodass der Weinhändler keine Verlustzahlen mehr schreiben musste. Mit anderen Worten bekam er auf legalem Wege, was er wollte, da er sich an Gott wandte.
 
Des Weiteren entnehmen wir aus dieser Geschichte, dass der Weinhändler gemäß seiner Taten bestraft wurde. Daher konnte er zügig nachvollziehen, woran er sich versündigte. Er versündigte sich im Zusammenhang mit Wein, und so widerfuhr ihm ein Schaden mit seinem Wein.
 
„Auge um Auge um Auge, Zahn um Zahn“ hat demnach zwei Bedeutungen:
 

  1. Schadensersatz
  2. Anhand eines Problems kann ich erkennen, wo mein Fehler liegt.

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