Ziel im Visier

Sobald ein Mensch beginnt, in seinem Leben planlos von da nach dort zu gehen, begeht er damit den ersten Fehler, der wie einen Fuchsschwanz weitere Fehler nach sich ziehen wird.

8 Min.

Rabbiner Shalom Arush

gepostet auf 17.03.21

Sobald ein Mensch beginnt, in seinem Leben planlos von da nach dort zu gehen, begeht er damit den ersten Fehler, der wie einen Fuchsschwanz weitere Fehler nach sich ziehen wird. Ein Mensch muss stattdessen sich an seinem Leben erfreuen und sich mit dem was er hat zufrieden geben! Ohne dabei auf das Leben anderer zu blicken, sie als Beispiel nehmen, sich an fremden Leben orientieren oder sich völlig realitätsfremd einzubilden, dass er eine Zukunft auf seine anfängliche Planlosigkeit bauen könne!  

 

Auszug aus dem Buch von Rabbi Schalom Arusch “Began Hachochma“ (Im Garten der Weisheit) :
 
Man findet im Buch „Geschichten des Rabbi Nachman aus Breslev“ eine atemberaubende Erzählung über den Klugen und den Einfältigen (einem einfachen Durchschnittsmenschen). Aus dem Titel lässt sich der inhaltliche Erzählungskern bereits erkennen: Es geht darin – wie so oft im Leben – um zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Der eine ist also sehr klug und gewitzt und der andere ist zwar nicht gerade dumm, allerdings auch nicht überaus klug, eher etwas einfältig …
 
Nachdem Rabbi Nachman in der kurzen und alles auf den Punkt bringenden Aussage die Lebensführung des Einfältigen erläuterte: „Also machte sich der Einfältige auf dem Weg, den Beruf des Schusters zu erlernen“, erläuterte er uns anschließend den komplizierten Werdegang des Klugen:
 
„Der Kluge konnte sich dagegen nicht wirklich damit anfreunden, solch einen einfachen Beruf zu erlernen. Deshalb entschloss er sich, die Welt zu erkunden, um so herauszufinden, was er aus sich selbst machen kann. Also begab er sich daraufhin zu einem Markt, ging dort umher und schaute sich alles an …“ 
 
Hierbei beging der Kluge allerdings aufgrund seiner Intelligenz bereits seinen ersten Fehler. Er bildete sich nämlich ein, dass er sich tatsächlich eine rosige Zukunft – auf seiner jetzigen Planlosigkeit basierend – aufbauen könne. Ein Mensch muss aber mit seinen beiden Beinen auf dem Boden der Realität bleiben und nicht beginnen, planlos von hier nach dort zu gehen. Denn dadurch begeht man einen folgenschweren Fehler, der wiederum weitere mit sich ziehen wird. Ein Mensch muss sich daher an seinem Anteil am Leben erfreuen und sich mit dem, was er hat, zufrieden geben – ohne dabei immer nur auf das Leben anderer zu blicken, sich daran ein Beispiel zu nehmen, sich daran zu orientieren oder sich völlig realitätsfremd einzubilden, dass man sich eine Zukunft mit Planlosigkeit erbauen könne!
 
Deshalb sollte ein Mensch, der sich gerade an einem bestimmten Arbeitsplatz befindet oder an einer Lehranstalt/Schule/Universität studiert, alles in seiner Macht Stehende tun, um sein ihm von Gott gegebenes Potenzial voll zu entwickeln. Auf diese Weise wird es ihm dann gelingen, sein Lebensziel zu erreichen.

Das perfekte Beispiel in dafür ist König David. Er war anfänglich ein bescheidener und einfacher Schafhirte. Doch Gott bestimmte für ihn, König zu werden, dies war in ihm angelegt. König David interessierte sich allerdings dafür nicht. Im Gegenteil, er versuchte ausschließlich ein guter Schafhirte zu sein, ohne dabei die Welt erkunden zu wollen, um so vielleicht zu erkennen, was er denn so in seiner Zukunft noch alles machen kann. Auf diese Weise musste er nicht seiner in ihm angelegten Größe hinterherlaufen, da ihm die Größe regelrecht von alleine hinterherlief und am Ende – wie jeder weiß – auch erreichte! Das Gleiche gilt für jeden von uns. Egal wo wir uns gerade befinden, wir müssen nur versuchen, mit einer gewissen (im positiven Sinne) Naivität und Anständigkeit das Beste aus uns herauszuholen, ohne dabei zu träumen, diesen oder jenen einmal übertreffen zu müssen. Denn sobald die Zeit für einen reif ist, wird Gott ihn oder sie schon mit der karrierefördernden Person zusammenbringen.
 
Rabbi Nachman schrieb, dass der Kluge seinen Weg auf der Karriereleiter beim aufmerksamen Besuch auf einen Markt begann. Mit dem Markt meinte er im übertragenden Sinne einerseits den internationalen Arbeitsmarkt, zum anderen die Welt allgemein. Sowohl hier als auch dort suchte der Kluge nur eines, nämlich einen Weg, wie er schnell an Geld kommen kann. Dies tat er, indem er dort herum lief und sich alles anschaute. Daraus lässt sich erkennen, dass der Kluge nur objektiv auf das Augenscheinliche blickte, ohne dabei den Kern einer Sache bzw. den Inhalt einer Sache in seinen Gedanken zu berücksichtigen. Auf die Weise hatte der böse Trieb ein ziemlich leichtes Spiel mit ihm, da er ja nun genau das tat, was er ständig versuchte: einem Menschen ein Leben ohne jegliche Tiefe und Inhalt aufzuschwätzen! Darüber hinaus ist es so gut wie sicher, dass ein Mensch, der nur auf das Äußere blickt, ohne weiter bzw. tiefer in die Materie zu dringen, irgendwann allein und verlassen dastehen wird.
 
Plötzlich sah er dabei einen großen Wagen, der von vier aneinander gebundenen Pferden gezogen wurde. Der Kluge ging ihnen daraufhin entgegen und fragte die wagenlenkenden Händler: „Von wo kommt ihr her?“ Sie erwiderten ihm, sie kämen aus Warschau. Der Kluge fuhr fragend fort: „Und wohin fahrt ihr nun?“ Und erneut antworteten sie ihm, dass sie nach Warschau wollten. Er fragte sie dann: „Seid ihr vielleicht an einen Diener interessiert?“ Nach dieser Frage nahmen sie ihn etwas genauer unter die Lupe und erkannten seine Intelligenz und Arbeitsamkeit. Ihnen gefiel, was sie sahen, und deshalb entschlossen sie sich, ihn als ihren Diener anzustellen. Folglich fuhr er gemeinsam mit ihnen weiter, und unterwegs diente und bediente er sie äußerst sorgfältig …      
 
Daraus ergibt sich eine äußerst interessante Frage: Wie kann es sein, dass ausgerechnet der überaus Clevere mittels seiner beispiellosen Klug- und Gewitztheit sich als ein missachteter Diener anstellen ließ!? So wie es hier heißt: Und unterwegs diente und bediente er sie äußerst sorgfältig. Ausgerechnet der Kluge, der sich anfänglich zu gut dafür war und sich nicht wirklich damit anfreunden konnte, einen einfachen und soliden Beruf zu erlernen, fand aufgrund seiner neunmalklugen Einbildung, er mittels seiner Intelligenz selbst entscheiden, wo es in seinem Leben lang geht: zunächst zu einem missachteten Diener, der beispielsweise Toiletten reinigt usw.

Sein bescheidener und einfacher Freund hingegen entschied sich zwar aufgrund seiner durchschnittlichen Fähigkeiten “nur“ einen soliden und einfachen Beruf zu erlernen, allerdings führte er seine Arbeit in Ehre und Stolz aus, ohne dabei solch erniedrigende Arbeiten wie die des Klugen verrichten zu müssen.
 
Und eben deshalb schrieb Rabbi Nachman: „ … und unterwegs diente und bediente er sie äußerst sorgfältig …“ Er wollte damit jedem, der sich einbildet, klüger, toller, schöner und besser als alle anderen zu sein, sagen: „Buhh! Absoluter Wahnsinn! Wie klug, intelligent und gewitzt du doch nur bist! Wirklich beeindruckend, welch ein großartiger Diener aus dir wurde …!“ Er entschied sich absichtlich für solch eine spöttische Formulierung, um all die zu warnen, die sich – wie bereits gesagt – voller Illusionen und sich total selbstüberschätzend einbilden, sie wären eine Art Übermensch. Denn sie seien ja schließlich – wenigstens aus ihrer Sicht – die Klügsten, Tollsten, Schönsten und Besten, doch in Wirklichkeit handelt es sich ja nur um einem mehr oder weniger großartigen Diener!             
 
Nach der Ankunft des Klugen in Warschau dachte dieser sich aufgrund seiner Intelligenz: „Weshalb sollte ich nun, nachdem ich ja jetzt bereits in Warschau bin, weiterhin mit diesen Möchtegern-Händlern verweilen? Wer weiß, vielleicht gibt es hier ja bessere Adressen für mich?! Ich denke es wäre von Vorteil für mich, wenn ich nun gehe und mich nach Besserem umsehe.“ So gesagt machte er sich daraufhin wieder auf den Weg zu einen Markt dort.
 
Hieraus lässt sich nun noch eine weitere katastrophale Eigenschaft des Cleveren entnehmen, dass er nämlich bei nichts, niemanden und nirgendwo Ausdauer zeigen kann. Unmittelbar nachdem er in Warschau ankam, entschloss er sich bereits, seine Arbeitgeber – so schnell wie nur irgend möglich – wieder zu verlassen. Und eben dies trifft auf jeden von uns zu, der seinen Arbeitsplatz oder seine Lehranstalt wie seine Hemden wechselt. Der Grund dafür ist der gleiche wie beim Klugen: nämlich der Eigenstolz, Hochmut oder sonstige selbstliebende Intelligenzbekundungen unsererseits. Wenn der Kluge sich an seinem Teil erfreut oder sich zumindest mit dem, was er besaß, zufrieden gewesen wäre, dann hätte er an seinem Arbeitsplatz festgehalten und versucht, dort das Bestmögliche aus sich selbst machen. Ein Mensch darf also nicht von hier nach dort springen! Denn wenn wir einen Platz für uns bestimmen, dann müssen wir immer versuchen, eben dort das Optimum an Leistung und Ergebnis herauszuholen – und zwar solange, bis wir merken, dass Gott einen regelrecht dazu drängt, etwas in unserem Leben zu verändern.
 
Dort begann der Kluge dann zu forschen, um Informationen über die Händler herauszufinden, mit denen er nach Warschau kam. Des Weiteren fragte er herum, ob es denn erfolgreichere Händler als jene gäbe, für die er arbeitete. Als Antwort erhielt er, dass es sich bei diesen Händlern um anständige Menschen handle und dass es gut sei, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Allerdings, so fügten sie hinzu, sei der letzte Punkt aufgrund der großen Reiseentfernungen, die ihre Art Handel mit sich bringt, äußerst schwer realisierbar.
 
Hieraus lässt sich nun noch eine weitere negative Eigenschaft entnehmen, die als Ergebnis solch einer sich selbst überschätzenden Klug- und Gewitztheit entsteht. Das Ergebnis ist in dem Fall die üble Nachrede in Form von Klatsch und Tratsch, den der Kluge über die Händler verbreitete. Er wollte die Händler verlassen, aber, weshalb versuchte er jetzt auch noch, ihren guten Namen völlig grundlos in den Dreck zu ziehen?! Wenn er sie verlassen will, bitte schön, soll er doch einfach gehen, aber nicht auf diese Weise!

Das gleiche ist auch eine Lehre für uns alle. Wenn sich also jemand entscheidet, eine Änderung in seinem Leben zu vollziehen, beispielweise in Form eines Arbeitsplatzwechsels, Wohnungswechsels oder durch den Kontaktabbruch zu einem Freund bzw. Bekannten, dann muss man diesen Schritt still und leise gehen. Das heißt, man diese Veränderung vornehmen, ohne sich dabei schlecht zu äußern! Denn was bringt denn das schon? Mit Sicherheit nichts Gutes.
 
In diesem Punkt scheitern leider sehr viele Menschen, überall in der ganzen Welt. Nachdem sie finanziell – oder mit ihrer Karriere – am Boden liegen, suchen sie sofort einem Weg, um sich diese Situation schön zu reden. – Anstatt sich ihre Fehler und ihre mangelnde Ausdauer einzugestehen, machen sie ihren ehemaligen Arbeitgeber, Lehrer oder sonst wen für ihre Misslage verantwortlich, indem sie schlichtweg Lügen über sie verbreiten! Bei diesen Verhaltensweisen handelt es sich um die üble Nachrede und den Rufmord, die streng verboten sind. Diese Sünde ist äußerst schwerwiegend für jeden Menschen auf dieser Welt, da Gott ja schließlich diese Welt erschuf, damit der eine den anderen liebt. Er will nicht, dass ein Mensch den anderen verbal oder sogar körperlich zu verletzen versucht, zum Beispiel einem anderen dessen Auge auszustechen. Auch wenn man davon ausgehen würde, dass es einen berechtigten Grund dafür gäbe, einen Groll gegen eine Person im Herzen zu tragen, ändert dies trotzdem immer noch nichts an der Tatsache, dass es einen großen Unterschied macht, ob man dies für sich behält bzw. vergisst und dann mit der Absicht auf Frieden auf jenen zugeht, oder ob man dieses Problem theatralisch herausposaunt und dabei unter Umständen den Ruf eines Menschen völlig zerstört. Aus diesem Kontext lässt sich zweifellos erkennen, dass eine Sündenreue in diesem Fall so gut wie ausgeschlossen wäre.
 
Außerdem lässt sich aus der eben aufgeführten Verhaltensweise des Klugen noch eine weitere negative Eigenschaft entnehmen. Nämlich dass er seinen endgültigen Entschluss, die Händler zu verlassen erst dann traf, als er hörte, es wäre wegen der großen Reiseentfernungen nur äußerst schwer realisierbar, bei diesem Handel ihnen nicht zu unterliegen. Solch eine Einstellung zum Leben ist natürlich ein sehr großer Fehler! Denn seit wann bestimmt der Schwierigkeitsgrad einer Sache deren Ziel oder Wahrheit? Das heißt, wenn dieser oder jener Weg, den es zu beschreiten gilt, der Wahrheit und dem Ziel entspricht, dann werde ich diesen beschreiten! Völlig unabhängig davon, ob es schwierig oder leicht ist, da es sich ja schließlich dabei um die Wahrheit und um das zu erreichende Ziel handelt. Daher ist es das Wichtigste im Leben, sich stets die Frage zu stellen: Ist dies die Wahrheit oder nicht? Und sobald man zu dem Ergebnis kommt, dass es sich dabei um die Wahrheit und das zu erreichenden Ziel handelt, darf man sich auf keinen Fall von dessen Schwierigkeitsgrad abhalten lassen! Denn wenn dies die Wahrheit ist, dann muss ich mich eben auf diesen Weg begeben – ohne zweimal zu überlegen! Punkt! 
 
Daraus lässt sich nun wiederum eine weitere negative Eigenschaft des Klugen entnehmen. Und zwar seine Faulheit. Die Faulheit ist zweifellos das Produkt einer selbstüberschätzten Intelligenz. Denn einem bescheidenen oder einfachen Menschen würde es gar nicht erst in den Sinn kommen, solcherlei Rechnungen aufzumachen. Im Gegenteil, er macht eben genau dies, was gemacht werden muss. Doch ein hochmütiger, arroganter Intelligenzprotz beginnt sofort mit der Rechnung, ob es denn vielleicht nicht doch noch einen leichteren Weg gäbe. Dabei beachtet er weder die Wahrheit noch das zu erreichende Ziel. Im Gegenteil interessiert ihn nur eines: ein ruhiges und vor allem leichtes Leben! Dafür ist er sogar bereit, billigend in Kauf zu nehmen, dass sein Leben einer großen Lüge gleichen wird! 
 
Zusammenfassend wissen wir nun, dass dieser Kluge vielleicht über eine gewisse Intelligenz, Klug- und Gewitztheit und sogar über eine Art scharfen Denkens verfügt, diese sich allerdings überhaupt nicht positiv auswirken, da er sich tief aus seinem Inneren seiner Aufgabe gegenüber wie ein völliger Idiot und Narr verhält. Ganz im Gegensatz zum Einfältigen, über den wir im weiteren Verlauf selbstverständlich noch ausführlich reden werden. Wie dem auch sei, auch wenn wir beim Einfältigen davon ausgehen, dass er zwar nicht über Intelligenz, Klug- und Gewitztheit und scharfes Denken verfügt, ist er bezüglich seiner Einstellung zum Sinn, Zweck und Grund seines Lebens der wohl mit Abstand erfolgreichere als alle anderen angeblich so Superklugen!!

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