Die Sudeten von Palästina (2)

"Selbstbestimmung" ist ein Instrument militärischer Aggression, Gewalt und Völkermord.

3 Min.

Dr. Steven Plaut

gepostet auf 05.04.21

Auf der Suche nach analogen Fällen zum Nahostkonflikt gibt es nur einen einzigen, der alle Elemente des arabisch israelischen Disputes umfasst, einer, der besser als alle anderen  den wahren Kern des Konfliktes illustriert und besser als alle anderen die wirklichen  politischen Interessenslagen beleuchtet. Daneben handelt es sich auch um die beste Quelle  für Lehrmaterial für den Gebrauch von "Selbstbestimmung" als ein Instrument  militärischer Aggression, Gewalt und Völkermord. Es geht um das Lehrbeispiel  Sudetenland. 

Selbst nach nur kurzem Überfliegen der Geschichte des tschechisch-deutschen Konfliktes  kommt einem das nicht ganz geheure Gefühl des "schonmal dagewesen" hoch. Die  Kampagne für palästinensische "Selbstbestimmung", die heute von fast jedermann auf der  Welt, darunter dem Großteil des Diaspora-Judentums und des politischen Spektrums in  Israel unterstützt wird, erinnert wie nichts anderes an eine fast identische Kampagne,  unter ähnlich universaler Zustimmung, nämlich der zur Selbstbestimmung der  Sudetendeutschen in den späten 30er Jahren. Die Verhandlungen über palästinensische  Selbstbestimmung ähneln ganz enorm den Verhandlungen über das Sudetenland. 

Einwendungen gegen die moralische, legale oder strategische Grundlage für  palästinensische "Selbstbestimmung" werden mit derselben automatischen Zurückweisung  und gekränkter Selbstgerechtigkeit behandelt wie ähnliche Kritik in den 30er Jahren an  dem Verlangen nach sudetendeutscher Selbstbestimmung. In beiden Fällen bestanden die  westlichen Demokratien darauf, dass Selbstbestimmung für die "Unterdrückten" eine  sofortige und erhaben gerechte Lösung böte, die den Konflikt beenden und Ruhe  einkehren ließe.  
 
Im Jahre 1938, mitten in den Verhandlungen zur Regelung des Sudetenkonfliktes, warnte  der Präsident der Tschechoslowakei, Dr. Eduard Benesch, den Westen: „Glauben sie nicht,  es gehe hier um Selbstbestimmung. Von Anfang an war dies ein Kampf um die Existenz  des Staates“. 
 
Einige Jahre später, nach Gewährung von Selbstbestimmung für die  Sudeten und dem Ende der Tschechoslowakei als eigenständigem Staat, bemerkte Benesch,  dann im Exil, dass "so ein Konzept der Selbstbestimmung a priori den zehn Millionen  Tschechoslowaken das Recht auf Selbstbestimmung abspricht und die Existenz des  tschechoslowakischen Staates an sich ausschließt". 

Der weltweite Kampf um palästinensische Selbstbestimmung begann ca. 25 Jahre nach  dem Erlangen jüdischer Selbstbestimmung durch die Unabhängigkeit des Staates Israel.

Die Kampagne um Selbstbestimmung für die Sudetendeutschen begann etwa 20 Jahre  nach Schaffung der neuzeitlichen Tschechoslowakei. In beiden Fällen ignorierten die  Fürsprecher der "Selbstbestimmung" die offensichtliche Tatsache einer bereits für die  große Mehrheit der infrage stehenden Völker bestehenden Selbstbestimmung in Gestalt  der deutschen und arabischen Nationalstaaten, die jeweils an die umstrittenen Gebiete  angrenzten. In beiden Fällen wurden die Bevölkerungen der begehrten Länder von den  Aggressoren als "Außenseiter" bezeichnet, als nicht in die Region gehörend. Die  Tschechen waren Slawen, Eindringlinge in den deutschen Lebensraum, Außenseiter,  genau wie die Israelis zu den Ungläubigen zählen und als Außenseiter in den arabischen  Lebensraum eindrangen. In beiden Fällen zog es die Welt vor, die Anzeichen zu  ignorieren, wonach die Forderungen nach "Selbstbestimmung" von ihren Befürwortern  nur als ein Feigenblatt für militärische Aggression zur Zerstörung der Selbstbestimmung  einer anderen Nation benutzt wurde. 

Der tschechoslowakische Staat war wie Israel ein Land, das nach Jahrhunderten  rekonstruiert wurde, nachdem er zerstört und von anderen vor vielen Generationen  absorbiert worden war. Im Mittelalter waren Böhmen und Mähren separate tschechische  Königreiche, die sich unterschiedliche Grade von Selbständigkeit erfreuten, im  allgemeinen im Rahmen des Heiligen Römischen Reiches. Während des  Hussitenaufstandes im 15. Jahrhundert erlangten die Tschechen wieder die volle  Unabhängigkeit in einer an die Makkabäer erinnernden bewaffneten Auseinandersetzung.  Ihre Unabhängigkeit ging dann im Jahre 1620 endgültig verloren, und die tschechischen  Länder wurden vom Reiche Habsburg absorbiert, während die tschechische Bevölkerung  zerstreut wurde. 

Nach dem ersten Weltkrieg, nach Jahrhunderten der Verfolgung, erneuerten die  Tschechen ihre Souveränität, stellten ihre Selbstbestimmung zusammen mit ihren  slowakischen Vettern im Staate Tschechoslowakei wieder her, der sich im Zuge  der nach-kommunistischen Ära wiederum in Tschechei und Slowakei aufteilte.  
 
Dr. Steven Plaut lehrt Geschäftsführung und Wirtschaftslehre an der Universität Haifa, Israel. Übersetzung: Rafael Plaut, Chefredakteur von: Kimizion

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