Jossef und seine Träume

Jossef wird als Sklave verkauft - Jossef in Gefangenschaft - Pharaos Träume - Jossef wird Stellvertreter des Pharaos - Jossefs Brüder reisen nach Ägypten ...

22 Min.

Rabbiner David Kraus

gepostet auf 05.04.21

Die Geschichte von Jossef und seinen Träumen

 

Jossef war 17 Jahre alt. Er hütete häufig gemeinsam mit seinen Halbbrüdern, den Söhnen von Bilha und Silpa, die väterlichen Schaf- und Ziegenherden. Doch Jossef hinterbrachte es seinem Vater, wenn sie etwas Schlechtes taten. 

 

Jakob liebte Jossef mehr als seine anderen Söhne, weil er ihm erst im Alter geboren worden war. Deshalb ließ er Jossef eines Tages ein prächtiges Gewand anfertigen. Seine Brüder hassten Jossef, weil sie merkten, dass ihr Vater ihn lieber hatte als sie, und redeten kein freundliches Wort mehr mit ihm.

 

Eines Nachts hatte Jossef einen Traum, den er seinen Brüdern erzählte. Da hassten sie ihn noch mehr. »Hört, was ich geträumt habe«, begann er. »Wir waren draußen auf dem Feld und banden das Getreide in Garben zusammen. Meine Garbe stellte sich auf und blieb stehen. Eure Garben scharten sich um sie und verneigten sich vor ihr!« »Du willst also König werden und über uns herrschen?!«, verhöhnten ihn seine Brüder. Und sie hassten ihn umso mehr wegen seines Traumes und dem, was er gesagt hatte. 

 

Später hatte Jossef einen weiteren Traum. Auch diesen erzählte er seinen Brüdern. »Ich träumte«, sagte er, »die Sonne, der Mond und elf Sterne verneigten sich vor mir!« Diesen Traum erzählte er nicht nur seinen Brüdern, sondern auch seinem Vater, und dieser wies ihn deswegen zurecht. »Was für einen Traum hast du da gehabt?«, fragte er. »Sollen deine Mutter, deine Brüder und ich uns etwa vor dir verneigen?« Jossefs Brüder waren eifersüchtig auf Jossef. Aber sein Vater dachte über den Traum nach. 

 

Eines Tages, als Jossefs Brüder fortgegangen waren, um die Herden ihres Vaters in der Nähe von Sichem zu weiden, sprach Jakob zu Jossef: »Deine Brüder sind mit den Herden in der Nähe von Sichem. Ich werde dich zu ihnen schicken.« »In Ordnung«, antwortete Jossef. »Geh und sieh nach, wie es deinen Brüdern und den Tieren geht«, sagte Jakob. »Dann komm zurück und berichte es mir.« So schickte Jakob ihn aus dem Hebrontal nach Sichem. Als Jossef dort auf den Feldern umherirrte, traf er einen Mann. »Was suchst du?«, fragte dieser ihn. »Ich suche meine Brüder und ihre Herden«, antwortete Jossef. »Kannst du mir sagen, wo sie sind?« »Ja«, sagte der Mann, »aber sie sind weitergezogen. Ich habe gehört, wie deine Brüder sagten, dass sie nach Dotan ziehen wollten.« Jossef folgte seinen Brüdern nach Dotan und fand sie dort.

 

 

– Jossef wird als Sklave verkauft –

 

Jossefs Brüder sahen Jossef bereits von weitem kommen. Noch bevor er bei ihnen war, fassten sie den Entschluss, ihn umzubringen. »Da kommt ja der Träumer!«, sagten sie höhnisch zueinander. »Los, wir töten ihn und werfen ihn dann in eine der Zisternen. Anschließend erzählen wir, ein wildes Tier habe ihn gefressen. Dann werden wir ja sehen, was aus all seinen Träumen wird!« Als Ruben das hörte, wollte er Jossef helfen. »Lasst ihn am Leben«, sagte er. »Vergießt kein Blut! Werft ihn stattdessen lebendig in diese Zisterne hier in der Wüste. Aber tut ihm nichts an.« Insgeheim jedoch plante Ruben, Jossef zu retten und ihn zu seinem Vater zurückzubringen. 

 

Als Jossef bei ihnen ankam, zogen sie ihm sein schönes Gewand aus und warfen ihn in die Zisterne. Es war kein Wasser in der Zisterne. Dann setzten sie sich zum Essen. Auf einmal entdeckten sie eine Karawane, die von Gilead her auf sie zukam. Es war eine Gruppe ismaelitischer Händler, die Tragakant, Balsamharz und Ladanharz nach Ägypten brachte. Da sagte Juda zu den anderen: »Was haben wir davon, wenn wir unseren Bruder töten und die Tat vertuschen? Lasst uns Jossef an diese ismaelitischen Händler verkaufen. Wir wollen uns nicht an ihm vergreifen, schließlich ist er unser Bruder, unser eigen Fleisch und Blut!« Seine Brüder waren einverstanden. 

 

Also warteten sie, bis die Händler da waren. Dann holten sie Jossef aus der Zisterne und verkauften ihn für 20 Schekel Silber an die Ismaeliter, die ihn mit nach Ägypten nahmen. Als Ruben wiederkam und entdeckte, dass Jossef fort war, zerriss er seine Kleider. Er ging zu seinen Brüdern und rief: »Der Junge ist fort! Was soll ich jetzt tun?« Jossefs Brüder schlachteten einen Ziegenbock, holten das prächtige Gewand von Jossef und tauchten es in das Blut. Dann brachten sie es ihrem Vater. »Wir haben das hier gefunden«, logen sie. »Sieh es dir genau an. Das ist doch Jossefs Gewand, oder nicht?« Als der Vater es sich genau angesehen hatte, rief er: »Ja, es ist das Gewand meines Sohnes. Ein wildes Tier muss ihn gefressen haben. In Stücke gerissen wurde Jossef, in Stücke gerissen!« Jakob zerriss seine Kleider und wickelte sich ein grobes Tuch um seine Hüften. Lange Zeit trauerte er um seinen Sohn. Seine ganze Familie versuchte ihn zu trösten, aber Jakob wollte sich nicht trösten lassen. »Ich werde vor Trauer um meinen Sohn sterben!«, weinte er. Und er trauerte weiter um seinen Sohn.

 

Die Händler verkauften Jossef in Ägypten an Potifar, einen hohen Bediensteten des Pharaos, den Oberbefehlshaber der königlichen Leibwache. Dieser kaufte ihn von den ismaelitischen Händlern. Der HERR half Jossef und ließ ihm alles gelingen, während er im Haus seines ägyptischen Herrn arbeitete. Potifar bemerkte, dass der HERR mit Jossef war und ihm in allem, was er unternahm, Erfolg schenkte. Deshalb fand er seine Gunst und wurde Potifars persönlicher Diener. Schon bald übertrug Potifar Jossef die Aufsicht über sein Haus und die Verwaltung seines gesamten Besitzes. 

 

Von jenem Tag an segnete der HERR Potifar um Jossefs willen. Alle Arbeiten im Haus gelangen, die Ernte fiel gut aus und sein Viehbestand vergrößerte sich ständig. Deshalb gab Potifar Jossef Vollmacht über seinen ganzen Besitz. Er kümmerte sich in seinem Haus um nichts mehr, außer um sein eigenes Essen. Jossef war ein gut aussehender junger Mann. Daher fing Potifars Frau an, ihn zu begehren und forderte ihn auf, mit ihr zu schlafen. Doch Jossef weigerte sich. »Mein Herr vertraut mir in allem, was sein Hauswesen betrifft. Er hat in diesem Haus nicht mehr Macht als ich! Er hat mir nichts vorenthalten außer dir, denn du bist seine Frau. Wie könnte ich so etwas tun? Es wäre eine große Sünde gegen Gott.« Obwohl sie ihn Tag für Tag bedrängte, weigerte er sich, mit ihr zu schlafen. Eines Tages jedoch war keiner der anderen Sklaven da, während er seiner Arbeit im Haus nachging. Da packte sie ihn an seinem Gewand und verlangte: »Schlaf mit mir!« Jossef riss sich los, ließ sein Gewand in ihrer Hand zurück und floh aus dem Haus. Als sie merkte, dass sie sein Gewand in der Hand hielt, er selbst aber geflohen war, rief sie ihre Diener. »Mein Mann hat diesen hebräischen Sklaven hierher gebracht, der nur seinen Mutwillen mit uns treibt«, sagte sie. »Er wollte mich vergewaltigen, ich aber habe laut geschrien. Da rannte er davon, doch sein Gewand ließ er bei mir zurück.« 

 

 

– Jossef in Gefangenschaft –

 

Sie ließ das Gewand neben sich liegen. Und als ihr Mann am Abend nach Hause kam, erzählte sie ihm dieselbe Geschichte. »Dieser hebräische Sklave, den du ins Haus gebracht hast, wollte mich zum Gespött machen«, sagte sie. »Nur mein Schreien hat mich gerettet. Er rannte hinaus und ließ sein Gewand bei mir zurück!« Als Potifar das hörte, war er außer sich vor Zorn. Er ließ Jossef in das Gefängnis werfen, in dem die Gefangenen des Königs eingesperrt waren. Doch der HERR war auch dort mit Jossef und sorgte dafür, dass Jossef die Gunst des Gefängnisverwalters gewann. Der Verwalter übertrug Jossef die Aufsicht über alle anderen Gefangenen und über alles, was im Gefängnis geschah. Der Verwalter musste sich um nichts mehr kümmern, denn der HERR war mit Jossef und ließ alles gelingen, was er tat.

 

Einige Zeit später ließen sich der oberste Mundschenk und der oberste Bäcker etwas zuschulden kommen. Ihr Herr, der Pharao, wurde sehr zornig auf sie und ließ sie in das Gefängnis werfen, dem der Oberbefehlshaber der königlichen Leibwache vorstand und in dem auch Jossef gefangen war. Der Oberbefehlshaber der königlichen Leibwache gab Jossef den Auftrag, sich um sie zu kümmern. 

 

Eines Nachts hatten der Mundschenk und der Bäcker einen Traum, und beide Träume hatten eine besondere Bedeutung. Am nächsten Morgen fiel Jossef der niedergeschlagene Gesichtsausdruck der beiden auf. »Warum seid ihr heute so niedergeschlagen?«, fragte er. Sie antworteten: »Wir hatten beide letzte Nacht einen Traum, aber es gibt niemanden hier, der uns sagen könnte, was unsere Träume bedeuten.« »Nur Gott kann Träume deuten«, entgegnete Jossef. »Erzählt mir, was ihr geträumt habt.« Der oberste Mundschenk erzählte seinen Traum zuerst. »In meinem Traum«, begann er, »sah ich einen Weinstock. Er hatte drei Ranken, die zu knospen und zu blühen begannen, und schon bald hing der ganze Stock voller reifer Trauben. In meiner Hand hielt ich den Weinbecher des Pharaos. Ich nahm die Trauben und presste den Saft hinein. Dann reichte ich den Becher dem Pharao.« »Ich sage dir, was der Traum bedeutet«, entgegnete Jossef. »Die drei Ranken bedeuten drei Tage. Innerhalb von drei Tagen wird der Pharao dich aus dem Gefängnis holen lassen und dich wieder in deine Stellung als obersten Mundschenk einsetzen. Denk an mich, wenn es dir wieder gut geht! Erzähl dem Pharao von mir und bitte ihn, mich hier herauszuholen. Denn ich wurde aus meiner Heimat, dem Land der Hebräer, entführt. Und jetzt sitze ich hier im Gefängnis, obwohl ich nichts Unrechtes getan habe.« Als der oberste Bäcker sah, dass der Traum des Mundschenks eine so gute Bedeutung hatte, erzählte auch er Jossef seinen Traum. »In meinem Traum«, sagte er, »trug ich drei Körbe mit Gebäck auf dem Kopf. Im obersten Korb waren alle möglichen Backwaren für den Pharao. Da kamen Vögel und fraßen den Korb leer.« »Ich sage dir, was das bedeutet«, meinte Jossef. »Die drei Körbe bedeuten drei Tage. In drei Tagen wird der Pharao dich aus dem Gefängnis holen und dich hängen lassen. Dann werden Vögel kommen und dein Fleisch fressen.« 

 

Drei Tage später hatte der Pharao Geburtstag. Er gab ein Festmahl für seinen ganzen Hofstaat und ließ den obersten Mundschenk und den obersten Bäcker aus dem Gefängnis holen. Den obersten Mundschenk setzte er wieder in sein früheres Amt ein. Den Bäcker jedoch ließ er aufhängen, ganz so, wie Jossef es vorausgesagt hatte. Der Mundschenk dachte nicht mehr an Jossef, sondern vergaß ihn.

 

 

– Pharaos Träume –

 

Zwei Jahre später träumte der Pharao, dass er am Nilufer stand. In dem Traum stiegen plötzlich sieben fette, gesunde Kühe aus dem Fluss und begannen am Ufer zu weiden. Dann stiegen sieben magere, hässliche Kühe aus dem Fluss und stellten sich neben die sieben fetten Kühe. Und die mageren, hässlichen Kühe fraßen die fetten, gesunden Kühe auf. Da erwachte der Pharao. Bald schlief er wieder ein und hatte einen zweiten Traum: Sieben Ähren wuchsen auf einem einzigen Halm und jede einzelne Ähre war schön und prall gefüllt. Dann plötzlich wuchsen sieben weitere Ähren an dem Halm, doch diese waren verkümmert und vom Ostwind vertrocknet. Die verkümmerten Ähren verschluckten die sieben schönen Ähren. Da erwachte der Pharao und merkte, dass es ein Traum gewesen war. 

 

Am nächsten Morgen war der Pharao sehr beunruhigt über die Bedeutung der Träume. Er ließ alle Wahrsager und Gelehrten Ägyptens zu sich kommen und erzählte ihnen seine Träume. Aber keiner von ihnen konnte sie deuten. Da sprach der Mundschenk beim König vor. »Majestät, heute ist mir mein Versäumnis wieder eingefallen«, sagte er. »Vor einiger Zeit, als Sie auf den obersten Bäcker und mich zornig waren, haben Sie uns ins Gefängnis werfen lassen. Eines Nachts hatten der Bäcker und ich einen Traum und jeder Traum hatte eine Bedeutung. Wir erzählten die Träume einem jungen Hebräer, einem ehemaligen Sklaven des Oberbefehlshabers der königlichen Leibwache. Er sagte uns, was unsere Träume bedeuteten, und alles traf genauso ein, wie er vorausgesagt hatte. Ich wurde wieder in meine Stellung als Mundschenk eingesetzt und der oberste Bäcker wurde gehängt.« Sofort schickte der Pharao nach Jossef und er wurde schnell aus dem Gefängnis herbeigeholt. Jossef ließ sich die Haare schneiden, wechselte seine Kleider und trat vor den Pharao. »Letzte Nacht hatte ich einen Traum«, erzählte der Pharao ihm, »und keiner kann mir sagen, was er bedeutet. Doch ich habe gehört, dass du Träume deuten kannst, deshalb habe ich dich rufen lassen.« »Es steht nicht in meiner Macht, das zu tun, Majestät«, antwortete Jossef, »nur Gott kann es. Aber er wird Ihnen sicher etwas Gutes ankündigen.« Der Pharao erzählte ihm den Traum. »Ich stand am Ufer des Nils«, sagte er. »Plötzlich stiegen sieben fette, gesunde Kühe aus dem Fluss und begannen am Ufer zu weiden. Dann stiegen sieben weitere Kühe aus dem Fluss. Sie waren dünn und ausgemergelt – ich habe in ganz Ägypten noch nie so hässliche Tiere gesehen. Diese mageren Kühe fraßen die sieben fetten auf, die zuerst aus dem Wasser gestiegen waren. Aber danach waren sie trotzdem noch genauso hässlich und mager wie zuvor! Dann erwachte ich. Ich schlief wieder ein und hatte einen zweiten Traum. An einem Halm wuchsen sieben schöne, pralle Ähren. Nach ihnen wuchsen sieben verkümmerte, vom Ostwind vertrocknete Ähren aus dem Halm. Und die vertrockneten Ähren verschlangen die schönen! Ich habe die Träume meinen Wahrsagern erzählt, aber keiner von ihnen konnte mir sagen, was sie bedeuten.« »Beide Träume bedeuten dasselbe«, sagte Jossef zum Pharao. »Gott hat Ihnen durch sie mitgeteilt, was er tun wird. Die sieben fetten Kühe und die sieben schönen Ähren stehen für sieben reiche, fruchtbare Jahre. Die sieben mageren, hässlichen Kühe und die sieben vertrockneten Ähren stehen für sieben Hungerjahre. Gott hat Ihnen gezeigt, was er tun wird. In den nächsten sieben Jahren wird es in ganz Ägypten reiche Ernten geben. Nach ihnen werden jedoch sieben Jahre des Hungers kommen. Sie werden so schwer sein, dass der Überfluss vergessen sein wird. Der Hunger wird das Land aufzehren. Die Hungersnot wird so schrecklich sein, dass sich niemand mehr an die guten Jahre erinnern wird. Dass Sie den Traum zweimal geträumt haben, bedeutet, dass diese Ereignisse bei Gott beschlossene Sache sind und dass er sie bald eintreten lassen wird. Mein Rat lautet, dass Sie sich einen weisen Mann suchen und ihn über ganz Ägypten setzen. Der Pharao sollte Minister ernennen, die in den sieben guten Jahren den fünften Teil der Ernte als Steuern einziehen. Sie sollen alles Getreide der sieben guten Jahre in den königlichen Vorratshäusern in den Städten sammeln und aufbewahren. Auf diese Weise wird es genug Vorrat für die sieben Hungerjahre geben und das Volk wird nicht verhungern.«

 

 

– Jossef wird Stellvertreter des Pharaos –

 

Jossefs Vorschlag fand Gehör beim Pharao und seinen Beratern.  Als sie beratschlagten, wer für diese Aufgabe ernannt werden sollte, sagte der Pharao: »Wer könnte besser dafür geeignet sein als Jossef? Denn er ist ein Mann, der ganz offensichtlich vom Geist Gottes erfüllt ist.« Und er wandte sich an Jossef und sagte: »Da Gott dir die Bedeutung der Träume offenbart hat, musst du der weiseste Mann im ganzen Land sein! Hiermit ernenne ich dich zu meinem Stellvertreter. Mein Volk soll deinen Anweisungen gehorchen. Nur ich allein werde im Rang noch über dir stehen.« Und der Pharao sagte zu Jossef: »Hiermit gebe ich dir Vollmacht über ganz Ägypten.« Dann steckte er ihm seinen königlichen Siegelring an den Finger. Er gab ihm kostbare Gewänder und legte ihm eine goldene Kette um den Hals. Außerdem stellte er Jossef einen zweisitzigen Wagen zur Verfügung. Und wo immer er hinkam, ließ man ausrufen: »Werft euch vor ihm nieder!« So erhielt Jossef die Vollmacht über ganz Ägypten.  Und der Pharao sagte zu Jossef: »Ich bin der König, aber ohne deine Zustimmung soll niemand in Ägypten auch nur eine Hand oder einen Fuß heben.« Der Pharao gab Jossef den Namen Zafenat-Paneach und gab ihm Asenat zur Frau. Sie war die Tochter von Potifera, dem Priester von On. So übernahm Jossef die Regierungsgewalt über ganz Ägypten. Er war 30 Jahre alt, als er der Stellvertreter des Pharaos, des Königs von Ägypten, wurde. Jossef verließ den Pharao und reiste durchs ganze Land. 

 

In den nächsten sieben Jahren gab es überall reiche Ernten. In diesen Jahren zog Jossef einen Teil der Ernte aus ganz Ägypten ein und ließ sie in die Vorratshäuser der Städte bringen, in jede Stadt den Ertrag der sie umgebenden Felder. Nach sieben Jahren waren die Getreidespeicher bis zum Rand gefüllt. Es gab Korn wie Sand am Meer, so viel, dass man es nicht mehr abmessen konnte. In dieser Zeit vor der Hungersnot bekamen Jossef und seine Frau Asenat zwei Söhne. Asenat war die Tochter von Potifera, dem Priester von On.  Jossef nannte seinen ältesten Sohn Manasse, denn er sagte: »Gott hat mich all meinen Kummer und die Familie meines Vaters vergessen lassen.« Seinen zweiten Sohn nannte er Ephraim, denn er sagte: »Gott hat mir im Land meiner Leiden Kinder geschenkt.« Schließlich gingen die sieben Jahre des Überflusses zu Ende. Danach begannen die sieben Hungerjahre, so wie Jossef es vorausgesagt hatte. Auch in den angrenzenden Ländern herrschte Hungersnot, aber in Ägypten waren die Vorratshäuser gefüllt. Doch auch in Ägypten begannen die Menschen schließlich zu hungern. Sie flehten den Pharao um Nahrung an und er sagte zu ihnen: »Geht zu Jossef und tut, was er euch sagt.« Als die Hungersnot immer drückender wurde, ließ Jossef die Vorratshäuser öffnen und verkaufte den Ägyptern das Getreide. Auch die Menschen aus den benachbarten Ländern kamen nach Ägypten, um Getreide bei Jossef zu kaufen, denn auf der ganzen Welt herrschte großer Hunger.

 

 

– Jossefs Brüder reisen nach Ägypten –

 

Als Jakob hörte, dass es in Ägypten Getreide gab, sagte er zu seinen Söhnen: »Warum steht ihr hier untätig herum und schaut euch an? Ich habe gehört, dass es in Ägypten Getreide gibt. Reist dorthin und kauft etwas für uns, bevor wir alle verhungern.« So machten sich zehn von Jossefs Brüdern auf den Weg nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. Benjamin, dem jüngeren Bruder Jossefs, erlaubte Jakob jedoch nicht mitzugehen. Denn er hatte Angst, ihm könnte etwas zustoßen. Jakobs Söhne kamen zusammen mit vielen anderen nach Ägypten, um Getreide zu kaufen, denn die Hungersnot hatte auch Kanaan erreicht. 

 

Jossef herrschte über ganz Ägypten und jeder, der Getreide kaufen wollte, musste zu ihm gehen. So kamen auch seine Brüder zu ihm. Sie verneigten sich tief vor ihm. Jossef erkannte sie sofort, ließ sich aber nichts anmerken. »Woher kommt ihr?«, fragte er ungnädig. »Aus dem Land Kanaan«, antworteten sie. »Wir sind gekommen, um Getreide zu kaufen.« Seine Brüder erkannten ihn nicht, aber Jossef erkannte sie. Er erinnerte sich an die Träume, die er vor vielen Jahren gehabt hatte. »Ihr seid Spione!«, verdächtigte er sie. »Ihr seid gekommen, um auszukundschaften, wo unser Land seine Schwachstellen hat.« »Nein, mein Herr!«, beteuerten sie. »Wir sind gekommen, um Nahrung zu kaufen. Wir sind alle Brüder und ehrliche Männer, Herr! Wir sind keine Spione!« »Doch, das seid ihr«, beharrte er. »Ihr seid gekommen, um herauszufinden, wo unser Land schwach ist.« »Herr«, sagten sie, »wir sind zwölf Brüder und unser Vater lebt im Land Kanaan. Unser jüngster Bruder ist bei unserem Vater geblieben und der andere ist tot.« Aber Jossef blieb dabei: »Wie ich gesagt habe, ihr seid Spione! Doch ich will eure Geschichte überprüfen. Ich schwöre beim Leben des Pharaos, dass ihr Ägypten erst dann wieder verlassen werdet, wenn euer jüngster Bruder herkommt. Einer von euch kann gehen und euren Bruder holen! Die Übrigen bleiben so lange als meine Gefangenen hier. Dann wird sich herausstellen, ob eure Geschichte wahr ist. Wenn nicht, dann weiß ich, dass ihr Spione seid.« Und er ließ sie alle für drei Tage einsperren. Am dritten Tag sagte er zu ihnen: »Ich bin ein gottesfürchtiger Mann. Wenn ihr tut, was ich sage, werdet ihr am Leben bleiben. Wir wollen sehen, ob ihr wirklich ehrliche Leute seid. Nur einer von euch soll hier im Gefängnis bleiben. Die übrigen können nach Hause gehen und Getreide für ihre hungernden Familien mitnehmen. Aber bringt mir euren jüngsten Bruder her. Dann werde ich wissen, dass ihr mir die Wahrheit gesagt habt, und ich werde euch am Leben lassen.« Damit waren sie einverstanden. Sie sagten zueinander: »Das alles ist nur aufgrund dessen geschehen, was wir Jossef vor langer Zeit angetan haben. Wir haben seine Angst gesehen, als er uns um Gnade anflehte, aber nicht darauf gehört. Jetzt müssen wir dafür büßen.« »Habe ich euch damals nicht gesagt, ihr solltet ihm nichts tun?«, warf Ruben ihnen vor. »Aber ihr wolltet ja nicht auf mich hören. Und jetzt werden wir sterben, weil wir seinen Tod auf dem Gewissen haben.« Sie wussten nicht, dass Jossef alles verstand, denn er hatte davor durch einen Dolmetscher mit ihnen geredet. Nun verließ er den Raum, weil er weinen musste. Dann kam er zurück, sprach mit ihnen und ließ Simeon vor ihren Augen festnehmen. 

 

Jossef befahl seinen Leuten, die Säcke der Männer mit Getreide zu füllen und ihnen Reiseverpflegung mitzugeben. Heimlich gab er ihnen die Anweisung, jedem das bezahlte Geld ganz oben in den Sack zu legen. Jossefs Brüder luden die Säcke auf ihre Esel und machten sich auf den Heimweg. Am Abend wollten sie in einer Herberge übernachten. Als einer von ihnen seinen Sack öffnete, um seinen Esel zu füttern, fand er sein Geld darin. »Seht nur!«, rief er. »Mein Geld liegt hier in meinem Sack!« Sie erschraken und sagten zueinander: »Was hat Gott uns angetan?« So kamen sie zu ihrem Vater Jakob nach Kanaan und erzählten ihm, was sie erlebt hatten. »Der Mann, der dort regiert, war sehr unfreundlich zu uns«, erzählten sie ihm. »Er hielt uns für Spione. Wir haben beteuert: `Wir sind ehrliche Männer und keine Spione. Wir sind zwölf Brüder, ein Bruder ist tot und der jüngste ist bei unserem Vater in Kanaan geblieben. « Da antwortete der ägyptische Herrscher: »Ich werde herausfinden, ob ihr ehrliche Männer seid. Lasst einen von euren Brüdern hier bei mir, nehmt Getreide für eure Familien mit und reist nach Hause. Aber bringt euren jüngsten Bruder zu mir. Dann werde ich wissen, dass ihr ehrliche Männer seid und keine Spione. Ich werde euch euren Bruder zurückgeben und ihr dürft ungehindert durchs Land reisen.« Als sie ihre Säcke ausleeren wollten, lag in jedem Sack ihr Geld. Da erschraken sie und auch ihr Vater sehr. Jakob rief aus: »Ihr raubt mir meine Kinder! Jossef ist verschwunden, Simeon ist fort und jetzt wollt ihr mir auch noch Benjamin wegnehmen. Es bleibt mir auch nichts erspart!« Da sagte Ruben zu seinem Vater: »Wenn ich dir Benjamin nicht zurückbringe, darfst du meine beiden Söhne töten. Vertraue ihn mir an. Ich werde ihn zurückbringen!« Doch Jakob entgegnete: »Mein Sohn wird nicht mit euch nach Ägypten ziehen, denn sein Bruder Jossef ist tot und er allein ist mir übrig geblieben. Wenn ihm auf der Reise etwas zustoßen sollte, würdet ihr mich vor Kummer ins Grab bringen.«

 

 

– Die Brüder kehren nach Ägypten zurück –

 

Doch die schreckliche Hungersnot im Land ließ nicht nach. Als das Getreide, das sie aus Ägypten geholt hatten, aufgebraucht war, sagte Jakob1 zu seinen Söhnen: »Geht noch einmal nach Ägypten und kauft uns ein wenig Nahrung.« Aber Juda wandte ein: »Der Mann hat uns ausdrücklich gewarnt: `Kommt nicht mehr ohne euren Bruder zu mir.´ Wenn du ihn mit uns gehen lässt, werden wir nach Ägypten ziehen und Getreide kaufen. Wenn du Benjamin jedoch nicht gehen lässt, werden wir auch nicht gehen. Denn der Mann hat gesagt: `Ohne euren Bruder dürft ihr mir nicht mehr unter die Augen treten.´« »Warum habt ihr ihm überhaupt erzählt, dass ihr noch einen Bruder habt?«, fragte Jakob. »Warum musstet ihr mir das antun?« »Der Mann hat sich genau nach unserer Familie erkundigt«, antworteten sie. »Er wollte wissen, ob unser Vater noch am Leben sei, und fragte uns, ob wir noch einen Bruder hätten. Deshalb erzählten wir es ihm. Woher hätten wir wissen sollen, dass er sagen würde: `Bringt euren Bruder her´?« Juda sagte zu seinem Vater: »Gib mir den Jungen mit, damit wir aufbrechen können und am Leben bleiben. Andernfalls werden wir alle verhungern – und nicht nur wir, sondern auch du und unsere Kinder. Ich werde persönlich für ihn bürgen, von mir sollst du ihn zurückfordern. Wenn ich ihn dir nicht gesund zurückbringe, will ich mein Leben lang die Schuld dafür tragen. Wir könnten schon zweimal wieder hier sein, wenn wir nicht so lange gezögert hätten.« Da sagte ihr Vater Jakob zu ihnen: »Wenn es nun nicht anders geht, dann tut Folgendes: Bringt dem Mann die besten Erzeugnisse unseres Landes als Geschenke: kostbare Harze2, Honig, Pistazien und Mandeln. Nehmt doppelt so viel Geld mit und zahlt das Geld zurück, das ihr in euren Säcken gefunden habt. Vielleicht war es ja ein Versehen. Dann nehmt euren Bruder und geht wieder zu dem Mann. Der allmächtige Gott schenke, dass der ägyptische Herrscher Erbarmen mit euch hat und Simeon freigibt und auch Benjamin zurückkehren lässt. Und wenn ich euch auch noch verlieren muss, dann soll es wohl so sein.« Die Brüder nahmen die Geschenke und doppelt so viel Geld mit und reisten mit Benjamin nach Ägypten. Dort traten sie vor Jossef. Als Jossef sah, dass Benjamin bei ihnen war, wies er seinen Hausverwalter an: »Diese Männer sollen heute mit mir zu Mittag essen. Führe sie in meinen Palast, schlachte Tiere und bereite ein großes Festmahl vor.« Der Mann tat, wie Jossef ihm aufgetragen hatte und führte sie in Jossefs Palast. Sie erschraken, weil sie in Jossefs Palast gebracht wurden, und sagten zueinander: »Das geschieht sicher wegen des Geldes, das beim letzten Mal wieder in unsere Säcke geraten ist. Jetzt wird man uns verhaften, unsere Esel wegnehmen und uns versklaven.«

 

 

– Ein Fest in Jossefs Palast –

 

Als die Brüder ans Palasttor kamen, wandten sie sich an den Hausverwalter. Sie sagten zu ihm: »Herr, wir waren schon einmal hier und kauften Getreide. Als wir auf dem Heimweg in die Herberge kamen und unsere Säcke öffneten, fanden wir darin das gesamte Geld, mit dem wir das Getreide bezahlt hatten. Wir haben es wieder mitgebracht. Wir haben noch mehr Geld dabei, um neues Getreide zu kaufen. Es ist uns ein Rätsel, wer das Geld in unsere Säcke gelegt hat.« »Beruhigt euch und macht euch deswegen keine Sorgen«, sagte der Hausverwalter. »Euer Gott, der Gott eures Vaters, muss es dort hineingelegt haben. Ich habe euer Geld bekommen.« Dann ließ er Simeon frei und brachte ihn zu ihnen. Danach führte er die Brüder in Jossefs Palast und gab ihnen Wasser, damit sie sich die Füße waschen konnten, und fütterte ihre Esel. Die erfuhren, dass sie dort mit Jossef zu Mittag essen würden. Deshalb hielten sie ihre Geschenke für ihn bereit. 

 

Als Jossef in den Palast kam, überreichten sie ihm ihre Geschenke und verneigten sich tief vor ihm. Er erkundigte sich nach ihrem Ergehen. Dann fragte er: »Wie geht es eurem alten Vater, von dem ihr mir erzählt habt? Lebt er noch?« »Ja, unser Vater, Ihr Diener, lebt noch«, antworteten sie, »und es geht ihm gut.« Und sie knieten sich nieder und verneigten sich vor ihm. Jossef sah seinen Bruder Benjamin, den Sohn seiner Mutter, an und fragte: »Ist dies euer jüngster Bruder, von dem ihr mir erzählt habt? Gott überschütte dich mit seiner Gnade, mein Sohn.« Dann verließ er schnell den Raum, weil die Zuneigung zu seinem Bruder ihn überwältigte und er weinen musste. Er lief in sein Privatzimmer und weinte dort. Danach wusch er sich das Gesicht und kam wieder zurück; und er beherrschte sich sehr. »Tragt das Essen auf!«, befahl er seinen Bediensteten. Jossef aß allein an einem Tisch, seine Brüder aßen an einem anderen Tisch, während die Ägypter an einem dritten saßen. Denn die Ägypter dürfen nicht zusammen mit den Hebräern essen, weil sie sich dadurch verunreinigen würden. Jossef wies jedem seiner Brüder einen Platz zu. Und zu ihrer großen Überraschung setzte er sie nach ihrem Alter geordnet, vom Ältesten bis zum Jüngsten. Ihr Essen wurde ihnen von Jossefs Tafel serviert. Benjamin ließ Jossef am meisten geben – fünfmal so viel wie seinen Brüdern. Und sie tranken und feierten in ausgelassener Stimmung.

 

 

– Jossefs silberner Becher –

 

Später gab Jossef seinem Hausverwalter folgende Anweisungen: »Fülle jeden ihrer Säcke mit so viel Getreide, wie sie tragen können, und leg das Geld von jedem oben in ihre Säcke. Meinen silbernen Becher leg oben in den Sack des Jüngsten zusammen mit dem Geld für sein Getreide.« Der Hausverwalter tat, was Jossef ihm aufgetragen hatte. Bei Morgengrauen machten sich die Brüder mit ihren Eseln auf den Weg. Jossef hatte zu seinem Verwalter gesagt: »Jag ihnen nach! Und wenn du sie erreicht hast, frag sie: `Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Ist das nicht der silberne Trinkbecher meines Herrn, mit dessen Hilfe er die Zukunft vorhersagt? Was für ein Verbrechen habt ihr da begangen!´« Die Brüder hatten jedoch gerade die Stadt hinter sich gelassen, da holte der Verwalter sie ein und sagte das zu ihnen, was Jossef ihm aufgetragen hatte. »Warum beschuldigst du uns so schwer?«, entgegneten die Brüder. »Wir würden so etwas nie tun. Haben wir dir nicht das Geld, das wir in unseren Säcken gefunden haben, den langen Weg aus Kanaan zurückgebracht? Warum sollten wir Silber oder Gold aus dem Palast deines Herrn stehlen? Wenn du diesen Becher bei einem von uns findest, dann soll derjenige sterben. Und wir anderen wollen die Sklaven deines Herrn sein.« »Gut«, antwortete der Mann, »aber nur derjenige soll ein Sklave sein, bei dem der Becher gefunden wird. Die anderen sind ohne Schuld.« Rasch lud jeder seinen Sack von seinem Esel und öffnete ihn. Der Verwalter durchsuchte alle Säcke, beim ältesten Bruder fing er an, beim Jüngsten hörte er auf. In Benjamins Sack fand er schließlich den Becher! Da zerrissen die Brüder vor Verzweiflung ihre Kleider, beluden wieder ihre Esel und kehrten in die Stadt zurück. Jossef war noch in seinem Palast, als Juda und seine Brüder eintrafen. Die Brüder fielen vor ihm nieder. »Was habt ihr euch nur dabei gedacht?«, fragte Jossef. »Wusstet ihr denn nicht, dass ein Mann wie ich wahrsagen kann?« Juda antwortete: »Oh, mein Herr, was sollen wir Ihnen sagen? Wie können wir uns rechtfertigen? Gott straft uns für unsere Sünde. Mein Herr, wir wollen alle Ihre Sklaven sein – wir und unser Bruder, in dessen Sack der Becher gefunden wurde!« »Nein, so nicht«, sagte Jossef. »Nur der Mann, bei dem der Becher gefunden wurde, soll mein Sklave sein. Ihr anderen könnt unbehelligt zu eurem Vater nach Hause zurückkehren.«

 

 

– Juda spricht für seine Brüder –

 

Da trat Juda vor und sagte: »Ich weiß, dass Sie so mächtig wie der Pharao sind. Werden Sie bitte nicht zornig, wenn ich noch dies eine sage. Sie fragten uns, ob wir einen Vater oder einen Bruder hätten. Wir antworteten: `Ja, wir haben einen alten Vater und einen Bruder, der ihm im hohen Alter geboren wurde. Sein Bruder ist tot; er allein ist von den Kindern seiner Mutter übrig geblieben und sein Vater liebt ihn sehr.´ Und Sie sagten zu uns: `Bringt ihn her, damit ich ihn sehe.´ Wir wandten ein: `Herr, der Junge kann seinen Vater nicht verlassen, denn dann würde sein Vater sterben.´ Aber Sie befahlen uns: `Kommt ohne euren jüngsten Bruder nicht mehr hierher.´ Also kehrten wir zu unserem Vater zurück und berichteten ihm, was Sie zu uns gesagt hatten. Und als unser Vater sagte: `Reist noch einmal nach Ägypten und kauft uns ein wenig Nahrung´, antworteten wir: `Das können wir nicht – es sei denn, du lässt unseren jüngsten Bruder mit uns gehen. Ansonsten dürfen wir dem ägyptischen Herrscher dort nicht mehr unter die Augen treten.´ Da sagte mein Vater zu uns: `Ihr wisst, dass mir meine Lieblingsfrau zwei Söhne geboren hatte. Und ihr wisst auch, dass einer von ihnen fort ist – ohne Zweifel wurde er von einem wilden Tier zerrissen. Ich habe ihn seither nicht mehr gesehen. Wenn ihr mir nun auch noch seinen Bruder nehmt und ihm etwas zustößt, würdet ihr mich vor Kummer ins Grab bringen.´ Unser Vater hängt sehr an ihm. Wenn ich ohne den Jungen zu meinem Vater zurückkehre und er sieht, dass der Junge nicht bei uns ist, wird er sterben. Wir würden die Verantwortung dafür tragen ihn vor Kummer ins Grab gebracht zu haben. Mein Herr, ich habe mich bei meinem Vater für den Jungen verbürgt. Ich habe zu ihm gesagt: `Wenn ich ihn dir nicht zurückbringe, will ich mein Leben lang die Schuld auf mich nehmen.´ Bitte, mein Herr, lassen Sie mich anstelle des Jungen als Sklaven für meinen Herrn hier bleiben und lassen Sie den Jungen mit seinen Brüdern zusammen heimkehren. Denn wie kann ich zu meinem Vater zurückkehren, wenn der Junge nicht bei mir ist? Ich kann nicht mit ansehen, welchen Schmerz ihm das zufügen würde.«

 

 

– Jossef gibt sich zu erkennen –

 

Da konnte Jossef sich nicht länger beherrschen. »Verlasst alle den Raum«, befahl er den Anwesenden. So war er mit seinen Brüdern allein, als er sich ihnen zu erkennen gab. Dann brach er in Tränen aus und weinte laut, sodass es die Ägypter hörten, und bald wussten alle am Hof des Pharaos davon. »Ich bin Jossef«, sagte er zu seinen Brüdern. »Lebt mein Vater noch?« Doch seine Brüder waren fassungslos und brachten kein Wort heraus. »Kommt her zu mir!«, sagte er. Sie kamen näher. Und wieder sagte er: »Ich bin euer Bruder Jossef, den ihr nach Ägypten verkauft habt. Aber macht euch deswegen keine Vorwürfe. Gott selbst hat mich vor euch her geschickt, um euer Leben zu retten. Denn schon seit zwei Jahren herrscht nun die Hungersnot und auch in den nächsten fünf Jahren wird man weder säen noch ernten können. Gott hat mich vor euch her geschickt, damit er euch auf wunderbare Art und Weise am Leben erhält und einige von euch übrig bleiben. Ja, nicht ihr habt mich hierher geschickt, sondern Gott! Und er hat mich zum wichtigsten Berater des Pharaos gemacht – zum Herrn über sein ganzes Haus und zum Herrscher über ganz Ägypten. Kehrt schnell zu meinem Vater zurück und sagt ihm: `Dies lässt dir dein Sohn Jossef sagen: Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gemacht. Komm schnell herab zu mir! Zögere nicht! Du kannst in der Provinz Goschen wohnen, damit du in meiner Nähe bist, du und deine Kinder und Enkelkinder, deine Schaf- und Rinderherden und dein ganzer Besitz. Ich werde für euch sorgen, damit du und deine Familie nicht verarmen, denn es liegen noch fünf Jahre des Hungers vor uns.´« Dann sagte Jossef: »Ihr seht selbst, und auch mein Bruder Benjamin kann sehen, dass ich wirklich Jossef bin, der zu euch redet! Erzählt meinem Vater, wie geachtet ich hier in Ägyten bin. Erzählt ihm alles, was ihr gesehen habt, und bringt ihn schnell zu mir.« Weinend umarmte er Benjamin und auch Benjamin begann zu weinen. Dann küsste Jossef weinend alle seine Brüder. Danach unterhielten sich seine Brüder mit ihm.

 

 

– Der Pharao lädt Jakob nach Ägypten ein –

 

Schon bald erreichte die Nachricht den Palast des Pharaos: »Jossefs Brüder sind gekommen!« Der Pharao und sein Hofstaat freuten sich darüber. Der Pharao sagte zu Jossef: »Sag deinen Brüdern: `Beladet eure Tiere und kehrt nach Kanaan zurück. Bringt dann unseren Vater und eure Familien nach Ägypten. Ich will euch das fruchtbarste Gebiet Ägyptens geben und ihr sollt das Beste essen, was es im Land gibt!´ Sag deinen Brüdern außerdem: `Nehmt ägyptische Wagen mit für unseren Vater, eure Frauen und eure Kinder. Wegen eures Besitzes in Kanaan braucht ihr nicht traurig zu sein, denn das Beste aus ganz Ägypten soll euch gehören.´« Und so machten es die Söhne Jakobs1 dann auch. Wie der Pharao es befohlen hatte, gab Jossef ihnen Wagen und Reiseverpflegung mit. Und er schenkte jedem von ihnen ein neues Gewand – Benjamin aber schenkte er fünf neue Gewänder und 300 Schekel Silber. Seinem Vater schickte er zehn Esel, beladen mit den besten Erzeugnissen Ägyptens, sowie zehn Eselinnen, beladen mit Getreide und anderen Lebensmitteln für die Reise. So schickte er seine Brüder los. Als sie aufbrachen, ermahnte er sie: »Streitet euch nicht unterwegs!« Sie verließen Ägypten und kehrten ins Land Kanaan zu ihrem Vater Jakob zurück. »Jossef lebt noch!«, berichteten sie ihm. »Und er ist Herrscher über ganz Ägypten!« Aber Jakob regte sich nicht, denn er glaubte ihnen nicht. Sie richteten ihm aus, was Jossef ihnen gesagt hatte. Als er die Wagen sah, die Jossef ihnen mitgegeben hatte, um ihn zu holen, kehrten Jakobs Lebensgeister zurück. Er sagte: »Das genügt! Mein Sohn Jossef lebt noch! Ich will mich auf den Weg machen und ihn noch einmal sehen, bevor ich sterbe.«

 

 

– Jakobs Reise nach Ägypten –

 

Also brach Jakob nach Ägypten auf. Seinen ganzen Besitz nahm er mit. Als er nach Beerscheba kam, opferte er dem Gott seines Vaters Isaak Schlachtopfer. In der Nacht sprach Gott in einer Vision zu ihm: »Jakob! Jakob!« »Ja, Herr!«, antwortete Jakob. »Ich bin Gott«, sprach er, »der Gott deines Vaters. Hab keine Angst, nach Ägpyten zu gehen, denn ich werde deine Nachkommen dort zu einem großen Volk machen. Ich gehe mit dir nach Ägypten und ich werde deine Nachkommen wieder hierher zurückbringen. Du aber wirst in Ägypten sterben und Jossef wird dir nach deinem Tod die Augen zudrücken.« 

 

Jakob verließ Beerscheba. Seine Söhne setzten Jakob, ihre Kinder und ihre Frauen auf die Wagen, die der Pharao ihnen geschickt hatte. Und sie nahmen all ihr Vieh mit und ihren Besitz, den sie im Land Kanaan erworben hatten. Jakob und seine ganze Familie trafen in Ägypten ein – Söhne und Töchter, Enkelsöhne und Enkeltöchter -, alle seine Nachkommen brachte Jakob mit sich nach Ägypten. 

 

Dies sind die Namen der Nachkommen Jakobs, die mit ihm nach Ägypten kamen: Ruben, der Älteste, und seine Söhne Henoch, Pallu, Hezron und Karmi. Simeon und seine Söhne Jemuël, Jamin, Ohad, Jachin, Zohar und Schaul. Die Mutter von Schaul war eine Kanaaniterin. Levi und seine Söhne Gerschon, Kehat und Merari. Juda und seine Söhne Er, Onan, Schela, Perez und Serach. Er und Onan waren jedoch im Land Kanaan gestorben. Die Söhne von Perez hießen Hezron und Hamul. Issachar und seine Söhne Tola, Puwa, Jaschub und Schimron. Sebulon und seine Söhne Sered, Elon und Jachleel. Das sind die Söhne Jakobs, die Lea ihm in Mesopotamien geboren hatte. Dazu noch Dina, ihre Tochter. Alles in allem hatte Jakob mit Lea 33 Nachkommen. Gad und seine Söhne Zefon, Haggi, Schuni, Ezbon, Eri, Arod und Areli. Asser und seine Söhne Jimna, Jischwa, Jischwi und Beri. Ihre Schwester hieß Serach. Beris Söhne hießen Heber und Malkiël. Diese 16 waren die Nachkommen Jakobs durch Silpa, der Dienerin, die Lea von ihrem Vater Laban bekommen hatte. Die Söhne von Jakobs Frau Rahel waren Jossef und Benjamin. Jossefs Söhne, die in Ägypten geboren worden waren, hießen Manasse und Ephraim. Ihre Mutter war Asenat, die Tochter von Potifera, dem Priester von On. Benjamins Söhne waren Bela, Becher, Aschbel, Gera, Naaman, Ehi, Rosch, Muppim, Huppim und Ard. Diese 14 waren die Nachkommen von Jakob und seiner Frau Rahel. Dan und sein Sohn Huschim. Naftali und seine Söhne Jachzeel, Guni, Jezer und Schillem. Diese sieben waren die Nachkommen Jakobs durch Bilha, der Dienerin, die Rahel von ihrem Vater Laban bekommen hatte. Insgesamt zogen 66 direkte Nachkommen von Jakob mit ihm nach Ägypten, dazu noch die Ehefrauen seiner Söhne.  Jossef hatte auch zwei Söhne, die in Ägypten geboren waren. Alles in allem kamen also 70 Mitglieder von Jakobs Familie nach Ägypten.

 

 

– Jakobs Familie trifft in der Provinz Goschen ein –

 

Jakob schickte Juda voraus zu Jossef, um sich den Weg zur Provinz Goschen weisen zu lassen. Und sie trafen in Goschen ein. Da ließ Jossef seinen Wagen anspannen und fuhr seinem Vater nach Goschen entgegen. Als Jossef seinen Vater sah, fiel er ihm um den Hals und weinte lange. Dann sagte Jakob zu Jossef: »Nun kann ich sterben, denn ich habe dich gesehen und weiß, dass du noch am Leben bist.« Und Jossef sagte zu seinen Brüdern und ihren Familien: »Ich werde zum Pharao gehen und ihm berichten: `Meine Brüder und die ganze Familie meines Vaters sind aus Kanaan zu mir gekommen. Diese Männer sind Hirten und Viehzüchter. Sie haben ihre Schaf- und Rinderherden und ihren gesamten Besitz mitgebracht.´ Wenn der Pharao euch also rufen lässt und euch nach eurem Beruf fragt, dann antwortet ihm: `Majestät, wir sind seit unserer Jugend Viehzüchter, wie auch schon unsere Vorfahren.´ Dann wird er euch hier in der Provinz Goschen wohnen lassen. Denn Hirten werden in Ägypten verachtet.«

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