Respekt

Warum die Omerzeit auch eine Periode der Trauer ist...

2 Min.

Rabbiner Abraham Itzchak Radbil

gepostet auf 05.04.21

Warum die Omerzeit auch eine Periode der Trauer ist

Im Verlauf der jüdischen Geschichte wurde die Omerzeit zu einer Periode der Trauer. Der Grund dafür ist der Tod von 24.000 Schülern von Rabbi Akiwa, den mit Abstand größten Toragelehrten der damaligen Zeit. Eine Epidemie raffte sie hinweg.
 
Dem Talmud zufolge war dies die Strafe für ungenügenden gegenseitigen Respekt. Die Bestrafung könnte uns unverhältnismäßig erscheinen. Die Todesstrafe wegen Respektlosigkeit? Warum gerade in dieser Zeit?

Um diese Fragen beantworten zu können, muss man ein wenig tiefer in die Idee des Schawuotfestes und der Omerzeit schauen. Schawuot ist das Fest der Übergabe der Tora an das jüdische Volk. Dies erfolgte am Berg Sinai. Im 2. Buch Moses (19,2) heißt es: „Und Israel verweilte unter dem Berg“. Bemerkenswert, dass die Tora über das jüdische Volk im Singular spricht, denn eigentlich sollte es „verweilten“ heißen. Raschi kommentiert das so, dass sich das Volk wie ein Körper und eine Seele vereinigt hatte: „Wie ein Mensch, mit einem Herzen“. Daraus lernen unsere Weisen, dass dies der einzige Weg ist, die Tora zu erhalten. In Einheit geschlossen, gemeinsam als ein Volk einem Ziel zustrebend.

Dieses hilft uns zu verstehen, warum das jüdische Volk die Tora nicht gleich nach dem Auszug aus Ägypten erhielt: Als die Bnei Israel das Land der Sklaverei verließen, waren sie nur eine Versammlung verschiedener Stämme. Deshalb bedurfte es der 49 Tage in der Wüste, um zu einer Einheit zu werden. Das ist eine der Hauptideen, die sich hinter dem Zählen der 49 Omertage verbirgt. Wir sollen jeden einzelnen dieser Tage nutzen, um an unseren Beziehungen zu anderen Menschen zu arbeiten. Um dann an Schawuot würdig zu sein, die Tora zu empfangen.

So ist auch die harte Bestrafung der Schüler von Rabbi Akiwa zu verstehen. Diese 24.000 Toragelehrten waren ein Beispiel für das jüdische Volk, und ihr respektloses Verhalten untereinander gerade in dieser Zeit, wo man am Gegenteil arbeiten sollte, war unverzeihbar. Je höher das Niveau der Geistlichkeit, desto schwerer Gottes Strafe. Rabbi Jehuda Leib ben Bezalel von Prag erläutert zudem, dass die Schüler von Rabbi Akiwa in den ersten 32 Tagen des Omerzählens verstarben. Der Zahlenwert für das hebräische Wort „Ehre“ ist 32. Ihr Tod war direkt mit der von ihnen nicht erwiesenen Ehre verbunden.

So erkennen wir die Bedeutung des Respekts, der dem Nächsten zu zollen ist. Denn wie Rabbi Akiwa betonte, ist das Gebot, den Anderen so zu lieben wie uns selbst, die wichtigste Regel der Tora („klal gadol baTora“). Gerade jetzt, in der Zeit des Omerzählens, ist die beste Gelegenheit, daran zu arbeiten. Damit wir bald an Schawuot die Tora wieder als ein einiges Volk empfangen können.
 
Der Autor ist Rabbiner in Freiburg schreibt Artikel für die Jüdische Allgemeine Zeitung und ist Mitglied in der ORD.

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