Entwicklung der Welt

Das Gebot des Glaubens an den Schöpfer der Welt, dass er alles vermag und alles schafft, enthebt den Menschen nicht vom Handeln. Im Gegenteil!

4 Min.

Joel Schwarz

gepostet auf 17.03.21

Das Gebot des Glaubens an den Schöpfer der Welt, dass er alles vermag und alles schafft, enthebt den Menschen nicht vom Handeln. Im Gegenteil! Es heißt in 1. Mose 2, 3 wörtlich: „was Gott schuf, es zu tun“; diese eigentümliche doppelte Redeweise des Bibelverses legt der Midrasch wie folgt aus: Gott schuf alles in der Weise, dass es dem Menschen aufgegeben ist, es zu vervollständigen. So hat der Mensch etwa den Weizen zu mahlen und den Flachs zu verweben.

Die Tiere erhalten von der Natur die Nahrung und die Körperbedeckung bereits fertig, der Mensch aber nicht. Gott hat dem Menschen seine Welt übergeben, damit er sie entwickle und vervollständige. Gott sprach zum Menschen: „Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan und herrscht über die Fische im Meer und die Vögel des Himmels und über alles, was auf der Erde lebt“ (1. Mose 1, 28). Im gleichen Sinne spricht Jesaja: „Gott hat die Erde nicht geschaffen, dass sie leer sei, sondern hat sie bereitet, dass man auf ihr wohnen solle (45, 18). Es ist die Aufgabe des Menschen, etwas zu schaffen.

Darum gehört es zu den wichtigsten Freuden des Menschen, etwas zu bilden und hervorzubringen. Die Weisen Israels sahen in Noah einen Menschen, der anderen neunfach überlegen gewesen sei (Bab.Tal. Bava Mezia 38 a); Raschi erklärt dies dahingehend, dass sich Noah um die Entwicklung der Welt überhaupt bemüht habe, um die Besiedlung der Erde, um die Bepflanzung der Einöde, um die Veredelung der Pflanzen- und Tierarten.
 
Dies alles muss jedoch aus einer Ehrfurcht vor Gott heraus geschehen. Der Mensch hat sich als Partner Gottes zu begreifen, der gewürdigt ist, am großen Werk der Schöpfung mitzuwirken.
 
Es ist wichtig, darauf zu achten, dass nicht zwei verschiedene Arten miteinander gekreuzt werden; dies wäre eine Geringschätzung der Ehre des Schöpfers, als sei die Schöpfung etwa nicht vollkommen genug, dass sie die Erfindung neuer Arten nötig hätte. Innerhalb einer Art ist das Veredeln und Kreuzen erlaubt, doch verbietet das Religionsgesetz das Vermischen verschiedener Arten. Auch die Genmanipulationen unterliegen diesem Grundsatz. Wir haben die Aufgabe, gemeinsam das Schöpfungswerk Gottes zu veredeln und zu vervollkommnen, aber nicht Dinge zu tun, die dem Geist der göttlichen Moral widersprechen.
 
Dies bedeutet aber nicht, dass mit der Natur nicht gerungen werden dürfte. So sagt die Weisung betreffs der Heilkunst: „und er wird in Wahrheit heilen“ (2. Mose 21, 19); mit diesem Vers belegten die Weisen Israels die Erlaubnis für einen Arzt zu heilen. Auf den Einwand, dass die Krankheit eine Strafe Gottes sei und wir uns deshalb nicht einmischen dürften, entgegnet die Weisung, dass es erlaubt sei, die Kranken zu behandeln, ja sogar geboten, ihre Gesundung zu fördern.
 
Nicht nur die Belange des Menschen, sondern auch der Zustand und die Qualität der Umwelt sind der Tradition ein Anliegen. Es geht um ein rechtes, angemessenes Nutzen der Schätze und Ressourcen der Natur. Im Midrasch zum Buch des Predigers heißt es: „Als Gott den ersten Menschen erschuf, nahm er ihn und verpflichtete ihn, auf alle Dinge im Garten Eden acht zu haben. Er sagte zu ihm: „Sieh, wie angenehm und lieblich mein Werk ist, und alles habe ich für dich geschaffen. Lass es dir darum angelegen sein, dass du meine Welt nicht zerstörst!“ (Kohelet Rabba 7).
 
Die richtige Nutzung der Schöpfung ist der Entwicklung der Welt förderlich. Zerstörerisch aber wirken ein rücksichtsloses Ausbeuten der Natur und ein verschwenderischer Überbedarf, der nicht am Lebensnotwendigen, sondern an dem ausgerichtet ist, was uns findige Werbefachleute einreden, die uns durch Slogans zum Konsum reizen wollen wie „Durst macht Spaß mit …“ oder „Schmeck das Leben, iss …!“ Wenn wir uns immer nur mit dem neuesten Automodell zufrieden geben und wenn die Möbel darum nicht mehr passen, weil sie vom Vorjahr sind, dann gebrauchen wir den natürlichen Reichtum auf eine Weise, die nicht wünschenswert ist.
 
Außerdem verunreinigen wir die Natur durch unsere überdimensionierte Industrie. Die Wahrung unseres Lebensstandards führt zu einer Überbeanspruchung der Böden; andererseits werden dann Ernten vernichtet, um das Preisniveau zu halten. Würde sich die Menschheit ihres Verstandes bedienen, könnten wir viel Überflüssiges sparen, und es wäre genug Geld da, um wirtschaftlich schwächere Länder zu unterstützen und Einöden zum Blühen zu bringen.
 
Der Mensch ist dazu geschaffen, die Welt zu gestalten und zu entwickeln. Dies wurde ihm schon gesagt, als er in den Garten Eden geführt wurde: „Und Gott der Ewige nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (1. Mose 2, 15). Dabei steht die Aufforderung zur Bearbeitung des Gartens im Vordergrund, die aber das bewahrende Motiv immer in sich bergen muss. „Bebauen“ weist auf das Gebot eines bestimmten Tuns, „bewahren“ meint eher das Gebot eines bestimmten Nichtstuns, eines Unterlassens – in beidem zusammen besteht der Auftrag des Schöpfers.
 
Die Weisen betonten die Bedeutung der Arbeit: „Liebe die Arbeit mehr als das gelehrte Establishment“ (Sprüche der Väter 1, 10). Und der Midrasch sagt: „Bedeutsam ist die Arbeit, denn sie wurde nur den Menschen gegeben“; es kann sogar heißen: „Das Ergötzen an der Hände Arbeit ist größer als das an der Gottesfurcht“. Die rabbinische Schriftauslegung ist voll der Wertschätzung der Arbeit: „Bedeutsam ist die Arbeit, denn alle Propheten gingen ihr nach. Bedeutsam ist die Arbeit, denn es ruhte die Gegenwart Gottes erst dann auf Israel, als sie ihre Arbeit am Bau der Stiftshütte beendet hatten, wie geschrieben steht: „Und Mose sah dies ganze Werk an, und siehe, sie hatten es gemacht, wie Gott geboten hatte. Und er segnete sie“ (Ex. 39, 43) – und er segnete sie mit den Worten: „Es sei der Wille Gottes, dass seine Gegenwart im Werk eurer Hände wohne.“ (Midrasch „Anfang der Weisheit, Licht der Welt“, Kap. 4)
 
Obgleich Gott alles gemacht hat, ist der Mensch doch allenthalben aufgefordert mitzuwirken: „Der Ewige, dein Gott wird dich segnen bei allem, was du tust“ (5. Mose 15, 18). Darum besteht kein Widerspruch zwischen dem Vertrauen des Menschen in die Wirkkraft Gottes von oben und der Aufforderung zum tätigen Handeln. Gott begabt den Menschen zur Mitarbeiterschaft im schöpferischen Tun.
 
Der Prophet Jesaja sieht für die Zukunft eine Art Aufgabenteilung innerhalb der Menschheit: Das Volk Israel wird ein Volk von Lernenden und Lehrenden sein. „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des HERRN Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Heiden werden herzulaufen, und viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns auf den Berg Gottes gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, dass er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird Weisung ausgehen und Gottes Wort von Jerusalem“ (Jes. 2, 2 – 3). „Fremde werden hintreten und eure Herden weiden, und Ausländer werden eure Ackerleute und Weingärtner sein. Ihr aber sollt Priester Gottes heißen, und man wird euch Diener unsres Gottes nennen“ (Jes. 61, 5 – 6).
 

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