Besser beten

Kaddisch, Kiddusch oder Keduschah? Immer mehr Siddurim geben Hinweise und Erklärungen ...

3 Min.

Chajm Guski

gepostet auf 14.03.21

Kaddisch, Kiddusch oder Keduschah? Immer mehr Siddurim geben Hinweise und Erklärungen

 

Wenn wie ehrlich sind, müssen wir zugeben, dass es heute nicht mehr selbstverständlich ist, dass jeder Jude und jede Jüdin dem Gebet folgen kann. Auch ist es nicht mehr selbstverständlich, dass sie die täglichen Gebete so sprechen können, wie es vielleicht sein sollte. Dabei ist die Abfolge und der Einschub spezieller Gebete kein Geheimnis, vielmehr eine Frage der Wissensvermittlung und Aufbereitung. Ideal ist es deshalb, wenn unsere Siddurim diese Struktur sichtbar machen und vielleicht sogar erklären. Doch welche Texte? Nicht in allen Siddurim stehen die gleichen.

 

Eine ungefähre Richtung ist der „Nussach“, was sich mit „Ritus“ annäherungsweise übersetzen lässt. Dabei geht es um die verschiedenen Varianten in der Zusammenstellung der Texte in den Gebetbüchern. Die Abweichungen sind gering, aber sie sind vorhanden und bei einem gemeinschaftlichen Gebet kann es nicht schaden, wenn man den gleichen Text sagt wie alle anderen. Es gibt verschiedene Nussachim: Aschkenasisch, Sefardisch, Sfardisch, den italienischen Nussach, Edot Hamisrach, den provenzalischen Nussach, den Nussach Ari nach Rabbiner Isaak Luria, der von der Chabad‐Bewegung verwendet wird. Deren Siddurim kommen derzeit auch verstärkt in Deutschland zum Einsatz, weil sie eine russische Übersetzung anbieten. Dem Nussach Temani begegnet man hierzulande eher selten, es ist der Ritzs der Jemeniten.

 

Für die Strömungen außerhalb der Orthodoxie kommen noch andere Varianten von Gebetbüchern hinzu: Zahlreiche Reformsiddurim, Siddurim der konservativen Bewegung und der rekonstruktionistischen Gemeinden. Ob orthodoxe oder konservative Synagogen: In Deutschland begegnet man heute vor allem einer aschkenasischen Variante, die im Rödelheimer Siddur, dem Siddur Sefat Emet, wiedergegeben wird. In chassidisch geprägten Gemeinden wird man den sefardischen (Sefardi) antreffen und bei Chabad, wie erwähnt, dem Nussach Ari im Tehillas Haschem.

 

Wer einen Zugang zum „einfachen Beten“ sucht, wird sich also zunächst damit auseinandersetzen müssen, welchem Nussach die Gemeinde oder die Familie folgt. Nicht immer ist dies deckungsgleich. Der zweite Punkt wird die Lesbarkeit sein. Handelt es sich um einen Nachdruck mit verschwommener hebräischer Schrift? Entscheidend wird dann noch sein, ob das Gebetbuch dem Beter behilflich ist durch Kommentare und Anweisungen.

 

Nach 1945 war die Wahl in Deutschland einfach, denn hier gab es faktisch nur den Siddur Sefat Emet. Gedruckt wurde dieser zum ersten Mal 1799 in Rödelheim. Diese Ausgabe wurde einer umfangreichen Überarbeitung durch Wolf Heidenheim unterzogen und hieß in der Erstausgabe Safah Berurah. Heidenheims Überarbeitungen waren nicht gering, so strich er alle Textbestandteile, die er der lurianischen Mystik zuschrieb. Einige Änderungen lassen aber den Text des Rödelheim‐Siddurs von denen der übrigen abweichen. So wurde das „Schelo asani goj“ (hebr.: der mich nicht als Nichtjuden schuf) in den morgendlichen Segenssprüchen in ein „Schelo asani nochri“. „Nochri“ meint weniger explizit „Nichtjude“ als das Wort „Goj“. Es kann auch „Fremder“ oder „entfremdete Person“ bedeuten. Zudem enthält es viele Hinweise auf den Brauch der Frankfurter jüdischen Gemeinde, was aber wohl eher an der geografischen Nähe Rödelheims zur Mainmetrolpole lag, als an der Wichtigkeit dieses Brauchs.

 

Wer hiermit den Weg in die Welt des jüdischen Gebets sucht, ist auf Hilfe angewiesen, denn der Sefat Emet präsentiert praktisch nur den Text mit wenigen Hinweisen. Wann soll man aufstehen? Welche Gesten gehören zum Gebet? Wo beginnt welcher Abschnitt? Werden häufig benutzte Texte wiederholt? Im Sefat Emet wird beispielsweise auf das Kaddisch verwiesen, doch ohne Seitenangabe. Blättern wäre also vorprogrammiert und wirft den Beter eventuell zurück.

 

Einen Durchbruch in diese Richtung machte Ende der 80er‐Jahre die Marke ArtScroll des Mesorah‐Verlages aus Brooklyn. Die englisch‐hebräischen Siddurim brachten und bringen alles mit, was derjenige sucht, der sich das jüdische Gebet erschließen möchte. Siddurim für die verschiedenen Nussach‐Varianten mit zahlreichen Anmerkungen und Kommentaren zu den verschiedenen Gebeten die klar voneinander abgeteilt waren. In jedem Text ist vermerkt, wo der Vorbeter mit Rezitation fortfährt und an welcher Stelle der Amidah man welche Bewegung zu vollführen hat. Wann geht man drei Schritte vor? Wann verbeugt man sich? Wann sitzt man, wann steht man? Eingeschaltete Texte zu bestimmten Gelegenheiten sind durch graue Kästchen klar kenntlich gemacht und mit einer genauen Beschreibung versehen. So weiß der Beter, wann er welchen Text sagen sollte. Selbst die Zitate aus Tanach und Talmud sind in den Texten des Siddurs durch Fußnoten genannt. Die Kommentare sind jedoch aus orthodox‐charedischer Sicht geschrieben, weil die Verleger des Siddurs dieser Richtung angehören.

 

Etwa zehn Jahre später erschien in der Schweiz der Siddur Schma Kolenu, welcher sich die wichtigsten Prinzipien des ArtScroll Siddurs zu eigen machte und dem Brauch des Sefat Emet folgt. Ein aufgeräumter, gut lesbarer Text, Einschübe sind ebenfalls in Kästen untergebracht und zahlreiche Anweisungen sind enthalten. Etwa zu Beginn der Amida: „Man geht drei Schritte zurück, dann drei Schritte vorwärts, betet leise die Füße nebeneinander.“ Zudem enthält er Gebete für neuere Feiertage wie Jom Haazmaut, den Segensspruch für den Staat Israel und die Zahal. Diese Texte sind nicht im Sefat Emet und nicht im ArtScroll Siddur zu finden. Auf der anderen Seite wiederum enthält „Schma Kolenu“ keine Gebete für die drei Wallfahrtsfeste – sie sind in einer speziellen Festtagsausgabe zu finden. Diese sind hingegen im Sefat Emet und im Art‐Scroll‐Siddur enthalten. Der eine enthält viele Texte, der andere ist besser strukturiert lässt aber einige Gebete vermissen. Den Königsweg zum besseren Beten gibt es also nicht, aber zumindest gibt es heute die Möglichkeit, zwischen mehreren Wegen zu entscheiden oder zwischen ihnen zu wechseln. Je nach Fortschritt.

 

 

Mehr über den Autor finden Sie hier. Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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