Der Pflock in der Wand

Der Talmud lehrt: „En Mazal LeIsrael.“ Frei übersetzt bedeutet es: „Für Israel gelten die Sterne nicht.“ Gemeint ist damit: weil Israel sich anders verhält, verläuft auch die Geschichte Israels anders.

Aus der jüdischen Überlieferung gibt es dazu eine tolle Geschichte über Rabbi Akiba. Rabbi Akiba hatte einen chaldäischen Freund, der dem Rabbi prophezeite: „An dem Tag, an dem deine Tochter heiratet, wird sie von einer Schlange gebissen werden und sterben.“

Rabbi Akiba will seine Tochter deshalb aber nicht unverheiratet lassen. Sie heiratet trotzdem. Vor der Feier wird das ganze Haus allerdings penibel gereinigt und überall nachgeschaut, damit auch ja keine Schlange in die Nähe der Braut kommt. Und tatsächlich geht der Tag vorüber, ohne dass die Tochter von Akiba von einer Schlange gebissen wird.

Dem Chaldäer ist das natürlich peinlich, auch wenn er sich freut, dass seine Prophezeiung nicht eingetroffen ist. Gemeinsam mit Rabbi Akiba rekonstruiert er noch einmal alle Vorgänge des Tages. Dabei stellen sie fest: Einmal während der Feier ist die Braut aufgestanden. Als die Hochzeitsgäste einen Bettler abwimmeln wollten, ist sie zur Tür gegangen, hat den Bettler eingeladen, mitzufeiern, ihm den Mantel abgenommen und – wie es damals Sitte war – einen kleinen Holzpflock in die Wand geschlagen, um daran seinen Mantel aufzuhängen.

Als Rabbi Akiba und der Chaldäer die Stelle untersuchen, entdecken sie, dass die Tochter mit diesem Holzpflock eine Schlange durchstochen hat, die sich gerade die Wand herunterschlängelte und vermutlich der Prophezeiung nach die Braut gebissen hätte. Dadurch, dass sie etwas Ungewöhnliches tat, anders als es üblich war und als man es von ihr erwartet hätte, ändert sie den Lauf der Geschichte. Die Sterne gelten für sie nicht.