Der leise Blitz

Der Donner mag gut und eindrucksvoll sein, aber die Arbeit leistet in Wirklichkeit der leise Blitz.

3 Min.

Andrea Jockisch

gepostet auf 17.03.21

In meinem Artikel "leise und weise" sprach ich vom Erfolg introvertierter Menschen. Denn es sind nicht immer die Lauten stark, nur weil sie lautstark sind.

 

Schon im Kindesalter bekommt man eingebläut: Gesellig zu sein, ist gut – Rückzug hingegen schlecht.

 

Damals in meiner Schulzeit war ich eher eine zurückhaltende Schülerin, wollte nie im Mittelpunkt stehen. Ich hatte nur wenige Schulkameradinnen, aber dafür die richtigen – die, auf die ich mich immer verlassen konnte und die mir immer guttaten; die, die mir nicht von der Seite gewichen sind, wenn ich sie brauchte. Wenn ich von der Schule kam, saß mein alkoholkranker Vater mit den Bierflaschen am Küchentisch. Wenn die Luft schon wieder brannte, weil mein Vater mal wieder aggressiv wurde, dann rannte ich vor Angst weg zu meinen Schulfreundinnen. Manchmal geschah es, dass ich mich am selben Tag nicht nach Hause traute, weil ich wusste, was mich dort Schreckliches erwartete. Und so kam es, dass ich bei einer meiner Freundinnen übernachtete.

 

Es war eine Zeit, in der ich mich nicht nur vom Elternhaus, sondern auch von der Schule unter psychischen Stress gesetzt fühlte. Damals verstand man noch nicht viel vom Leben, ließ sich von den Ansichten der Lehrer beeinflussen. Heute weiß ich – wie erfahrungsgemäß jeder andere von euch sicherlich auch -, in der Schule ist man nicht wirklich auf das wahre Leben nach der Schule vorbereitet wurden. Schülern wird noch heute eingebläut, dass ihre Zurückhaltung eine Schwäche sei – im erhaltenen Zeugnis Schwarz auf Weiß festgehalten: "Die mündliche Mitarbeit lässt zu wünschen übrig", statt ein erfreuendes Lob zu lesen: "Das Kind besitzt die große Fähigkeit, Dinge im eigenen Kopf zu entwickeln, hört gut zu und lässt seinen Mitschülern viel Raum."

Damals war mir in der Schule klar: Zurückhaltend zu sein ist nicht von Vorteil – erst recht nicht im Erwachsenenalter, wenn man dann auf eigenen Beinen steht.

 

Dabei stellt sich aber die Frage: Kann es wahr sein, dass die Vorlauten uns als Vorbilder eingeredet werden? Das Sie weiter, höher und schneller vorankommen als ein introvertierter, zurückhaltender Mensch?

Rabbi Israel von Salant sagte einmal: "Wenn du spüren willst, wie es sich anfühlt, ganz weit oben zu sein, brauchst du niemanden eine Grube graben, sondern beginnen, einen Berg zu erklimmen …"

 

Wenn man die Rednerseminare vieler Coaches betrachtet, kommt man zu der Überlegung: Warum sind diese Kurse nur für Stille der Renner, während hingegen ein permanenter Redner es nicht für nötig hält, einen Kurs im Zuhören zu buchen? Ist es nicht auch wichtig, dass Extrovertierte, nicht sensible Menschen sich über ihr mangelndes Einfühlungsvermögen informieren – und nicht nur Hochsensiblen und Introvertierten viel versprechende Bücher aufgeschwätzt werden, die sie lehren, wie sie zu durchsetzungsfähigen Egoprotzern und erfolgreichen Karrierehaien werden.

 

Mache dir bewusst, dass es nichts bringt, Schwätzern nachzueifern. Denn in der Produktion heißer Luft sind schaumschlagende Typen nicht zu schlagen. Es fällt diesen Menschen nicht schwer, ein Gesprächsthema zu finden. Der Haken dabei ist nur: in diesen Gesprächsthemen dreht sich ausschließlich alles nur um ihn – intime Details bis ins kleinste ausposaunt. Lass dich von ihnen nicht beeindrucken. Mache nicht jeden Quatsch mit, nur weil andere ihn vormachen. Arbeite mit deiner Natur – und niemals gegen sie!

 

Mit den Jahren kam ich zu der Erkenntnis, dass ich auch Großes leisten kann, ohne große Reden darüber zu schwingen. Wenn ich mich unterhalte, dann gerne mit Substanz und Tiefgang. Oberflächliche Smalltalks meide ich größtenteils. Wer nur oberflächliche, flüchtige Begegnungen hat, kennt die halbe Welt fast, aber niemanden richtig. Der hohen Quantität der Kontakte steht eine geringe Qualität gegenüber.

 

Rabbi Nachman lehrt uns in seinem Werk Likutey Moharan, Band 2, Lektion 7: "Gott der Weisheit, lehre mich, anderen mit Worten zu begegnen, die sie brauchen; mit Worten, die niemals irreführen. Lehre mich, lieber Gott, dass oft keine Worte die wirkungsvollsten Worte sind. Lehre mich, wann und wie ich durch jene mächtige Gabe des Schweigens sprechen soll."

 

Zurückhaltende Menschen bekommen oft zu hören: "Sag doch auch mal was!", "Mach dich nicht zum Außenseiter!", "Sei doch nicht so sensibel!"

Introvertierte Menschen bevorzugen zum Feierabend einen stillen Spaziergang in der Natur oder ein Treffen zu zweit.

Extrovertierte Menschen hingehen tanken nach einem Stresstag auf, indem sie bspw. abends durch die Bars ziehen, Freunde treffen oder durch die Disco hüpfen.

 

Zu welcher der beiden Personen zählst du dich? Introvertiert, in sich gehend und nach außen hin sprudelnd vor Energie – oder eher extrovertiert, permanent umringt sein von Menschenmengen, im Höchsttempo durchs Leben düsen und dabei vor Energie strotzen?

 

Zu guter Letzt denke daran: Der Donner mag gut und eindrucksvoll sein, aber die Arbeit leistet in Wirklichkeit der leise Blitz.

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