Im Spannungsfeld zwischen Heilig und Profan

Sharon Roter teilt einige Gedanken über ihre Annäherung an das Heilige

3 Min.

Sharon Roter

gepostet auf 15.03.21

Ich gebe zu, dass ich ein angespanntes Verhältnis zu dem Willen habe, mich zu heiligen. Einerseits ist das der Grund, warum ich religiös geworden bin: ich fand es faszinierend, Heiligkeit in jeden Aspekt meines Lebens bringen zu können. Die Verbindung zwischen heilig und profan fasziniert und berührt mich bis heute. Das Wissen, dass es ein Ziel gibt, Hoffnung, dass es uns noch vergönnt sein wird, in dieser Welt etwas von der kommenden Welt zu schmecken – das will ich mit all meiner Kraft.

Andererseits bin ich manchmal frustiert und habe das Gefühl, dass ich die Heiligkeit verscheuche. Dass ich immer noch die Eitelkeiten dieser Welt genießen will. Lasst mich noch eine dumme Serie sehen, die nichts aussagt, lasst mich billige Literatur lesen und die Vergnügen dieser Welt ungestört genießen.

Das Hin-und-Her zwischen diesen beiden Situationen ist ermüdend. Die eine ist die absolute Wahrheit, aber sie fordert Hingabe und Aufgabe. Die andere ist eine Lüge, sie verlangt nicht viel, aber sie ist leer und dumm und lässt dich mit Leere zurück.

Nach jedem Feiertag, an dem wir uns ganz dem Heiligen widmen, müssen wir zurück in den profanen Alltag, und uns damit beschäftigen, die Dinge auszuwählen und zu sieben, und ein bisschen Heiligkeit im Profanen zu finden.

Der Schöpfer der Welt verlangt von uns in der Parashat Kedoschim, uns in jedem Moment zu heiligen. Uns an ihn und seine Heiligkeit zu erinnern, und danach zu streben, ihm ähnlich zu werden. Dabei gibt es nicht wenige Herausforderungen. Die erste ist schon, sich zu erinnern. Ich gebe zu, das fällt mir schon schwer. Vor allem, weil man ja auch daran denken muss, dass das Kind noch eine AG hat, und die Große hat einen Termin beim Zahnarzt, und der Kleine einen Kindergeburtstag, und außerdem gibt es noch eine Aufführung für Kinder im Dorf. Und dabei habe ich noch nicht erwähnt, dass ich ja auch zur Arbeit muss, und die Wäsche macht sich nicht von allein, und der Kühlschrank ist auch schon wieder leer. Und bei all dem soll ich auch noch daran denken, dass ich dem Heiligen, gepriesen sei er, ähnlicher sein soll und mein Leben heiligen.

Ob das schwierig ist? Manchmal scheint es sogar unmöglich…

 

Und die zweite Herausforderung kommt, wenn ich zwar daran denke, dem Schöpfer der Welt ähnlicher zu sein, aber dann vergesse, dass der Verdienst daran ihm gebührt, und mir selbst seine Erfolge zuschreibe. Ich klopfe mir auf den Rücken und und denke: "Gut gemacht, Sharon, du hast es geschafft, sehr schön, du bist der Champion." Das führt dann zu einem Gefühl von "Meine Kraft und die Stärke meiner Hand hat mir all dies Vermögen geschafft", das mich dann wieder von IHM weg bringt und mich IHN vergessen lässt.

Uff, wie kompliziert ist es in unserer Welt, zwischen Heilig und Profan zu navigieren, und wie fein ist die Linie, und wie viel Aufmerksamkeit und Konzentration braucht man, um die Wahrheit zu erkennen und richtig zu handeln…

Ich gebe zu, vielleicht, wenn ich in der ultra-orthodoxen Gesellschaft leben würde, vielleicht wäre es leichter. Zumindest wird in dieser Gesellschaft die Heiligkeit (oder zumindest, der Willen, sich zu heiligen) ganz klar als Ziel vorgegeben und ist die erste Priorität. Aber ich lebe in allen Welten. Vielleicht, weil ich nicht religiös geboren bin und jetzt kann und will ich meine Vergangenheit nicht verleugnen, alles was ich in meiner Kindheit und Jugend aufgenommen habe, denn das ist ein untrennbarer Teil von dem, was ich bin.

Diese Verbindungen zwischen Heilig und Profan faszinieren und beschäftigen mich immer wieder. Wie kann ich die Einflüsse aus jener Kultur nehmen und sie in ein heiliges Werk einbauen, das HaShem dient? Wie kann ich vorsichtig navigieren und nebenbei das Volk Israel, religiös und nicht religiös miteinander verbinden? Denn auch wenn du nicht gläubig bist und die Mitzvot hälst, alle wollen doch ihrem Leben eine Bedeutung geben, und die materielle Welt auf die Stufe der spirituellen Welt zu heben, erfreut alle. Denn wir alle, alle, wollen doch spüren, dass auch die trivialsten Dinge eine Bedeutung haben. Ob ich das Haus aufräume oder meine Seele…

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