Kraft des Gesetzes

Zukunft - Warum das Judentum nur mit Tora und Tradition Bestand hat ...

3 Min.

Rabbiner Jaron Engelmayer

gepostet auf 05.04.21

ZUKUNFT – WARUM DAS JUDENTUM NUR MIT TORA UND TRADITION BESTAND HAT

Sagt der Hausherr zum Schnorrer, der an dessen Haustür um Unterstützung bittet: »Ich kann Ihnen leider nur diese Hose anbieten – aber schauen Sie, die Hose ist noch fast neu und im besten Zustand!« Darauf erwidert der Schnorrer: »Das werde ich gern annehmen. Nur eine Bitte hätte ich noch: Wollen Sie mir diese Hose nicht abkaufen? Schauen Sie, sie ist noch fast neu und im besten Zustand …«
 
Juden wird nachgesagt, ein Verhandlungsgeschick zu haben. Auch wenn dies einem reinen Klischee entspricht, so gibt es trotzdem einen klaren Präzedenzfall in der Tora. Auch da wollte ein Teil des jüdischen Volkes, als es noch durch die Wüste wanderte, das Heilige Land – obwohl noch gar nicht in Besitz genommen – gegen ein anderes eintauschen.
 
So forderten die zwei Stämme Re’uwen und Gad von Mosche: »Wenn wir in deinen Augen Gunst gefunden haben, werde dieses Land (jenseits des Jordanflusses) deinen Knechten zum Besitz gegeben, führe uns nicht über den Jordan!« (4. Buch Moses 32, 5). Damit begannen langatmige Verhandlungen, die sich über das ganze Kapitel erstrecken.
 
SONDERBAR
 
Beim genauen Durchlesen dieses Dialogs stellen wir etwas Sonderbares fest: An dieser Diskussion waren von Anfang bis Ende lediglich die Söhne Re’uwens und Gads beteiligt (32, 1-32). Als es jedoch darum ging, das Geforderte umzusetzen, heißt es: »Und Mosche gab ihnen, den Söhnen Gads und den Söhnen Re’uwens und der Hälfte des Stammes Menasche« (32,33). Auf einmal wurde der halbe Stamm Menasche ins Geschehen mit einbezogen, ohne je Interesse gezeigt oder sich in die Gespräche eingemischt zu haben. Ganz unaufgefordert wurde er den anderen beiden Stämmen zugeteilt und mit ihnen angesiedelt. Weshalb? Was bewog Mosche zu dieser eigenmächtigen Entscheidung?
 
VOLLSTÄNDIG
 
Ramban, Nachmanides, (1194-1270) geht in seinem Kommentar auf diese Frage ein und erklärt, dass das Land jenseits des Jordans zu umfangreich war für die zwei Stämme allein, weshalb ihnen Mosche einen weiteren halben Stamm zur vollständigen Besiedlung des Gebietes mitsandte. Dies hilft uns vielleicht, den Sachverhalt besser zu verstehen; warum aber gerade der Stamm Menasche dazu auserwählt wurde, bedarf einer weiteren Klärung.
 
Wir finden einen wertvollen Hinweis darauf im Loblied der Prophetin Dewora: »Von Machir zogen die Gesetzgeber hinab « (Richter 5,14). Machir war eines der beiden Stammhäuser Menasches jenseits des Jordans (4. Buch Moses 32, 39-40). Dieses Stammhaus nun wurde von Dewora durch seine »Gesetzgeber« charakterisiert, Männer, die Tora lernen und das jüdische Gesetz auslegen. Durch diese zeichnete sich Menasche also aus. Als Mosche sah, dass Re’uwen und Gad sich auf der anderen Seite des Jordans abgesondert ansiedeln wollten, befürchtete er, die zwei Stämme würden sich in naher oder ferner Zukunft vom jüdischen Volk abtrennen und die Verbindung zu ihrem Ursprung verlieren.

VORAUSSICHT
 
Diese Befürchtung bestand keineswegs zu Unrecht, wie sich nur wenige Jahre später – noch in den Tagen seines Nachfolgers Jehoschua – herausstellte. Da kam es fast zur Abspaltung, ja beinahe sogar zum Bruderkrieg zwischen den diesseitigen und den jenseitigen Stämmen (Jehoschua 22).
 
In weiser Voraussicht, um solchem und Schlimmerem vorzubeugen, schickte Mosche den halben Stamm Menasche mit den beiden anderen Stämmen Gad und Re’uwen mit, damit Menasche die Ansiedlung jenseits des Jordans auf die feste Basis der jüdischen Werte – Tora und Traditionsbewahrung – stelle. So wollte Mosche sicherstellen, dass auch diese Stämme die Verbindung zu ihrem ethnischen und geistigen Ursprung nicht verlieren und immer ein Teil des jüdischen Volkes bleiben.
 
Dieser kluge Schritt sicherte ihren Bestand durch ihre weitere Zugehörigkeit zum jüdischen Volk und bewahrte sie davor, sich in den angrenzenden Völkern aufzulösen.
 
PARALLELE
 
Diese Einsicht findet eine bemerkenswerte Parallele zur Moderne: Als Rabbi Aharon Kotler (1891-1962) von Europa nach Amerika berufen wurde, war er sich unschlüssig, ob er dem Ruf folgen sollte.
 
Schließlich ließ er die Heilige Schrift entscheiden, indem er sie nach einem bestimmten System aufschlug und dabei auf folgenden Satz stieß: »Und Gott sprach zu Aharon: ›Geh Mosche in die Wüste entgegen!« (2. Buch Moses 4,27).
 
Rabbi Kotler verstand, dass mit Mosche in diesem Fall Rabbi Mosche Feinstein (1895-1986) gemeint war, und mit der Wüste die damals geistige Wüste Amerika angesprochen wurde. So gesellte er sich zu Rabbi Feinstein, und gemeinsam bauten sie das starke Toratreue amerikanische Judentum des 20. Jahrhunderts auf. Es basiert auf den festen Säulen des osteuropäischen Torastudiums. Die beiden geistigen Giganten brachten es mit sich und bescherten damit den Juden der USA eine geistige Blütezeit.
 
KAPAZITÄTEN
 
Auch im heutigen Deutschland, wie überall in der Welt, wo jüdische Gemeinden und Zentren neu entstehen und sich entwickeln, sind wir auf diese Verbindung zur Tora, zu unseren Gesetzen und Traditionen angewiesen. Dafür benötigen wir die geistigen Kapazitäten, Rabbiner und Lehrer, die diese lehren und vermitteln, um in dieser Entwicklung Erfolg zu haben. Nur dann können wir als jüdisches Volk eine Einheit bilden. Das ist die Basis und die richtige Investition in die Zukunft.
 
Der Autor ist Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln und Mitglied in der ORD.

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