Proselyten aus chassidischer Sicht

Viele werden erstaunt sein zu erfahren, dass man in chassidischen Kreisen Gerim mit dem Phänomen der Reinkarnation in Verbindung bringt.

3 Min.

Prof. Dr. Yizhak Ahren

gepostet auf 05.04.21

Die Tora rechnet damit, dass nichtjüdische Frauen und Männer zum Judentum übertreten werden. Vier der insgesamt 613 Gebote schreiben vor, wie jüdische Menschen sich Proselyten (hebr.: Gerim) gegenüber zu verhalten haben. Im Talmud (Bava Metzia 59 b) heißt es, dass die Tora an 36 Stellen (nach anderer Ansicht an 46 Stellen) davor warnt, Konvertiten unkorrekt zu behandeln. Eine Fülle von Literatur über Gerim liegt bereits vor. Jetzt ist ein umfangreiches Buch in englischer Sprache erschienen, das die Ansichten chassidischer Meister über das Phänomen des Übertritts zur jüdischen Religion referiert.

Der Verfasser, Dov ben Avraham, ein in Amerika aufgewachsener Konvertit, steht dem Sudilkover Rebben nah, Rabbiner Aryeh Wohl, der zum vorliegenden Werk eine Einleitung beigesteuert hat. Auch andere chassidische Rabbiner wie u.a. der in Jerusalem residierende Bostoner Rebbe, Rabbiner Meir Horowitz, und der Bratzlawer Rabbiner Lazer Brody, loben Dov ben Avrahams Arbeit. Er hat viel Material aus zahlreichen Quellen zusammengetragen und nach Themen geordnet. Zehn Seiten lang ist das Inhaltsverzeichnis.

Viele werden erstaunt sein zu erfahren, dass man in chassidischen Kreisen Gerim mit dem Phänomen der Reinkarnation in Verbindung bringt. So lehrte Rabbi Zadok HaKohen aus Lublin, dass die aus der Bibel bekannte Ruth von Geburt an eine jüdische Seele besaß, die aber  im Körper einer Moabiterin inkarniert war; Ruth ist der Prototyp einer Frau, die ihren Weg zum Judentum fand. Dov ben Avraham bringt eine längere seltsame Erzählung über den Baal Schem Tow, den Begründer der chassidischen Bewegung; das rätselhafte Geschehen erweist sich als eine Reinkarnationsgeschichte von Gerim.

Einige Texte diskutieren die verschiedenen Aspekte eines Übertritts zum Judentum. Dov ben Avraham hat  praktische Tipps für Gerim und solche, die es noch werden möchten, zusammengetragen. In einem solchen Prozess gibt es vielerlei Dinge zu bedenken, und es ist daher ratsam, sich beraten zu lassen. Zwar kann kein Buch eine persönliche Beratung ersetzen, aber es kann helfen, die richtigen Fragen zu erkennen und manche Irrwege zu vermeiden.

"Gerim in Chassidic Thought" ist im Selbstverlag erschienen, kann aber problemlos über Amazon bestellt werden. Zur Überraschung des Autors wollten wichtige jüdische Verlage sein Werk nicht in ihr Programm aufnehmen. In den Absagebriefen wurde der Inhalt gelobt; ausschlaggebend aber war die Befürchtung, das Zielpublikum des Buches sei zu klein. Die Verleger dachten wohl an die geringe Zahl der Gerim, die in Wirklichkeit gar nicht so klein ist. Ohne Zweifel ist das Buch aber nicht nur für Gerim von Interesse, sondern ebenfalls für geborene Juden. Oft wird die Frage gestellt, warum Nichtjuden die vielen Gebote der Tora auf sich nehmen wollen. In Dov ben Avrahams Buch findet man eine Antwort auf diese Frage in der Form einer Reihe von Konversionsgeschichten.

Aus dem vorliegenden Band kann der Leser sowohl über die jüdische Weltanschauung als auch über einige religionsgesetzliche Fragen viel lernen. Ein Fehler ist mir aufgefallen, der in der nächsten Auflage korrigiert werden sollte; ein Bibelvers (Leviticus 23,16) wird falsch ausgelegt. Der Autor meint, dass in der Zeit des Tempels das Omer der Schwingung mehrere Wochen lang täglich dargebracht wurde – tatsächlich wurde es nur ein einziges Mal gebracht.

Die Tora verlangt von Juden, dass sie Gerim lieben sollen (siehe Deuteronomium 10,19). Ist es leicht oder schwer, dieses Gebot zu erfüllen? Es kommt auf den jeweiligen Fall an. Erfahrungsgemäß sind manche Proselyten in der Erfüllung der Tora- Vorschriften geradezu vorbildlich, und es ist nahezu unmöglich, sie nicht zu bewundern und zu lieben. Einzelne Gerim leben aus Prinzip nicht observant und halten es für ihre Aufgabe, die jüdische Tradition radikal zu reformieren – durch ein solches Verhalten machen sie es gesetzestreuen Juden schwer (oder sogar unmöglich), sie wirklich zu lieben. Die meisten Fälle sind auf dem Spektrum zwischen den zwei Polen einzuordnen.

Gerim  spielten in der Vergangenheit eine nicht unwichtige Rolle; der Prophet Owadia z. B. war ein Konvertit. In unserer Zeit gibt es Proselyten in fast jeder Gemeinde und wiederkehrende Debatten über Aufnahmemodalitäten. Die im hier angezeigten Band referierten Lehren von Rabbi Nachman aus Breslev über Gerim haben an Aktualität nicht verloren.

 

Dov ben Avraham, Bnei Avraham Ahuvecha: Gerim in Chassidic Thought, 2012. ISBN-10:1470014521. 320 Seiten, $ 14,95.

 

 

Der Autor ist Psychologe und hat an der Universität Köln gelehrt.

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