Mittel zum Zweck

KORBAN - Der Ewige hat keine Opfer nötig, aber wir Menschen brauchen sie, um uns Ihm zu nähern...

4 Min.

Rabbiner Yaacov Zinvirt

gepostet auf 04.04.21

KORBAN – Der Ewige hat keine Opfer nötig, aber wir Menschen brauchen sie, um uns Ihm zu nähern
 

Wajikra ist nicht nur der Name unseres Wochenabschnitts, sondern auch der des dritten Buches der Tora. Die griechische Bezeichnung für dieses Buch ist Levitikus und verweist auf sein zentrales Thema: die Arbeit der Leviten (hebräisch: Levi’im), der Nachfahren Levis, im Stiftzelt. Wir lesen vom Opfern, von Heiligkeit, Reinheit und Unreinheit, von der Arbeit der Leviten und Kohanim (Priester).

 

Im Hebräischen werden die Bücher der Tora nach ihrem ersten Wort benannt, und eben darin wird das Hauptthema formuliert. Das 3. Buch Mose beginnt mit: »Der Ewige rief Mosche und redete mit ihm aus dem Stiftzelt und sprach …«. Im Hebräischen lautet das erste Wort »Wajikra«, was übersetzt »Und Er rief« heißt. Es stellt sich die Frage, was sich hinter diesem Wort verbirgt. Das führt uns zum zentralen Thema.

 

KONTAKT

 

»Und Er rief« – das Verb »rufen« beschreibt eine Kontaktaufnahme zwischen G’tt und Mosche. Anschließend steht das Verb »redete«, dies steht für eine Übertragung von Inhalten. Das Wichtigste bei der Betrachtung des Ganzen ist jedoch, dass der Ewige es war, der sich an Mosche wandte und nicht umgekehrt. Dies ist sehr bezeichnend und belegt, dass die Beziehung zwischen G’tt und dem Menschen von G’tt ausging – Er hat den ersten Schritt auf den Menschen zu gemacht.

 

Gerade dieses Buch, in dem beschrieben wird, wie der Mensch dem Ewigen dienen soll, beginnt mit dem Gegenteil. Der Ewige erwartet nicht ausschließlich, dass sich der Mensch an Ihn wendet, sondern auch Er geht auf den Menschen zu. Die Beziehung zwischen dem Ewigen und dem Menschen beruht auf Gegenseitigkeit.

 

Der oben genannte Vers lehrt uns, so der Talmud (Joma 4b), eine Tugend: gute Umgangsformen mit unseren Mitmenschen. Wenn wir miteinander kommunizieren, ist es wichtig, unser Gegenüber erst einmal mit seinem Namen anzusprechen, um anschließend ein Gespräch zu eröffnen oder ein Anliegen zu äußern, so wie G’tt es bei Mosche tat.

 

Die Tatsache, dass sich G’tt an den Menschen wendet, zeigt uns, wie wichtig der Mensch ist, und dass das Verhältnis des Ewigen zum Menschen nicht auf Unterwerfung basiert, sondern eine spirituelle Verbindung ist.

 

ENTSCHULDIGUNG

 

In unserem Wochenabschnitt und auch an anderer Stelle im Buch Wajikra wird beschrieben, wie der Mensch über die Opfergaben mit G’tt Kontakt aufnimmt. Das Wort »Opfer« heißt auf Hebräisch »Korban« und stammt von dem Wort »karov« ab, was auf Deutsch so viel wie »nahe« heißt. Mithilfe der Opfer, die meist ein Zeichen der Entschuldigung darstellten, näherte sich der Mensch dem Ewigen. Es gab tierische und pflanzliche Opfergaben. Ein Großteil wurde von dem Menschen, der opferte, selbst verzehrt, aber auch von den Kohanim und Levi’im, die im Tempel arbeiteten. Das gemeinsame Essen diente dazu, die zwischenmenschlichen Beziehungen innerhalb des Volkes zu stärken.

 

Der eigentliche Akt der Opferung war nur ein Teil des ganzen Prozesses. Das Wichtigste war, mit dem Kohen zu sprechen und die schlechte Tat einzugestehen, Reue zu zeigen und eine Strategie zu finden, damit so etwas künftig nicht wieder vorkommt.

 

Die Opfergabe bringt den Sünder wieder ins Gleichgewicht, denn er muss verzichten. Das Opfer dient allerdings nicht dazu, den Ewigen zufriedenzustellen, sondern Ihm nahe zu sein, indem wir unser Gleichgewicht wiederfinden. G’tt verlangt von uns keine Unterwerfung. Vielmehr erwartet Er eine Reflexion und sieht uns Menschen als Partner an.

 

BEIT MIKDASCH

 

Die Opferungen wurden immer an einem bestimmten Ort vollzogen: auf dem Altar im Tempel. Dies muss in die Betrachtung mit einbezogen werden. Der heilige Ort, das Beit Mikdasch, der Tempel, steht eigentlich im Gegensatz zu dem, was zuvor über die Opfer gesagt wurde. G’tt braucht diese Opfer nicht, sondern wir brauchen sie, um uns ihm zu nähern.

 

Warum aber bauen wir einen heiligen Ort? Der Ewige ist doch unabhängig von Zeit und Raum und benötigt diesen festen Platz nicht.

 

Der Midrasch gibt eine Erklärung in Form einer Geschichte: Das Volk Israel sprach mit G’tt und stellte ihm eine Frage. »Alle Könige haben einen großen Ort mit herrschaftlichen Merkmalen wie einer Lampe, einem Haus oder einem Tisch. Aber Du, G’tt, hast gar nichts.« G’tt antwortete: »Ich brauche das nicht. Der, der mich sucht, wird mich in seinem Herz finden.« Aber das Volk wollte trotzdem einen Ort der Begegnung. Daraufhin sagte G’tt: »Wenn ihr so etwas unbedingt wollt, dann müsst ihr es aber nach meinen Vorgaben erstellen.« Aus dieser Diskussion geht ganz deutlich hervor, dass der Bau des Tempels ein Kompromiss zwischen den Bedürfnissen des Menschen und des Ewigen ist.

 

ORT

 

G’tt braucht keinen festen Ort, Er ist immer allgegenwärtig. Da für uns jedoch gerade dies fast unvorstellbar ist, brauchen wir ein Instrument, ein Hilfsmittel, mit dem wir G’tt besser begegnen können. So wie die Problematik im Midrasch dargestellt wurde, muss es eine Quelle in der Tora geben. Sie ist im 2. Buch Mose 25, 1–3 beschrieben: »Der Ewige sprach zu Mosche: Sprich zu den Kindern Israels, sie sollen mir eine Spende bringen; von jedermann, den sein Herz dazu antreibt … Darin bestehe die Spende, die ihr von ihnen nehmen sollt: in Gold, Silber und Kupfer.« Und in Vers 8 lesen wir: »Und sie sollen mir ein Heiligtum errichten, das ich mitten unter ihnen wohne.«

 

In diesen beiden Textstellen scheint es so, als sei der Bau des Stiftzelts dazu da, G’tt zu verherrlichen. Doch am Ende des achten Verses, in dem es darum geht, wo sich G’tt befindet, steht geschrieben, dass Er überhaupt nicht an diesem Ort ist, sondern in den Herzen der Menschen wohnt.

 

Der Ort der Opfergabe und die Opferung selbst waren zwei wichtige Elemente, damit es zu einer Annäherung zwischen G’tt und dem Menschen kommen konnte. Beide, sowohl G’tt als auch der Mensch, mussten Kompromisse eingehen, um sich auf einem gewissen Niveau im Rahmen der Möglichkeiten treffen zu können.

 

»Wajikra« – »Und Er rief« sagt uns, dass G’tt zu einem Gespräch einlud. Der Ewige ließ sich aus Seiner Sphäre herab und begab sich in Richtung Materie, obwohl Er das nicht nötig hat. Der Mensch seinerseits versuchte, sich von der Materie abzuheben und in die geistige Welt aufzusteigen. Nur so konnten sie beide, G’tt und Mensch, gleichberechtigte Partner werden.

 

Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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