Wartezeit

Die Wartezeit zwischen Fleischig und Milchig - warum muss man 6 Stunden zwischen dem Verzehr von Fleischigem und Milchigem warten?

3 Min.

Rabbiner Schlomo Aviner

gepostet auf 05.04.21

Die Wartezeit zwischen Fleischig und Milchig

Warum muss man sechs Stunden zwischen dem Verzehr von Fleischigem und Milchigem abwarten? Das ist eine rabbanitische Verordnung. Nach Maimonides lautet die Erklärung, weil Fleischreste zwischen den Zähnen verbleiben und diese dann mit Milchigem zusammen gegessen würden, aber nach sechs Stunden gelten sie als "verfault". Wenn man also später als sechs Stunden noch Fleischreste zwischen den Zähnen findet, hindert das nicht am Verzehr von Milchigem. Wer aber Fleisch nur (vor)gekaut, aber nicht geschluckt hat, muss demnach auch sechs Stunden warten. Nach dem Tur (Vorgänger des "Schulchan Aruch") aber liegt der Grund für die Wartezeit darin, dass während sechs Stunden immer noch der Fleischgeschmack aus dem Magen "hochkommt". In diesem Fall muss auch jemand warten, der das Fleisch gar nicht gekaut hatte, sondern im Ganzen herunterschluckte (S.A., J.D. §89).

Wenn jemand aber nur ein fleischiges Gericht abschmeckte? Wer nur kostet und wieder ausspuckt, ohne zu kauen, braucht nicht zu warten, da er weder Fleisch zwischen den Zähnen noch im Magen hat.

Ist das Gesetz strenger bei jemandem, der Plomben oder Löcher in den Zähnen hat, oder eine Zahnprothese? Nein, das gleiche Gesetz von sechs Stunden.

Sind damit genau sechs Stunden gemeint oder darf es auch etwas weniger sein? Es gab Autoritäten, die auf fünf oder fünfeinhalb Stunden erleichterten, es findet sich nur keine klare Quelle dafür. Alle Zeitangaben, die uns unsere Weisen vorschrieben, sind exakt, so wie die Zeit, in der das Schma-Gebet oder die Schmone-Esre gebetet werden müssen. Wem aber sein Rabbiner fünf Stunden vorschrieb, handele danach. Ebenso, wenn eine genaue und verantwortlich überlieferte Familientradition besteht, die auf einer rabbanitischen Entscheidung beruht.

Braucht man nach dem Verzehr von Geflügel weniger lang zu warten? Zwar beruht das Verbot von Geflügel in Milch im Gegensatz zu anderem Fleisch nicht auf einem Toraverbot, sondern auf einer rabbanitischen Weisung, es gibt aber keine Grundlage dafür, weniger lang zu warten.

Wie sieht es mit einer fleischigen Speise aus, die keine Fleischstücke enthält, z.B. Suppe oder mit Fleisch gekochte Kartoffeln? Auch danach muss man sechs Stunden warten, nach der Regel, dass der "Geschmack" der Sache selbst gleiche.

Von wann ab rechnen die sechs Stunden? Es gibt eine strengere Ansicht, die ab Ende der Mahlzeit rechnet, die landläufige Ansicht aber rechnet ab Ende des tatsächlichen Verzehrs.

Gibt es eine Grundlage für den Brauch der aus Deutschland und Österreich stammenden Juden, nur drei Stunden zu warten, und holländische Juden nur eine Stunde? Diese folgen der Ansicht von Rabbiner Moscheh Isserles (Verfasser der besonders für aschkenasische Juden geltenden Anmerkungen zum "Schulchan Aruch"). Im Talmud steht nichts von sechs Stunden, sondern wenn man eine fleischige Mahlzeit gegessen hat, darf man milchig erst bei der nächsten Mahlzeit essen. Der Alfassi-Kommentar (Rif) zum Talmud erklärt, die Zeit für die "nächste Mahlzeit" hänge von den festen Essensgewohnheiten ab, d.h. nach sechs Stunden. Der Tossafot-Kommentar hingegen erklärt dies bezogen auf das individuelle Verhalten, d.h., wer Fleischiges aß, spreche den Tischsegen, räume den Tisch ab, reinige Hände und Mund, und darf dann gleich Milchiges essen. Nach dieser Auslegung entschied Rabbiner Isserles, dass man nach Fleischigem nur eine Stunde zu warten brauche, aber nicht sofort im Anschluss Milchiges essen darf, immerhin ist trotzdem eine Stunde abzuwarten, und so hielten es die Juden aus Holland.

Demgegenüber hielten es die Juden aus Deutschland strenger, nämlich drei Stunden, denn sowieso wartet man drei Stunden von Mahlzeit zu Mahlzeit. Alle anderen Juden aber, ob Aschkenasim oder Sfaradim, Jemeniten oder Äthiopier usw. müssen sechs Stunden warten.

Wie sollen sich Eheleute verhalten, die vor der Ehe unterschiedlichen Traditionen folgten? In allen solchen Fällen nimmt die Frau den Brauch des Mannes an, ob zur leichteren oder zur schwereren Seite. Manche verlangen Hatarat Nedarim (Aufhebung des Eides; die Familientradition wird wie ein von den Vorfahren aufsichgenommener Eid angesehen), doch das ist in diesem Fall nicht nötig. Es gleicht vielmehr der Regelung für jemanden, der an einen anderen Ort zieht und die dort üblichen Bräuche annehmen muss, ob zur leichteren oder zur schwereren Seite. Der Grund dafür liegt in der Wahrung des Hausfriedens, denn unterschiedliche Bräuche können zu Spannungen und Unannehmlichkeiten führen, und auch zu Problemen bei der Kindererziehung.

Wie lange muss ein Kranker warten? Ein Kranker, der milchig nach fleischig essen muss, braucht nur eine Stunde zu warten.

Und ein Kind? Ein Kind vor der Bar/Bat-Mitzva braucht überhaupt nicht zu warten, allerdings sollte man es so früh wie möglich daran gewöhnen. Manche Rabbiner stellten Zeittafeln auf, wie viel Stunden in welchem Alter, doch nach dem Buchstaben des Gesetzes muss man dem Kind die bestmögliche Erziehung im Einklang mit dessen Fähigkeiten angedeihen lassen. Wenn ein Kleinkind z.B. nur mit seiner Milchflasche einschläft und es aber gerade Fleisch gegessen hat, darf man ihm Milch geben.

Wie lange muss man nach Milchigem warten, bis man Fleischiges essen darf? Überhaupt nicht, es reicht, die Hände zu waschen und die Zähne zu putzen. Aschkenasim warten sechs Stunden nach dem Genuss von "hartem Käse", doch damit sind nur bestimmte teure Käsesorten mit einem sehr scharfen Geschmack gemeint. Nach dem Verzehr von den heute üblichen gelben Käsesorten braucht man nicht zu warten.
 

Der Autor ist Oberrabbiner von Bet El und Rosch Jeschiwa von "Ateret Kohanim/Jeruschalajim" in der Jerusalemer Altstadt, sowie Mitglied bei KimiZion.

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