Die Größe einer Frau

Aus Sicht des Judentums ist klar, dass die Rolle einer Frau darin besteht, ihrem Mann beizustehen, damit er in eine direkte Beziehung zu Gott gehen kann und dann auch in dieser Verbindung bleibt.

6 Min.

Rabbiner Shalom Arush

gepostet auf 05.04.21

Übersetzt von Rabbi David Kraus

 

MIT GELASSENHEIT SEHEN

 

Aus Sicht des Judentums ist klar, dass die Rolle einer Frau darin besteht, ihrem Mann beizustehen, damit er in eine direkte Beziehung zu Gott gehen kann und dann auch in dieser Verbindung bleibt. Eine jede Frau sollte sich daher die Fähigkeit, ihren Mann in diese Richtung zu lenken und zu fördern, näher betrachten.

 

Dazu soll uns Rabbi Akiva als Beispiel dienen: Rabbi Akiva war bis zu seinem 40. Lebensjahr ein Analphabet. Er verachtete damals die Toragelehrten, weil er befürchtete, dass sie ihn wegen seines geringen Wissens herablassend behandeln würden. Diesbezüglich sagte er einmal: „Gib mir einen Toragelehrten und ich werde ihn wie ein Esel beißen!“ Obwohl er den Gelehrten gegenüber eine starke Abneigung empfand, war er aber selbst eine gottesfürchtige Person, die eine ganze Reihe von guten Charaktereigenschaften besaß. Akiva bestritt seinen Lebensunterhalt mit dem Hüten von Schafen bei Calba Savoa, einem sehr reichen Mann. Calba hatte eine Tochter namens Rachel, welche die verborgenen Stärken des ungebildeten Schafhirten erkannte und seine Aufrichtigkeit, seine Demut und etliche andere positive Eigenschaften bewunderte. Sie beschloss Akiva zu heiraten. Dies aber nur unter der Bedingung, dass er die Tora studieren würde. Rachel wusste, dass ihr wohlhabender und angesehener Vater niemals dem zustimmen würde, sodass sie nur eine Möglichkeit sah: Mit Akiva durchzubrennen. Als Calba Savoa davon erfuhr, war er so wütend, dass er sie als seine Tochter verstieß. Rachel akzeptierte das Verhalten ihres Vaters und verließ ihr wohlhabendes Elternhaus, um fortan ein Leben in Armut zu fristen. Das Paar lebte in einem alten Schuppen. Akiva wollte die Tora studieren, aber er konnte ja nicht einmal das Alphabet. Rachel ermutigte ihn, er solle gemeinsam mit ihrem kleinen Sohn in die Toraschule gehen und so das Alphabet lernen. Akiva aber war dies äußerst peinlich. Wie konnte sich ein 40-jähriger Mann, der ein Analphabet war, in eine Klasse mit Erstklässlern setzen?  Er sagte zu seiner Frau: „Sicherlich werde ich ausgelacht!“

 

Rachel antwortete ihm: „Du wirst dich daran gewöhnen. Vielleicht werden sie dich nur anfangs auslachen, aber mit der Zeit werden sie sich an deine Leseschwäche gewöhnen. Die Hauptsache ist, dass du Tora studieren kannst, wie du es mir versprochen hast. Aber natürlich verstehe ich deine Sorge, daher will ich dir beweisen, dass sich die Menschen an alles gewöhnen, sogar an den seltsamsten Anblick!“ So gesagt, wies Rachel ihn an, seinen Esel zu nehmen und Erde auf seinen Rücken zu streuen. Akiva tat, was sie sagte. Rachel pflanzte dann alle möglichen  Setzlinge in diese Erde, und sprach, er solle den Esel so auf den Markt mitnehmen.

 

Als Akiva auf dem Marktplatz ankam, waren alle verwundert. Sie alle brachen in lautes Gelächter aus: „Was ist das? Ein Esel als Blumentopf?“ fragten sie ihn spöttisch. Rachel wies ihn an, am nächsten Tag wieder mit dem gleichen Esel auf den Markt zu gehen. Auch dieses Mal lachten sie, als sie den Esel mit den Pflanzen auf dem Rücken sahen. Am dritten Tag sagte Rachel, dass Akiva mit dem Esel wieder zum Marktplatz gehen solle.  Akiva tat, wie sie ihm geheißen. Ebenso am vierten Tag. Am fünften Tag gewöhnten sich die Menschen auf dem Markt an den Anblick des fremden Esels bereits so weit, dass niemand mehr darüber lachte.

 

Rachel sprach zu ihrem Mann: „Jetzt siehst du, dass die Menschen sich an alles gewöhnen. So kannst du dich nun auch mit den kleinen Kindern hinsetzen, um die Tora zu lernen.“ Akiva hörte auf seine Frau und ging gemeinsam mit seinem kleinen Sohn zum Lernen. Dies alles und Näheres zum Leben von Akiva finden wir im Buch „Die Briefe des Rabbi Akiva“ beschrieben, das eine Zusammenstellung von zahlreichen wissenschaftlichen Diskursen beinhaltet, welche von Rabbi Akiva brillant verfasst wurden und von seinen Erfahrungen berichtet.

 

Sobald er das Alphabet gelernt hatte, schickte Rachel ihn in eines der berühmtesten Studieninstitute zu den größten Toragelehrten dieser Zeit, um dort zu lernen. Diese Toraschule befand sich sehr weit von ihrer Heimat entfernt. Um ein führender Toragelehrter zu werden, musste Akiva zwölf Jahre lang studieren. Nach dieser Zeit kehrte er mit zwölftausend Schülern nach Hause zurück. Als er sich seinem Hause näherte, hörte er ein Gespräch zwischen seiner Frau und einem der Nachbarn. Der Nachbar hielt Rachel für naiv, weil ihr Mann sie vor zwölf Jahren verlassen hatte. Der Nachbar verspottet sie und fragte: „Wie lange sind Sie denn nun schon verwitwet?“

 

Rabbi Akiva hörte die couragierte Antwort seiner Frau: „Wenn mein Mann auf mich hören würde, würde er noch zwölf weitere Jahre in der Toraschule verbringen!“ Rabbi Akiva verstand, dass dies ihr aufrichtiger Wunsch war, und wandte sich dem Torastudium für weitere zwölf Jahre zu. Nach insgesamt vierundzwanzig Jahren kehrte er schließlich als Anführer seiner vierundzwanzigtausend Schüler wieder nach Hause zurück!

 

Als Rachel hörte, dass ihr Mann nun als Toragelehrter nach Hause kam, eilte sie zu ihm, um ihn zu begrüßen. Ihre Nachbarin sah sie in ihrer verschlissenen Kleidung und bot ihr ordentliche Kleider an. Doch Rachel antwortete ihr: „Der weise und gerechte Mann erkennt von dem, was ihm gehört, die Seele.“ Sie meinte, dass ihr Mann schon wissen würde, dass ihr verarmtes Aussehen das Resultat ihrer Selbstaufopferung sei, das seinem Torastudium geschuldet war. Er würde sich sicherlich nicht für ihr heruntergekommenes Aussehen schämen.

 

Als Rachel die Anwesenheit ihres Mannes bemerkte, fiel sie vor seinen Füßen nieder. Rabbi Akivas Schüler wollten diese Frau vertreiben, aber er rief ihnen zu: „Lasst sie in Ruhe! All mein Torawissen verdanke ich ihr!“

 

 

MEIN UND DEIN IST IHRES

 

Dieser Textabschnitt spiegelt die Größe der Frauen wider. Rachel war die einzige Person, die absolutes Vertrauen in die einzigartige Seele ihres ungebildeten Hirten besaß. Sie verzichtete auf Reichtum und Ansehen, um ihn zu heiraten. Sie förderte und unterstützte ihn, half ihm, seine Angst vor Demütigungen zu überwinden und mit kleinen Kindern die Toraschule zu besuchen. Sie war diejenige, die ihn für vierundzwanzig Jahre an einen fernen Ort in eine bedeutende Toraschule schickte. Deswegen war alles, was er erreicht hatte, ihr zu verdanken, wie Rabbi Akiva seinen Schüler zurief: „Das Meine und das Eure ist ihres.“

 

 

DER SANFTE WEG

 

Rachel wusste von Anfang an, dass sie Akiva auf sanfte und verständnisvolle Weise fördern musste. Sie machte ihn wegen seinen geringen Kenntnissen weder lächerlich noch hätte sie ihn gedemütigt. Im Gegenteil, sie ermutigte ihn auf eine sanften Art und Weise zum Lernen. Er meisterte das Torastudium mit Erfolg, weil er ihre aufrichtige Liebe zu ihm und die Güte ihrer Absichten spürte. Wenn sie anders vorgegangen wäre und ihn verspottet hätte, wäre er nie der ehrenwerte Rabbi Akiva geworden, auch nicht eine so angesehenen Person, deren Torawissen noch heute den Grundstein unseres Torastudiums bildet.

 

Frieden mit der Seele

 

Versuchen wir uns nun die vollkommene Ruhe des Geistes von Rabbi Akiva während seines Studiums, als er viele Jahre von zu Hause weg gewesen war, vorzustellen. Kümmerte er sich nicht um seine Frau? War er nicht in Sorge, dass sie ihm vielleicht vorwerfen würde, er hätte sie verlassen?

 

Rabbi Akiva spürte Rachels große Liebe zur Tora. Deshalb konnte er sich trotz all der persönlichen Unannehmlichkeiten, die sie ertragen musste, voll und ganz im Vertrauen darauf, dass sie über sein Torastudium aufrichtig glücklich war, auf sein Studium konzentrieren. Dieses Vertrauen spornte ihn sicherlich dazu an, dass er besonders intensiv lernte.

 

In jenen Anfangsjahren ihrer Ehe entwickelte Rachel ihre wahre Liebe für die Tora und so verstärkte sie die Sehnsucht in ihrem Mann, ein angesehener Toragelehrter zu werden. Diese Liebe gewährte ihm trotz der turbulenten Zeiten der römischen Besatzung im Land Israel eine vollkommene Ruhe seines Geistes.

 

Als eine gute Frau ist es nicht nötig, den Mann zu verwöhnen oder  alles zu tun, was er sich wünscht. Denn eine gute Frau ist eine gottesfürchtige Frau, die in ihrem Mann die Liebe zum Torastudium wachsen lässt. Auf diese Weise wird er die Kraft haben und sein Torawissen erweitern.

 

Oft beklagt sich eine Frau bei ihrem Mann, dass er nicht genügend Zeit zu Hause verbringt, und telefoniert ihm deshalb den ganzen Tag lang hinterher: „Wann kommst du nach Hause?“ In diesem Fall wird er die Gelassenheit verlieren, die er benötigt, um die Tora zu studieren. Statt im Torastudium zu wachsen, wird er über diese ständigen Beschwerden besorgt sein, die ihn zu Hause erwarten werden!

 

Rachel ist ein Vorbild für jüdische Frauen. Sie war bereit, alle Freuden der materiellen Welt zu opfern und ihm zuliebe viele Jahre ohne seine Anwesenheit zu leben, damit er Tora studieren konnte. Wenn sie sich darüber beklagt hätte, würde Rabbi Akiva für uns heute kein Vorbild sein und ohne Rabbi Akiva hätten wir keine Mischna, keinen Talmud und auch keine Kabbala. Rabbi Akivas großes Torawissen verdanken wir einzig und allein seiner Frau Rachel, die für diese Leistung zu bewundern ist. Rabbi Akiva war der Lehrer des Rabbi Shimon bar Yochai, Autor des Zohar, auf dem die kabbalistische Weisheit der Arizal beruht.

 

Einige Frauen werden nun denken, dass sie sich überhaupt nicht mit Rachel vergleichen können, da ihre Männer keine ungebildeten Hirten, wie es einst Akiva war, sind. Jede Frau muss ihren Mann aber dennoch unterstützen, so wie es die Frau von Rabbi Akiva tat. Denn vielleicht ist auch ihr Mann dazu bestimmt, eine große Persönlichkeit zu werden. Dies hängt einzig und allein von der Unterstützung durch seine Frau ab.

 

Sagen Sie uns Ihre Meinung!

Danke fuer Ihre Antwort!

Ihr Kommentar wird nach der Genehmigung veroeffentlicht.

Fuegen Sie einen Kommentar hinzu.