Lust auf vegan

Auf dem Speiseplan stand frische leichte Vollwertkost. Das kulinarische Angebot der noch heilen Bibelwelt war durch und durch vegetarisch!

4 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 04.04.21

„Noah rettete die Tiere vor der Sintflut – seitdem essen wir sie“, hört sich verrückt an, ist aber so! Das Thema hat es in sich. Es sagen eigentlich alle unserer Weisen, dass der Verzehr von Lebewesen nicht gerade das Idealbild ist – alle, bis auf ganz wenige.

 

Einer dieser Weisen war Rabbi Levi ben Gerschom. Er sagt, dass auch vor der Sintflut der Verzehr erlaubt war. Aber das ist eine einzelne Meinung. Die absolute Mehrheit ist sich einig, dass es vor der Sintflut verboten war.

 

„Hiermit übergebe Ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“ (1. Buch Moses, Kapitel 1, Vers 29)

 

Wir sehen, nicht der Geruch von saftigen Rindersteaks, kross gebratenen Lammkoteletts oder zart gegrilltem Lachs zog durch den Garten Eden – auf dem Speiseplan stand frische leichte Vollwertkost. Das kulinarische Angebot der noch heilen Bibelwelt war durch und durch vegetarisch! Der Mensch hat aber kläglich versagt. Anstatt das Paradies in vollen Zügen zu genießen, wurde auf das geschaut, was ihnen nicht erlaubt wurde.

Das Faszinierende war nur für ein paar Stunden tabu! Nach ein paar Stunden wäre dann Schabbat eingetreten und somit wäre auch die Frucht vom Baum der Erkenntnis erlaubt gewesen. Aber Menschen suchen halt gern Trouble, so auch hier. Sie wurden immer grausamer. Sie verfielen den menschlichen Begierden, waren auf Diebstahl, Betrug und Raub aus. Vor allem waren die unmoralischen Geschlechtstriebe sehr stark unkontrolliert unterwegs – so schlimm, dass sogar die Tiere auf dem Gebiet verrücktspielten. Ehe und Beziehung war also ein Thema ohne den Schlüssel: die Treue. Die Leute hatten Lust auf Fleisch. Die Sintflut trat ein und hat alles Übel wieder saubergewaschen. Und es wurde dem Noach erlaubt, Fleisch zu essen! Eine Revolution.

 

„Alles Lebendige, das sich regt, soll euch zur Nahrung dienen.“ (1. Buch Moses, Kapitel 9, Vers 3)

 

Nun die Frage, warum?

 

Der Abarbanel sagt, dass es nach der Sintflut keine Pflanzen und Früchte gab, deshalb blieb ihnen nichts anderes übrig, so mussten sie Fleisch essen.

 

Abarbanel erwähnt aber auch, dass es wegen dem spirituellen Abstieg zur Folge hatte, dass dann eben über Generationen hinweg Fleisch gegessen wurde, aber das ist nicht das Idealbild. Wir haben auch über den Löwen gesprochen der ein leidenschaftlicher Fleischesser ist, doch in der Tora gibt es durchaus das Idealbild einer Welt, in der kein Lebewesen ein anderes verzehrt. Das findet man beispielsweise in der ersten Schöpfungserzählung, wo den Tieren wie den Menschen ausdrücklich nur die grünen Pflanzen zur Nahrung gegeben werden. Der Fleischverzehr war dann erst nach der Sintflut-Erzählung erlaubt, nachdem also schon einiges schiefgelaufen ist und man merkt, dass Mensch und Tier so friedlich nicht miteinander leben können und es doch viele Konflikte gibt. Allerdings werden gleich ein paar Einschränkungen gemacht, sodass man nicht über die Stränge schlägt und zu viel Fleisch ist.

 

Es ist interessant, dass dies von den ersten Kapiteln an grundgelegt ist und sich dann durch die Bibel zieht. Einerseits gibt es heute kein prinzipielles Verbot. Andererseits heißt es: Sei behutsam mit dem Fleischverzehr. Und sorge auf jeden Fall dafür, dass das Tier ein gutes Leben hat und dass es bei der Schlachtung möglichst schmerz- und angstfrei getötet wird. Darauf wird Wert gelegt.

 

Bei meiner erneuten Arbeit störte mich der Vers: „Wenn der Herr, dein Gott, dein Gebiet vergrößert, wie Er es dir zugesagt hat, und du, weil du Appetit auf Fleisch hast, sagst: Ich möchte gern Fleisch essen, dann darfst du so viel Fleisch essen, wie du möchtest.“

 

Wir sprechen hier von Appetit, aber im wortwörtlich übersetzten Sinne ist die Rede von: „Ki Teava Nafshecha Le´echol.“ Das bedeutet wörtlich, dass deine Seele ein sehr starkes Bedürfnis und Verlangen hat, also eine starke Begierde danach, Fleisch zu essen. Das Wort Teava ist im biblischen Konzept immer negativ. Der positive Umkehrschluss wäre, dass meine Seele ein sehr starkes Bedürfnis und Verlangen hat, also ein starkes Begehren hat, Gott nahe zu sein. Aber hier ist ja nicht die Rede vom positiven Umkehrschluss, sondern eben von einer negativ behafteten Begierde, die Mensch eigentlich am besten immer ausschalten sollte.

 

Raschi, der heilige Kommentator der Tora, hat das so natürlich auch verstanden und sagt uns, dass die Tora uns an dieser Stelle Ethik lehrt, wir also nicht wie Verrückte mit Lust auf den Verzehr von Fleisch losgehen sollen, sondern, wenn überhaupt, nur zu besonderen Anlässen und im Reichtum, so Raschi.

 

Fazit: Wir dürfen Fleisch essen – wer es genauer nimmt, nur unter bestimmten Umständen, aber beide sollten das Ideal in Erinnerung behalten und vor allem danach streben!

 

Wer sich also vegan oder vegetarisch ernährt, macht hier sicher etwas „Paradiesisches“. Es ist und war so von Anfang von Gott gewollt und ist auch besser so. Aber der Mensch hat mit seinem freien Willen alles in die Tone getreten, weil HaShem kein Diktator ist und es daher zuließ, dass wir heute nach dem Prinzip „Der stärke gewinnt“ leben.

Doch wenn wir endlich auf Ihn hören…, „dann werden der Wolf und das Lamm einträchtig zusammenleben; der Leopard und die Ziege werden beieinander lagern. Kalb, Löwe und Mastvieh werden Freunde und ein kleiner Junge wird sie hüten. Kuh und Bär werden miteinander weiden. Ihre Jungen werden nebeneinander ruhen. Der Löwe wird Stroh fressen wie das Vieh. Der Säugling spielt am Schlupfloch der Otter. Ja, ein Kleinkind steckt seine Hand in eine Giftschlangenhöhle. Auf meinem ganzen heiligen Berg wird niemand mehr etwas Böses tun oder Unheil stiften, denn wie das Wasser das Meer füllt, so wird die Erde mit der Erkenntnis des HERRN erfüllt sein.“

 

Du willst ein Leben wie im Paradies? Aber nicht der Geruch von saftigen Rindersteaks, kross gebratenen Lammkoteletts oder zart gegrilltem Lachs zog durch den Garten Eden. Auf dem Speiseplan stand frische leichte Vollwertkost. Das kulinarische Angebot der noch heilen Bibelwelt war durch und durch vegetarisch!

 

Gott legt uns damit ins Herz, dass Er nicht einfach irgendeine Utopie entwerfen will, sondern Er will erklären, wieso die Welt ist, wie sie heute ist.

Wieso gibt es Gewalt unter Menschen? Wieso fressen Löwen Antilopen? Wieso essen Menschen Fleisch? Das war schon zur Abfassung der Geschichte damals so, und das ist heute noch so. Und das möchte Gott uns mit dieser eigentlich verrückten Geschichte „Noah rettete die Tiere vor der Sintflut – seitdem essen wir sie“ erklären.

 

Wir müssen uns fragen, wie es dazu kam. Die Tiere sind also unsere „Wecker“, damit wir aus unserem Tiefschlaf erwachen.

 

 

David Kraus (M.A in Psychologie und Integrativer Psychotherapie | Dipl. Paar- und Familientherapeut | Dipl. Pädagogischer Elternberater) ist Oberrabbiner der Jüdisch-Chassidischen Kultusgemeinde Breslev Deutschland / Israel mit Sitz in Hanau. David Kraus finden Sie bei Facebook.

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

1. avishai

1/12/2022

WOW

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.