Tradition

Die Namensgebung wird häufig durch die Tradition der Vorfahren bestimmt.

3 Min.

Rabbiner Raphael Evers

gepostet auf 04.04.21

Wie man dich nennt, so wirst du

Was es im Judentum mit der Namensgebung von Kindern auf sich hat.

Der Talmud (Joma 83b) erzählt, wie Rabbi Meir den Charakter von Menschen anhand ihrer Namen analysierte. Rabbi Elijahu Dressler (1892–1953) meint, dass ein Neugeborenes nicht rein zufällig einen Namen bekommt. Der Name, den ihm die Eltern geben, gilt als eine Nevu’a Ktana, eine kleine Prophezeiung, da das Wesen des kleinen neuen Menschen in seinem Namen zum Ausdruck kommt. Deshalb gelten so besonders viele Minhagim (Bräuche) bei der Namensgebung, die offenbar alle auf mystischen Prinzipien beruhen.

 

 

VORFAHREN

 

Die Namensgebung wird häufig durch die Tradition der Vorfahren bestimmt. Üblicherweise wird ein Kind nach einem verstorbenen Familienmitglied oder nach einer prominenten Persönlichkeit aus der jüdischen Geschichte benannt. Der Talmud (Rosch Haschana 18a) schreibt dazu: »Haben Sie jemals jemanden gesehen, der sein Kind nach Pharao, Sisera oder Sancherib benannt hatte? Man benennt nach Awraham, Jizchak oder Jakow.«

 

Einen anderen Anknüpfungspunkt für die Wahl eines Namens bildet der Zeitpunkt im jüdischen Kalender, an dem das Kind geboren wurde. Manche geben einem Kind, das am Schabbat geboren wurde, den Namen Schabtai. Dieser Name ist jedoch nicht mehr gebräuchlich, wahrscheinlich seit dem Vorfall mit dem falschen Messias Schabtai Zwi im 17. Jahrhundert.

 

Ein Chanukka-Kind kann jedoch ohne Weiteres den Namen Mattitjahu erhalten, denn so hieß der Anführer der Makkabäer beim Aufstand gegen die Hellenisten. Ein Purim-Kind heißt Mordechai oder Esther. Ein Kind, das an Jom Kippur zur Welt kommt, wird schon mal Rachamim genannt – Barmherzigkeit –, und ein Kind, das an Tischa beAw geboren wird, dem nationalen Trauertag zur Erinnerung an die Zerstörung der beiden Tempel, heißt Menachem – der Tröster.

 

Im Laufe der Zeit sind auch nichtjüdische Namen in Mode gekommen, vor allem bei Mädchen. So ist der jiddische Name Schprinse eine Verbiegung des französischen Princesse oder Esperance. Jungennamen wie Abba, Bär, Mendel oder Mechel sind entweder aramäischen Ursprungs oder jiddische Verbiegungen und Übersetzungen hebräischer Namen. Auch die Gelehrten, die im Talmud vorkommen, haben häufig keine Namen aus der Tora: Abaji, Rav, Rawa, Rawjena, Rabba, Schammai, Zejira, Pappa und Chisda.

 

Eine besondere Geschichte betrifft den Namen Alexander: Nachdem sich König Alexander der Große bei seinem Besuch des Tempels in Jerusalem vor G’tt niedergeworfen hatte, soll ihm der damalige Hohepriester eine Zusage gegeben haben: Alle Jungen, die in dem damaligen Jahr geboren werden, erhalten in dankbarer Erinnerung an den Besuch und zur Ehre des Königs den Namen Alexander.

 

Ein Junge erhält seinen Namen bei der Brit Mila, der Beschneidung. Auch dieser Brauch geht nicht eindeutig aus der rabbinischen Literatur hervor. Aus der Tora (1. Buch Mose 21, 3–4) scheint sich das Gegenteil zu ergeben: »Und Awraham nannte seinen Sohn, der ihm geboren wurde, Jizchak, (und erst danach) beschnitt Awraham seinen Sohn Jizchak, als er acht Tage alt war.«

 

 

BRIT MILA

 

In den Sprüchen von Rabbi Elieser (48) scheint es jedoch, dass es im jüdischen Volk schon recht früh üblich war, dem Jungen bei der Beschneidung seinen Namen zu geben: »Mosche wurde am achten Tag beschnitten und Jekuti’el genannt« (Mosche hat zehn Namen).

 

Gelegentlich muss die Beschneidung aus medizinischen Gründen für kürzere oder längere Zeit verschoben werden. Dann nennt der Vater bei erster Gelegenheit, wenn er zur Tora aufgerufen wird, den Namen seines Sohnes. Andere pflegen den Brauch, hiermit zu warten, bis die Beschneidung wirklich erfolgt, auch wenn das erst einige Wochen später der Fall sein sollte. Wenn es einen Erstgeborenen (Bechor) betrifft, den man am 31. Tag nach der Geburt quasi freikaufen muss, gibt man dem Kind beim Pidjon Ha-Ben, der Auslösung, seinen Namen.

 

 

MÄDCHEN

 

Ein Mädchen erhält seinen Namen, sobald der Vater nach seiner Geburt zum ersten Mal zur Tora aufgerufen wird. An einigen Orten ist es Brauch, bis zum ersten Schabbat nach der Geburt damit zu warten. Andere warten bis zum Schabbat, an dem die Mutter wieder in der Lage ist, die Synagoge zu besuchen. Man sollte aber nicht länger als 30 Tage warten.

 

Bei den Sefarden ist die Namensgebung eines Mädchens eine regelrechte Zeremonie. Man nennt sie Sewat Habat. Einige verbinden damit, im Anschluss ein festliches Mahl einzunehmen. Unter Aschkenasim war dies bis vor Kurzem allerdings nicht bekannt. In mystischen Kreisen bedauert man es, wenn dieser Brauch fehlt und man nicht gemeinsam isst, denn die Seele vereint sich bei der Namensgebung mit dem Körper. Heutzutage feiert man oft ein Simchat Habat.

 

Wenn ein nichtjüdisches Kind von jüdischen Eltern adoptiert wird, erhält es seinen jüdischen Namen beim Übertritt zum Judentum. Für einen Jungen bedeutet das, dass er seinen Namen nicht schon bei der Beschneidung erhält, sondern erst, nachdem er in der Mikwe ganz unter Wasser getaucht war. Wenn die Adoptiveltern die Verschiebung der Namensgebung als unangenehm empfinden, erhält das Kind seinen Namen bereits bei der Beschneidung.

 

Bei adoptierten Mädchen erfolgt die Namensgebung grundsätzlich erst nach dem Tauchvorgang in der Mikwe, der meistens erst im zweiten Lebensjahr vollzogen wird.

 

 

Der Autor ist Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD). Dieser Artikel erschien in der Jüdischen Allgemeinen.

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