»Nimm für Mich einen Beitrag«

Die Steuer, die die Israeliten für das Heiligtum gaben, war keine Spende, sondern eine Investition

4 Min.

Rabbiner Zsold Balla

gepostet auf 15.03.21

Die Steuer, die die Israeliten für das Heiligtum gaben, war keine Spende, sondern eine Investition

 

Vor etwa einem Jahr berichteten die Medien darüber, dass einer der größten Online‐Shops seinen Mitarbeitern ein besonderes Angebot unterbreitet hatte: Wer bereit war, seinen Arbeitsplatz aufzugeben, sollte bis zu 5000 US‐Dollar erhalten. Ziel des Angebots war es, diejenigen auszusortieren, die nicht wirklich gern in dem Unternehmen arbeiten. Man wollte keine unglücklichen Angestellten.
Der Autor des Berichts stellte fest, dass das Angebot eine noch größere Wirkung auf diejenigen haben kann, die sich fürs Bleiben entscheiden. Ian Ayres, Professor an der Yale Law School, schlug vor, dass alle Mitarbeiter, die das Angebot in Betracht zogen, aber sich entschieden haben, zu bleiben, gewissermaßen 5000 Dollar in ihre Karriere bei der Firma investiert haben. So verhelfe das Angebot dem Unternehmen nicht nur, sich unzufriedener Mitarbeiter zu entledigen, sondern es schafft Mitarbeiter, die langfristig in dem Unternehmen Karriere machen wollen.

 

FRAGE

 

In Zusammenhang mit unserem Wochenabschnitt wird immer wieder die Frage aufgeworfen, warum es heißt »Nimm für Mich einen Beitrag« (2. Buch Mose 25,2) und nicht »Gib Mir einen Beitrag«.

 

Das Gebiet der positiven Psychologie ist in den vergangenen zehn Jahren sehr populär geworden.

 

Der israelische Rabbiner Elijahu Schlesinger meint, G’tt habe sich gewünscht, dass das jüdische Volk in die Tora investiert. Er wollte, dass sie Ihm aus Liebe dienen. Sie haben die Tora nicht deshalb akzeptiert, weil Er sie gezwungen hat, sondern sie haben in diese Idee investiert, weil sie persönlich daran interessiert waren. Also war ihre Geldspende kein Geschenk, sondern eine Investition. Deshalb ist das Verb »nehmen« am besten geeignet.

 

Nachmanides, Rabbi Mosche ben Nachman (1194–1270), sieht in dieser Geldanlage den eigentlichen Akt, das jüdische Volk zu einer Nation zu machen. Vor der Abgabe des Beitrags waren es nur einzelne Individuen, die durch ein gemeinsames Ziel lose miteinander verbunden waren. Mit der Investition schufen sie jedoch ein Band, das wesentlich weiterreicht, das Band der Nationalität.

Aber auch nach dem eingebrachten Beitrag müssen wir herausfinden, wie wir weiter funktionieren können. Dazu brauchen wir »Simcha«, Glück. Vielleicht kann ein anderes Konzept, das in unserer Parascha erwähnt wird, den Schlüssel liefern. Dieses Konzept ist das Schaubrot, »Lechem Hapanim«.

Es gibt viel über Glück zu sagen. Sehr populär geworden ist in den vergangenen zehn Jahren das Gebiet der positiven Psychologie. Einer ihrer führenden Vertreter, der amerikanische Autor Shawn Achor, hat festgestellt, dass wir dazu neigen, das Glück falsch zu betrachten. Wir glauben, dass Erfolg zum Glück führt, obwohl es in der Tat das Glück ist, das zum Erfolg führt. Wie also strebt man nach Glück?
Der amerikanische Autor Shawn Achor meint, dass Glück auch durch Konsequenz entwickelt wird.

 

SCHAUBROT

 

Vielleicht lässt sich das anhand des Schaubrots illustrieren. In unserer Parascha lernen wir, dass es ein Erfordernis von »jederzeit« (»tamid«) gibt, wenn es um das Schaubrot geht: »Und du sollst jederzeit vor Mir auf den Tisch Schaubrot legen« (2. Buch Mose 25,30). Angeblich bedeutet dies, dass das Schaubrot ununterbrochen auf dem Schulchan, dem Tisch im Tempel, vorhanden sein muss.
Dennoch finden wir eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Rabbinern im Talmud (Menachot 99b) über das Verfahren zum allwöchentlichen Austauschen des Schaubrotes. Nach Angaben der Weisen wurde das alte Brot‐Set vom Tisch weggeschoben und durch das neue ersetzt, und zwar so, dass immer Schaubrot auf dem Tisch lag.

Rabbi Jossi ist jedoch der Meinung, dass dies nicht notwendig ist. Auch wenn man morgens das alte Set entfernt und abends durch das neue ersetzt, gelte dies immer noch als »jederzeit«, so Rabbi Jossi.

Faszinierend ist der anschließende Kommentar des Talmuds. »Rabbi Ami sagte: Aus den Worten von Rabbi Jossi lernen wir, dass, selbst wenn ein Mensch nur ein Kapitel am Morgen und ein Kapitel am Abend lernt, die Mizwa von ›Dieses Buch der Tora soll deinen Mund nicht verlassen‹ (Jehoschua 1,8) erfüllt ist.«

So wie das Schaubrot trotz der Pausen als »immer« vorhanden betrachtet werden kann, so kann also auch die Tora »immer in deinem Mund« sein, solange man einen Tagesablauf des Torastudiums hat.

Rabbi Josef Schaul Nathanson (1808–1875) wirft ein: »Es gibt viele Gebote, die eine ›jederzeit‹-Anforderung implizieren, die allerdings nicht rund um die Uhr gilt. Nehmen wir zum Beispiel die Menora und den Korban Tamid, das tägliche Opfer. Warum hat Rabbi Ami dann für seinen Kommentar die Meinung von Rabbi Jossi gewählt, obwohl die gegensätzliche Meinung von Rabbi Jossi nicht einmal der akzeptierten vorherrschenden Meinung entspricht?

Rabbi Nathanson schlägt vor, dass Rabbi Ami die Meinung von Rabbi Jossi gezielt genutzt hat, weil sie einen einzigartigen Punkt veranschaulicht: »Tamid« (»immer«) kann entweder konsequent oder konstant bedeuten. Für die meisten Gebote bedeutet es Konsequenz, und es gibt keine Rund‐um‐die‐Uhr‐Anforderung.
Wir haben viele Möglichkeiten, unsere Ressourcen einzusetzen, sei es Geld oder Zeit.

 

KONSEQUENZ

 

Für das Schaubrot bedeutet »tamid« Konstanz – und dennoch behauptet Rabbi Jossi, dass man Konstanz durch Konsequenz erreichen kann. Auch wenn das Schaubrot nicht da ist, ist es so, als wäre es da.

Rabbi Ami schließt daraus, dass das Gleiche für das Lernen der Tora gilt. Es gibt eine Konstanz‐Anforderung für uns, sich ununterbrochen mit der Tora zu beschäftigen. Die Tora soll unsere ständige Richtschnur im Leben zu sein. Diese Beständigkeit kann nur durch Konsequenz erreicht werden. Selbst wenn das Buch geschlossen ist, sind wir immer noch an der Tora beteiligt, durch die Art und Weise, wie wir unser Leben führen.
Der amerikanische Autor Shawn Achor meint, dass Glück auch durch Konsequenz entwickelt wird. Wenn wir konsequent freundlich sind, unser Handeln konsequent reflektieren und uns auf »Hakarat Hatov« – Dankbarkeit – konzentrieren, können wir glückliche Menschen werden.

Wir haben viele Möglichkeiten, unsere Ressourcen einzusetzen, sei es Geld oder Zeit. Wenn wir unseren Einsatz als Belastung oder Verpflichtung betrachten, dann verpassen wir einige der größten Vorteile. Wenn wir ihn als Investition betrachten, dann kann es unseren Dienst an G’tt verbessern. Und wenn wir Konsequenz schaffen, werden wir in der Lage sein, unsere positive Einstellung jederzeit aufrechtzuerhalten.

 

 

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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